Medebach. Covid 19 ist nicht die erste Pandemie, die auch das Sauerland heimsucht. Wie gingen Menschen früher damit um? Eine Spurensuche im Museum Medebach
Dass ein Erreger sich über weite Entfernungen ausbreitet, viele Menschen erkranken und dies langfristige Auswirkungen auf die Wirtschaft hat, ist kein neues Phänomen.
Seuchen hat es zu allen Zeiten gegeben, die bekannteste ist sicher die Pest. Heute wappnen sich die Menschen mit Abstandhalten, Händewaschen, Desinfektionsmitteln, Mund-Nasen-Masken und dem Hoffen auf einen Impfstoff. Aber wie gingen die Menschen früher mit solchen Situationen um?
Die WP geht auf Spurensuche im Museum Medebach, begleitet von Josef Drilling und Kerstin Neumann-Schnurbus vom Heimat- und Geschichtsverein. Wobei das Wort „Pest“ nicht immer gleichbedeutend war mit dieser konkreten Krankheit. Der Begriff Pestilenz stand auch allgemein für schwere Seuchen.
Krankheitsverständnis
Was Krankheiten auslöst, davon haben heutige Menschen eine andere Auffassung als frühere Generationen. Damals galten sie als Strafe Gottes, heute werden Erreger erforscht. Wobei Relikte des alten Denkens überlebt haben: Auch heute gibt es Theorien, die Krankheiten auf einen schlechten Lebenswandel zurückführen und den Kranken eine Mitschuld zuschieben. Kirchlich begründet wird dies aber gewöhnlich nicht mehr.
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Gelobtes Fest
Ein Relikt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ist in Medebach besonders eng mit einer Seuche verbunden: das Gelobte Fest. Es geht auf ein 1636 geleistetes Gelübde zurück. „Zu Anfang des July bis zu Ende Oktobers grassirte die Pest dermaßen stark, daß von Bürgern, Weibern und Kindern in der Stadt starben 322 Menschen“, notierte ein Zeitgenosse. Dazu kamen zahlreiche Überfälle durch durchziehende Truppen.
Die Medebacher hofften, durch das Gelübde eine Art Handel mit Gott zu schließen – der als seinen Teil der Abmachung derlei Ereignisse künftig verhindern möge. Ohne wissenschaftliche Kenntnis von Krankheitsursachen und ohne ein Gesundheitssystem im heutigen Sinn war das Hilfesuchen bei Gott alles, was damalige Menschen aktiv unternehmen konnten. Das Fest ist bis heute verankert im Jahreslauf der Hansestadt und auch im Corona-Jahr nicht ausgefallen.
Denn mit einer Abkehr von dieser Tradition haben die Medebacher schlechte Erfahrungen gemacht: „1844 regte sich Widerstand gegen das Fest“, erklärt Kerstin Neumann-Schnurbus. „Die Leute fragten sich: Was haben wir zu tun mit einem Versprechen von vor 200 Jahren? Außerdem fiel das Fest genau in die Heuernte.“
Ausgerechnet 1844 ging dann als Jahr des Schreckens in die Stadtgeschichte ein: Ein Feuer zerstörte fast die gesamte Stadt; 139 Gebäude brannten ab, darunter Schule, Pfarrhaus, Rathaus und Kirche. Ob die Nachlässigkeit in Bezug auf das Gelobte Fest und der Stadtbrand wirklich etwas miteinander zu tun hatten, ist aus heutiger Sicht höchst unwahrscheinlich – doch damals dachten die Menschen anders darüber.
Krankenpflege
Bei wem eine Corona-Infektion festgestellt oder vermutet wird, muss zum Schutz anderer in Quarantäne. Auch diese Idee ist nicht neu: Bevor es in Medebach ein Krankenhaus gab, wurden Kranke im Siechenhaus isoliert.
Es lag vor den Toren der Stadt in der Nähe der heutigen Schützenhalle, der Straßenname Zum Klapperhaus erinnert daran. „Denn die Kranken mussten eine Klapper tragen, um andere auf sich aufmerksam zu machen“, erklärt Kerstin Neumann-Schnurbus. „Wenn ihnen die Vorräte ausgingen, mussten sie klappernd zum Niederntor gehen, um die Torwächter anzubetteln. Wenn genug vorhanden war, wurden ihnen Lebensmittel an einen bestimmten Platz gelegt. Dabei wurde streng auf Abstand geachtet.“
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Die Stadt betreten durften die Kranken nicht – und was mit jenen geschah, die nicht bis zum Tor laufen konnten, ist ungewiss. Social Distancing bedeutete damals eine heute unvorstellbare soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung, die eine moderne Quarantäne im eigenen Zuhause erholsam erscheinen lässt.
Das 19. Jahrhunderts brachte Umwälzungen. Neue Erkenntnisse zeigten, dass Krankheiten weniger von Gott als von winzigen Erregern ausgelöst wurden und mit Händewaschen besser zu bekämpfen waren als mit dem Gebetbuch. Doch die Kirche blieb zentraler Bestandteil und Treiber der sich modernisierenden Krankenversorgung: Viele Pfarrer sahen nun karitative Werke als ihre Aufgabe an.
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Auch der Medebacher Pfarrer Moritz Leisten war von der Idee beseelt. Mit Geld aus der nach ihm benannten Stiftung wurde 1867 ein Krankenhaus eingerichtet, das statt wie heute von ausgebildeten Fachleuten von Ordensschwestern betrieben wurde.
Aus ihren Reihen stammte auch die Stadtschwester, die sich um Kranke, Gebärende, Alte und Sterbende kümmerte. Sozusagen der mobile Pflegedienst des 19. Jahrhunderts. Ihr Dienst war wie auch das Krankenhaus finanziell Bedürftigen vorbehalten. Das Krankenhaus selbst wurde 1914 durch einen Neubau ersetzt – nicht zuletzt, weil im alten kein Platz für eine Isolierstation war.
Tod
Auch wenn der Tod früher stärker im Alltag der Menschen präsent war als heute: In Krisenzeiten veränderte die Angst vor Ansteckung auch den Umgang mit Verstorbenen. So stark, dass sich in den 1630er Jahren die Martinsbruderschaft gründete.
Die Mitglieder schworen, alle Verstorbenen zu bestatten, „es sei die Krankheit so gefährlich als sie wolle“. Bis heute sind die Martinsbrüder fester Bestandteil Medebacher Begräbnisse und Prozessionen.
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Ausblick
Der jüngste Corona-Ausbruch mit 22 Infizierten in Medebach hat die Wichtigkeit von Schutzmaßnahmen noch einmal ins Gedächtnis gerufen. Aber ob sich die Medebacher in 400 Jahren an Corona noch so intensiv erinnern wie dank des Gelobten Festes heute an die Pest? Das wird die Zukunft zeigen.