Arnsberg/Winterberg/Hamm. Ein Urteil, das mit Spannung erwartet wurde. Oberlandesgericht gibt einer Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes eine Mitschuld am Tod eines Kindes.

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichtes in Hamm hat eine Entscheidung gefällt, die bei den Jugendämtern in ganz Deutschland bundesweit mit großem Interesse erwartet wurde und die Auswirkungen auf die generelle Arbeit von Jugendämtern haben dürfte. Sie hat die Revision im Falle einer Jugendamtsmitarbeiterin des HSK abgewiesen. Das Verfahren stand im Zusammenhang mit dem Tod eines Kleinkindes, für das eine zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg rechtskräftig verurteilt wurde.

Signalwirkung für andere Jugendämter

In dem Beschluss aus Hamm heißt es, dass eine Jugendamtsmitarbeiterin nicht erst dann zum Handeln verpflichtet ist, wenn sie von einer konkret eingetretenen akuten Gefährdung des Kindeswohls tatsächlich Kenntnis nimmt. „Vielmehr hat sie auch für eine pflichtwidrig herbeigeführte Unkenntnis von einer solchen Gefährdung einzustehen. Anderenfalls wäre gerade derjenige Jugendamtsmitarbeiter, der alle an ihn herangetragenen Warnzeichen einer Kindeswohlgefährdung in einer von ihm betreuten Familie ignoriert und keinem Hinweis nachgeht, am umfassendsten vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt.“

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Im konkreten Fall stand die Sozialarbeiterin zunächst 2017 als Angeklagte vor dem Amtsgericht Medebach und zuletzt im Januar 2020 im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Arnsberg. Der jungen Frau wird eine Mitschuld am Tod eines Kleinkindes vorgeworfen. Dass eine Sozialarbeiterin so ein Verfahren bis in letzter Instanz durchzieht, ist in Deutschland ungewöhnlich. Denn so ein Prozess ist belastend. Die Verteidiger der 31-Jährigen hatten bis zuletzt auf eine vollständige Rehabilitation ihrer Mandantin gehofft. Ein Freispruch wäre auf ein deutliches Signal für die Beurteilung möglicher weiterer Verfahren ähnlicher Art in ganz Deutschland gewesen. Verteidiger Thomas Mörsberger ist enttäuscht, dass die Justiz hier eine Chance vertan hat.

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Urteil Medebach komplett vom Tisch

Fahrlässige Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung – diesen Vorwurf sah das Amtsgericht Medebach damals bestätigt und verurteilte die Sozialarbeiterin vor drei Jahren zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Außerdem sollte sie 4200 Euro an das westfälische Kinderdorf zahlen. Ein Strafmaß, das es in der Höhe für einen solchen Tatvorwurf noch nicht gegeben hat, wie die Juristin Linn Katharina Döring in einem Interview mit unserer Zeitung feststellte. Sie hat sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema „Sozialarbeiter vor Gericht“ beschäftigt und im Abstand von drei Jahren insgesamt elf solcher Fälle in Deutschland untersucht. Dieses Urteil ist komplett vom Tisch.

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Die HSK-Mitarbeiterin, die zwischenzeitlich in anderer Funktion beim Kreis arbeitete, hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. In nächster Instanz in Arnsberg war man kurz davor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe einzustellen. Doch das wollten die Angeklagten und ihre Verteidiger nicht. Schlussendich urteilte die Kammer dort: fahrlässige Tötung durch Unterlassen aus einer einfachen Fahrlässigkeit. Die Frau wurde zu 50 Tagessätze zu 70 Euro verurteilt.

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Verteidiger hatten auf Signal gehofft

Thomas Mörsberger und seine Kollegin Astrid Aengenheister als Verteidiger hatten auf die Revision gepocht. „Wir hatten gehofft, dass das OLG zu einigen Punkten im Urteil Stellung bezieht, die unserer Ansicht nach rechtlich falsch bewertet wurden.“ Mehrfach hatte Thomas Mörsberger in dem Verfahren darauf hingewiesen, dass eine Lücke klaffe zwischen der herrschenden Meinung, was eine Sozialarbeiterin tun müsse, und der tatsächlich rechtlichen Verpflichtung.

Aber dem kommt der Richterspruch aus Hamm nicht nach. Im Urteil heißt es u.a.: Die Angeklagte habe – so der Senat – eine Gefährdungseinschätzung bezüglich des verstorbenen Jungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten nicht vorgenommen, obwohl dies unter anderem aufgrund der Mitteilung von Auffälligkeiten durch ein anderes Jugendamt und weiterer ihr bekannter Umstände geboten, möglich und ihr zumutbar gewesen wäre. Danach hätte sich die Angeklagte zeitnah nach Übernahme des Falls einen persönlichen Eindruck verschaffen oder bei einer Weigerung der Mutter das Familiengericht anrufen müssen. Der körperliche Zustand des Jungen sei ab August 2013 bis zu seinem Tod bereits so reduziert gewesen, dass seine Unterversorgung und die daraus folgenden Verhaltensauffälligkeiten bei nicht nur ganz oberflächlicher Betrachtung des Kindes ins Auge gesprungen wären.

Aufgrund ihrer Untätigkeit, so das OLG, „blieb der Angeklagten der sich über mindestens drei Monate andauernde Zustand des Verhungerns des Kindes pflichtwidrig verborgen, so dass sie das bei Kenntnis von der Situation Erforderliche nicht habe veranlassen können.“

Zu dem OLG-Beschluss sagt der Hochsauerlandkreis u.a: „Die juristische Beurteilung wird nicht nur für das Kreisjugendamt, sondern bundesweit Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Arbeit des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) und der Jugendhilfe insgesamt haben (...) Auch bei engmaschigster Kontrolle durch die Behörden werden sich derartige Fälle künftig leider nicht immer vermeiden lassen