Brilon. Drei Stunden lang standen Bezirksregierung und LANUV im Rat Brilon Rede und Antwort. Erkenntnis: „Der Unmut ist angekommen.“

Verfügen die ehrenamtlich ornithologisch tätigen Mitglieder des Vereins für Natur- und Vogelschutz im HSK (VNV) überhaupt über die Sachkunde und Kompetenz, mit ihren Beobachtungen einen derart folgenreichen Verwaltungsakt auszulösen wie die Festlegung eines Vogelschutzgebietes? Eberhard Fisch von der CDU und Hubertus Weber von der SPD jedenfalls zweifelten das Donnerstagabend in der Ratssitzung an. Gut drei Stunden standen Vertreter von Bezirksregierung und Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) dem Rat Rede und Antwort.

Zwei zentrale Feststellungen: Die bereits jetzt Politik und Eigentümer bindende Wirkung des Verfahrens bezieht sich nicht auf die vom VNV beantragten 280 Quadratkilometer Fläche in den Stadtgebieten von Brilon und Marsberg nebst Randgebieten, sondern auf die vom LANUV reduzierten 120 Quadratkilometer. Und: Die Bezirksregierung hat die Frist für Stellungnahmen und Eingaben vom 12. Februar auf 30. April verlängert.

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Fläche von 280 auf 120 Quadratkilometer reduziert

„Der Unmut ist angekommen“, sagte Thorsten Schmitz-Ebert, Leiter der Abteilung Umwelt- und Arbeitsschutz bei der Bezirksregierung Arnsberg. Die Behörde hat das Verfahren im Auftrag des Landes durchzuführen. Die vom VNV vorgeschlagene Gebietskulisse habe der fachlichen Überprüfung durch das LANUV „nicht ganz standgehalten“, sagte Dagmar Schlaberg, Dezernentin für Natur- und Landschaftsschutz bei der Bezirksregierung. Deshalb sei die Fläche auf rund 120 Quadratkilometer reduziert worden. Die sei mit Einleitung des Verfahrens „faktisch ein Vogelschutzgebiet“.

Die Auswirkungen ähnelten denen einer Veränderungssperre. Was bisher ohne Genehmigung möglich war, könne weitergehen - „Alles andere ist, vorsichtig gesagt, schwierig.“ Das Wandern oder Radfahren auf den Wegen sei ebenso weiterhin möglich wie das Repowering eines bestehenden Windrads, neue Anlagen allerdings seien in diesem Bereich tabu.

Wohin mit den Windrädern?

Was Karin Bange (CDU) zu der Frage bewog, ob die Stadt denn jetzt Windparks dort ausweisen müsse, wo sie keine haben will. Denn wenn die im VSG-Gebiet liegenden Konzentrationsflächen wegbrächen, müsste die Stadt der Windkraft womöglich anderswo den ihrer Gemeindegröße angemessenen substantiellen Raum verschaffen.

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Michael Jöbges, beim LANUV für den Vogelschutz zuständig, sagte, dass Nordrhein-Westfalen mit lediglich 4,9 Prozent der Landesfläche bundesweit im VSG-Ranking Schlusslicht sei; der Bundesdurchschnitt liege bei 11,5 Prozent.

Jöbges betonte, dass es an der Kompetenz der ehrenamtlich tätigen Ornithologen keine Zweifel gebe. Die hier tätigen Ehrenamtlichen hätten ihre Qualifikation u.a. durch wissenschaftliche Veröffentlichungen unter Beweis gestellt. Eigene Kartierungen in dem Umfang könne das LANUV personell nicht leisten, bei Beauftragung externer Fachleute müsste bei einem derartigen Verfahren mit Honorarkosten von 400.000 Euro gerechnet werden.

Auswirkungen auf B 7n-Planung?

Die für eine VSG-Ausweisung erforderliche Kartierung erfolge nach einem anerkannten, standardisierten Verfahren, das sich ehrenamtlich tätigen Ornithologen abzuarbeiten haben. Das LANUV habe sich Untersuchungsgebiete angesehen und die VNV-Daten mehrere Monate geprüft. Jöbges: „Das ist von wissenschaftlichem Wert.“ Zudem habe man Institutionen wie die Biologische Station eingebunden und weitere „ornithologische Tools“ hinzugezogen.

Frist verlängert und Ministerin eingeladen

Mit der Verlängerung der Anhörungsfrist um 12 Wochen gehe die Bezirksregierung Arnsberg auf die aktuellen besonderen coronabedingten Umstände und sowie die darin begründete Bitte unter anderem von kommunalen Planungsträgern ein.

„Wir kommen dem Wunsch gerne nach, sich noch fundierter und differenzierter mit der Thematik auseinander setzen zu wollen und hoffen so auf einen sachlichen Diskurs in der Region“, so Dagmar Schlaberg von der Bezirksregierung Arnsberg, die das Ausweisungsverfahren für das Vogelschutzgebiet „Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg“ als Höhere Naturschutzbehörde im Auftrag des NRW-Umweltministeriums durchführt.

Die Bezirksregierung hat die Infos auf ihrer Homepage unter www.bra.nrw.de/4869465 aktualisiert und erweitert. Hinzugekommen ist die kartographische Darstellung der Vorkommen der melderelevanten Arten.

Die bislang eingegangenen und in den Ratssitzungen in Brilon und Marsberg geäußerten Fragestellungen würden derzeit aufbereitet und in den kommenden zwei Wochen dort eingearbeitet.

Besonders exponierte Flächen begutachten

Die Fristverlängerung soll auch dazu dienen, die bisher eingegangenen Fragen bereits behördlich intensiv zu prüfen und gegebenenfalls auch Lösungsoptionen zu erörtern. Auch sollen einzelne besonders auffällige Flächen in Augenschein genommen werden

Die Behörde bittet um frühzeitige Hinweise, die u.a. per Mail an AnhoerungVogelschutzgebiet@bra.nrw.de geschickt werden können.

Nach Informationen der WP wird derzeit auch ein Vor-Ort-Termin mit Landes-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser abgestimmt.

Die Reduzierung der Fläche habe man vorgenommen, weil man sich zum einen auf die besonders bedrohten Arten wie Grauspecht, Raubwürger und Neuntöter und zum anderen nicht jeden Standort, sondern auf die „stabilen Bestände“ konzentriert habe.

Auf die Planung der B7n habe die Ausweisung des Vogelschutzgebietes keine Auswirkungen, sagte die Referentin der Bezirksregierung; da seien ohnehin Artenschutzaspekte zu berücksichtigen. Für Irritationen sorgte, dass es, wie CDU-Ratsherr Thomas Becker sagte, in dem Verfahren zwei unterschiedliche Karten gebe: Auf einer tangiere das VSG im Bereich Altenbüren mit einer Nase sehr wohl die Trasse, auf der anderen fehle dieser Zipfel.

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Angesprochen wurden auch mögliche Auswirkungen des VSG auf Land- und Forstwirtschaft. Was bisher „bewährte fachliche Praxis“ gewesen sei, könne auch weiterhin möglich sein. Weite Bereiche der Gebietskulisse seien schon jetzt als Naturschutz- oder FFH-Fläche ausgewiesen, hieß es. Für sie gibt es schon jetzt Einschränkungen, aber auch Fördermöglichkeiten.

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Und was SPD-Sprecher Hubertus Weber sorgte: „Wir sind ein Wirtschaftsstandort im Grünen. Den müssen wir weiterentwickeln.“