Medebach. Skype-Anruf im Pflegeheim: Drei Damen geben Tipps für Weihnachten in Krisenzeiten – und erinnern sich an arme Feste, die trotzdem reich waren.

Weihnachten – es gibt wohl im westlichen Kulturkreis kein emotional beladeneres Fest. Dieses Jahr wird es anders als sonst: ohne viele Angehörige und im Corona-Krisenmodus. Das trifft auch die Senioren in den Altenheimen. Die WP trifft – per Skype-Videoanruf – drei Damen aus dem St.-Mauritius-Pflegeheim in Medebach. Sie erzählen, ob ihnen beim Gedanken an das eingeschränkte Weihnachten 2020 mulmig zumute ist und wie Weihnachten in ihrer Kindheit war.

Einig sind sich alle drei in einem: Süßigkeiten gehören dazu – auch wenn die Auswahl früher karg war. „Meine Mutter wollte Plätzchen backen, das war im Krieg“, erinnert sich Philippine Schüngel, Jahrgang 1932. „Aber es war kein Mehl da. Da haben wir die im Herbst gesammelten Bucheckern aufgeknibbelt und gemahlen und die stattdessen genommen.“

Ein anderes Mal sollte es Honigkuchen geben, „aber es war kein Honig da.“ Ein paar geschenkte Zuckerrüben, mit der Drahtbürste abgeschrubbt und dann in einer Runkelmühle zerkleinert, ausgepresst und mehrere Tage lang unter ständigem Rühren gekocht, dienten als Ersatz. „Und das hat ganz toll geschmeckt, daran erinnere ich mich heute noch“, betont Philippine Schüngel. Heute gebe es so viele verschiedene Gebäcke und Plätzchen, das sei in ihrer Kindheit ganz anders gewesen.

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Bucheckern waren auch Bestandteil der Lebkuchen, die es in der Familie von Marina Berndorff gab. Gesammelt hatte sie die Früchte aber nicht nur dafür, sondern vor allem zum Auspressen, um Öl daraus zu gewinnen.

Bucheckern als Nahrungsmittel

Bucheckern enthalten rund 40 Prozent Fett und sind besonders in Notzeiten eine wichtige Nahrungsquelle für Menschen und Nutztiere wie Schweine gewesen.

Bucheckern haben einen nussigen Geschmack und sind vielseitig verwendbar: Sie können zu Mehl gemahlen, zu Öl gepresst, im Ganzen geröstet und dann wie Pinienkerne verwendet werden.

Vor dem Verzehr sollten Bucheckern geröstet, gebacken oder überbrüht werden, da Hitze die enthaltenen schwachen Giftstoffe unschädlich macht.

Wie viele andere aus ihrer Generation erinnert sie sich an „die arme Zeit“ im Krieg und in den Jahren danach. Auch daran, dass die Mutter „stoppeln“ gegangen sei: Das bedeutete, auf abgeernteten Feldern liegengebliebene Früchte zu sammeln, in diesem Fall einzelne Getreidekörner. Die Körner seien dann in einer Kaffeemühle gemahlen worden.

Radio gegen Puppe getauscht

Marina Berndorff hält ein altes Foto hoch (siehe Foto). Es zeigt eine Gruppe Mädchen in Engelsgewändern: „In der Schule wurde Weihnachten vorbereitet, da haben wir die Sterne und goldene Bänder für den Kopf gebastelt. Ein Krippenspiel gab es auch.“ Und wenn die Zeiten auch arm waren, irgendein Geschenk gehörte zu Weihnachten dazu. „Ich erinnere mich an eine Puppe, da war ich sieben oder acht Jahre alt. Allerdings hatte mein Vater für diese Puppe das Radio eintauschen müssen.“

An den Vater, der damals schon aus dem Krieg zurückgekehrt war, knüpfen sich bei Marina Berndorff noch viele Weihnachtserinnerungen: Nachdem sie ihn beim Basteln eines Vogelkäfigs durchs Schlüsselloch beobachtet hatte, teilte das Mädchen der Mutter freudig mit, dass diese „einen Vogel habe“. Die Reaktion sei nur verhalten fröhlich gewesen. Der Vater sei auch dafür zuständig gewesen, unmittelbar vor der Bescherung das Wohnzimmerfenster zu öffnen und etwas Engelshaar zu verteilen zum Beweis, dass das Christkind dagewesen war.

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Die gute Stube war auch in Wilma Noltens Familie der Ort, wo sich die Bescherung abspielte. Um abends länger aufbleiben zu dürfen, mussten die Kinder an Heiligabend nachmittags ins Bett, „aber geschlafen haben wir ganz bestimmt nicht“.

Wenn das ersehnte Glöckchenklingeln die gute Stube zur Bescherung freigab, erinnert sich Nolten an schöne Musik von einem alten Grammophon und an durchaus großzügige Geschenke, die sie zwei kinderlosen Tanten verdankte. „Die ließen was stricken auf einer Strickmaschine. Mein Bruder bekam mal einen Pulli, der ging ihm bis zu den Knien, da haben wir alle gelacht.“

Aber auch an schöne Kleider und an Kappen aus Samt erinnert sie sich. „Ich bin Jahrgang 1942 und habe die ganz arme Zeit nicht mehr so erlebt.“ Aber eins weiß sie: Beim Plätzchenbacken durfte sie schon als Kind helfen und „man weiß etwas auch einfach mehr zu schätzen, wenn es selbstgemacht ist.“

Strategien für Krisenzeiten

Vor dem bevorstehenden Corona-Weihnachten ist den drei Damen nicht bange. Sie sind froh, dass sie im St. Mauritius wohnen, gut versorgt werden und alles bekommen, was sie brauchen. „Draußen wär’s schlimmer“, meint Wilma Nolten – wenn sie alles selbst organisieren oder ständig andere Menschen um Hilfe bitten müsste. Vereinzelter Besuch der Angehörigen unter Einhaltung der Corona-Schutzvorschriften ist auch an Weihnachten im Pflegeheim erlaubt, außerdem wird innerhalb der einzelnen Wohnbereiche gefeiert.

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Haben die drei alten Damen einen Tipp für jüngere Menschen, die mit Corona ihre erste massive Krise erleben und sich davon überfordert fühlen? „Ich habe auch keine Medizin dagegen“, meint Marina Berndorff. Sie wünscht sich in dieser Situation manchmal Persönlichkeiten vom Kaliber eines Rudolf Virchow. Eine allseits geachtete Koryphäe wie er hätte, vermutet Berndorff, die Krise vielleicht schneller bewältigen geholfen.

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Philippine Schüngel hingegen stellt resolut fest: „Nach dem Krieg gab es auch Seuchen. Da müssen wir jetzt alle eisern sein und zurückstecken.“ Und Wilma Nolte hilft es, „an den Herrgott zu denken und auf ihn zu vertrauen. Wer niemanden hat, dem er sich anvertrauen kann, der ist arm dran.“ Außerdem müsse eben jeder einzelne in dieser Situation seinen Anteil leisten. Da sei das Motto: „Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist!“