Hallenberg. Was machen Spieler und Helfer der Freilichtbühne Hallenberg, wenn das Sommertheater Zwangspause hat. Und was ist eine Apostel-WhatsApp-Gruppe?

Einen Sommer ohne Freilichtbühne - das hat es noch nie gegeben. Keine Wolldecken ins Auto packen, kein Zusammenrücken auf harten Holzbänken, keine Manta-Platte, keine Bratwürstchen in der Pause. Aber vor allem keine gute Unterhaltung an lauen Sommerabenden von Leuten, die aus tiefer Überzeugung Theater spielen. Die ihre Freizeit opfern, die Jahr für Jahr das unbeschreibliche Gefühl erleben, gemeinsam etwas Großes auf die Beine gestellt zu haben.

Komplett-Absage wegen Corona

Und dann kommt Corona: Die Bühne hat lange mit sich gerungen, ob sie spielen kann oder nicht. Sie hat auch zweimal mehr überlegt, denn dieses Jahr wäre Passionsjahr gewesen. Die Passion - das ist eine eigene Zeitrechnung in Hallenberg. Mancher zählt im Geiste durch, wie oft er denn wohl noch mitspielen kann. Dabei zu sein ist für viele Ehrensache, ist Verpflichtung.

Jeweils rund 40.000 Zuschauer kamen allein 2000 und 2010 zu den Passionsspielen. Sie alle müssen sich 2020 anderweitig beschäftigen. Noch viel schwerer dürfte das aber den Leuten auf, vor und hinter der Bühne fallen. Seit Corona ruhen die Sägen und Hämmer beim Bühnenbau. Die Technik hat gar nicht erst Einzug gehalten, die Proben wurden zunächst ins Internet verlagert, dann nach der Absage ganz eingestellt.

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Am Tag der eigentlichen Premiere sind viele Spieler und Aktive trotzdem zur Bühne gegangen. Corona-konform konnte man unter dem großen Banner „Passionsspiele 2020“ ein Foto von sich machen lassen. Viele haben das getan, viele pilgern auch heute noch mal eben kurz auf den Hallenberger Golgatha, um zu gucken. Einfach so, weil sonst was fehlt.

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Klar, ist eine abgesagte Spielzeit auch ein finanzieller Verlust für ein Theater. Wer nur einmal die 1424 Sitzplätze mit den Eintrittspreisen von rund 10 Euro multipliziert, der weiß, was das bedeutet. Einnahmen, die z.B. immer wieder reinvestiert werden für noch bessere Technik. Durch die aber auch Profis beschäftigt werden, die immer wieder frische Ideen und neuen Wind nach Hallenberg bringen. Gelder, von denen Kostümstoffe gekauft, Bühnenbau-Material beschafft, Versicherungen beglichen oder Lizenzen bezahlt werden müssen.

Schon jetzt sind übrigens knapp 4000 Karten für 2021 vorbestellt. Und auch der Paderborner Erzbischof hat sich den Premierentermin vorgemerkt. Aber das ist alles noch so lange hin...

Eine Spielzeit ohne Spiel: Wir haben neun Mitglieder der Bühne befragt, wie sich das für sie anfühlt. Hier ihre Statements:

Das sagt Jesus:

Philipp Mause (mit Bier-Maß in der Hand in einer Szene aus „Kohlhiesels Töchter“) hätte in diesem Jahr den Jesus gespielt.
Philipp Mause (mit Bier-Maß in der Hand in einer Szene aus „Kohlhiesels Töchter“) hätte in diesem Jahr den Jesus gespielt. © wp | Thomas Winterberg

„Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Schade, dass das dieses Jahr nicht geklappt hat, aber man muss die Situation so akzeptieren, wie sie ist. Vielleicht kann man das Bühnenbild fertig gestalten, die Texte weiter vertiefen und nächstes Jahr auf eine solide Grundlage aufbauen. Ich habe, als die neuen Spieltermine für 2021 feststanden, direkt meinen Kalender aktualisiert. Somit werde ich nicht wöchentlich mit den Spielen konfrontiert, die nun nicht stattfinden. Ich mache mehr Sport als sonst, jogge öfters mal zur Bühne oder mache eine Fahrradtour und gucke, was sich so verändert hat. Mir fehlt die Gemeinschaft, die Leute mit denen ich mein Hobby ausübe.

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Aber auch hier gibt es schon Ideen wie man sich nicht zu sehr aus den Augen verliert. Es gibt beispielsweise eine Apostel-WhatsApp-Gruppe, wo man überlegt, mit den Jüngern ein Grillen zu machen. Durch die Freilichtbühne sind ja auch viele Freundschaften entstanden, die nicht nur durch das Sehen auf der Freilichtbühne aufrecht erhalten werden, sondern auch ohne die Freilichtbühne Bestand haben.“ Das sagt Philipp Mause (28). Er spielt in der Passion den Jesus, ist seit 1993 ununterbrochen dabei - damals als Kleinkind im Bollerwagen, heute auf eigenen Beinen.

Kostümschneiderei:

„Anfangs war es sehr komisch, dass wir mit unseren Vorbereitungen plötzlich nicht wie gewohnt weitermachen konnten. Gott sei Dank ist die bereits geleistete Arbeit aber „nicht verloren“, da wir diese ja nun im kommenden Jahr benötigen und nutzen können.

Ich muss sagen, dass ich die freie Zeit in diesem Jahr sehr genieße und diese für alle möglichen Freizeitaktivitäten nutze. So ein Jahr mit so viel Freizeit - das kennen wir ja gar nicht. Am meisten fehlt mir die Geselligkeit und natürlich das gemütliche Miteinander nach den Aufführungen.“ Das sagt Mechthild Winter (61). Sie spielt seit über 40 Jahren mit und hat in der bühneneigenen Schneiderei das Sagen.

Vorstand und Geschäftsstelle:

„Es hat uns schon traurig gestimmt, dass wir nach all den Vorbereitungen nun doch noch die Saison absagen mussten. Insbesondere, da es sich um die Passion handelte und wir bereits etwa 17.000 Voranmeldungen hatten. Auch unsere Investition der letzten Jahre waren speziell auf diese Saison ausgerichtet. Mit dem Umstand, dass wir in diesem Jahr keine Aufführungen haben, haben wird uns inzwischen arrangiert. Zum einen ist es natürlich ein erheblicher Aufwand alle Buchungen wieder zu stornieren und die Besucher zu informieren. Zum anderen haben wir nun Zeit gefunden zu anderen privaten Aktivitäten. So wandern wir, fahren Rad und besuchen die Enkelkinder. Am meisten fehlt uns natürlich die Gemeinschaft der Spielschar. Das gemeinsame Erlebnis einer hoffentlich erfolgreichen Aufführung. Der Zuspruch der Zuschauer, sowie der Stolz auf das Erreichte.“ Das sagt Marianne Ante (62. Sie ist seit 21 Jahren Mitglied der Freilichtbühne. Sie ist im Vorstand und in der Geschäftsstelle tätig.

Die Päpstin:

Zuerst verlangsamten sich die Arbeiten nur und man hoffte, dass es sich vielleicht alles wieder legt. Doch diese Hoffnung verblasste ziemlich schnell. Plötzlich saß ich zu Hause, statt zu proben oder an Werbeanzeigen oder am Programmheft zu arbeiten. Und ich hatte plötzliche Zeit ohne Ende. Irgendwann spürte man auch, dass die Absage bevor steht – das war das einzig Sinnvolle und Richtige in der aktuellen Situation.

Manuela Senger spielte auf der Freilichtbühne Hallenberg u.a. die Hauptrolle in „Die Päpstin“.
Manuela Senger spielte auf der Freilichtbühne Hallenberg u.a. die Hauptrolle in „Die Päpstin“. © WP | Thomas Winterberg

Aber komisch war es schon. Am Tag der Premiere denkt man auch wieder mehr daran und man merkt, wie sehr man das doch alles vermisst. In diesem Jahr haben wir alle viel Zeit und wenig Termine, so dass wir diesen Sommer für weitere Haussanierungen und die Gartenneugestaltung nutzen. Das ist sehr viel Arbeit weil wir so viel wie möglich selber machen, daher stehen bei mir in diesem Sommer anstelle der Aufführungstermine tägliche Bauarbeiten auf dem Programm. Mir fehlen die ganzen Bühnenleute und die Geselligkeit untereinander am meisten. Man vermisst alle sehr, das fällt einem dann extrem auf, wenn man einzelne nach langer Zeit mal wieder sieht…da hüpft das Herz und man freut sich richtig. Natürlich fehlt mir auch das Theaterspielen an sich, und die gesamte Arbeit „da oben“. Gemeinsam mit allen zu arbeiten und was auf die Beine zu stellen, dass vermisse ich total!“ Das sagt Manuela Senger (35.) Sie spielt mit einer Unterbrechung seit 1990 mit und ist u.a. auch für Werbung zuständig.

Die Maskenbildnerin:

„Erst war da immer die Hoffnung, dass alles wieder normal wird und wir doch noch spielen können. Aber als diese Vorstellung von einer normalen Spielsaison nicht mehr zu realisieren war, hat man sich schon gedacht: Das kann doch nicht sein und gerade im Passionsjahr! Wir in der Abteilung „Maske“ hatten einiges geplant - zum Beispiel einen Schminkkursus.

Maskenbildnerin Uta Paffe von der Freilichtbühne Hallenberg vermisst die Geselligkeit.
Maskenbildnerin Uta Paffe von der Freilichtbühne Hallenberg vermisst die Geselligkeit. © WP | Frank Tischhart

Mir fehlt die Arbeit in der Maske und das Zusammensein mit meinen Mädels sehr. Der eigentliche Premierentermin am 7. Juni hat bei mir schon seine sehr wehmütige Stimmung aufkommen lassen. Aber generell nutze ich die freie Zeit in der Corona-Krise für mehr Zeit im Garten. Ich fahre Fahrrad, laufe und habe mehr Zeit für die Familie. Am meisten fehlen mir die sozialen Kontakte zu den Leuten auf der Bühne, das Gespräch, das gemütliche Beisammensein, das Schminken usw. Uta Paffe (53) ist mit Kolleginnen für die Maske zuständig und seit 1974 bei der Bühne.

Die Männer vom Parkplatz-Team

Man kann die Spielzeit entbehren - aber das muss man nicht auf Dauer. Wenn wir spielen würden, wären die ersten von unserem Team des Parkplatzdienstes in der Regel schon zweieinhalb Stunden vor Aufführungsbeginn im Einsatz. An Spitzentagen kommen dann 600 Autos und 36 Busse. Früher stiegen aus den Wagen fünf, sechs Leute aus. Heute sind es höchsten zwei. Ich habe selbst jahrelang mitgespielt und auch dann noch beim Auto-Einweisen geholfen; irgendwann ließen sich Hobby und Beruf nicht mehr so einfach miteinander vereinbaren. Aber die Bühne liegt mir am Herzen, auch unsere Aufgabe am Parkplatz ist schließlich wichtig und manchmal nicht so einfach. Es ist schade, dass wir dieses Jahr nicht spielen können: Und es tut mir vor allem leid für die aktiven und wirklich guten Spieler, die sich sehr darauf gefreut hatten. Ich habe selber viele Jahre aktiv bei großen Rollen auf der Bühne gestanden und weiß, was das bedeutet. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie groß die Enttäuschung ist, jetzt nicht spielen zu können.“ Michael Pöllmann (69) spielt seit 1973 mit. Unvergessen ist seine Rolle als Zahlkellner „Leopold“ in der Operette „Im weißen Rössel“. Zuletzt ist er im Parkplatz-Team tätig.

Der zweifache Jesus:

„Es ist schon eine sehr außergewöhnliche, ja gewöhnungsbedürftige Zeit. Meine Gedanken sind relativ oft bei der Bühne. Dabei mache ich mir schon so meine Gedanken, was das wohl für die Aktiven oder zumindest für einige davon für Auswirkungen haben mag, auch für die Zukunft. Mir persönlich ist in den vergangenen Wochen und Monaten dennoch nicht langweilig geworden. Als Vorsitzender des Verbandes Deutscher Freilichtbühnen hatte ich doch relativ viel um die Ohren. Anfangs ging es darum zu klären, was die vielen Auflagen tatsächlich für uns Freilichtbühnen bedeuten. Zunächst die Einschränkungen, dann der endgültigen Stopp für alle Bühnenaktivitäten.

Heribert Knecht (rechts) und sein Sohn Thomas in der Komödie
Heribert Knecht (rechts) und sein Sohn Thomas in der Komödie "Sugar -manche mögen's heiß". © WP | Thomas Winterberg

Die Einstellung aller saisonvorbereitenden Arbeiten in der Öffentlichkeitsarbeit, bei den Proben, beim Kulissenbau usw. Dann der Versuch, Unterstützung zu bekommen, Fördermöglichkeiten zu erschließen, für die bereits erfolgten Ausgaben in diesem Jahr, die nun leider nicht durch Eintrittsgelder gedeckt werden. Alles in allem, viel verbandsinterner und externer Kommunikationsaufwand, auf den ich in der Art gerne verzichtet hätte. Aber bei mir und bei den meisten theaterbegeisterten Bühnenaktivisten wird der Frust über den Saisonausfall nach und nach, und immer mehr abgelöst durch die Vorfreude auf die nächste Spielsaison. Am meisten fehlt mir die besondere Freilichtbühnenatmosphäre auch hinter den Kulissen, deren Besonderheit ich so schwer beschreiben kann. Das Miteinander, die Gespräche mit den Freunden und die Begegnungen mit den Besuchern. Ja und auch die Spannung, die Anspannung, die Konzentration vor jeder Aufführung. Die auch von Spiel zu Spiel immer wieder neu und anders ist. Heribert Knecht, (69), seit 1963 ununterbrochen dabei, es wäre seine 7. Passion gewesen. Er spielte 1990 und 2000 den Jesus.

Das vermisst der Spielleiter:

„Natürlich war das im ersten Moment ein Schock, nach der langen Vorbereitung, auf einmal komplett auszusetzen. Dazu zähle ich natürlich das Casting und die Rollenverteilung mit dazu. In den Proben haben wir ja erst mit kleinen Gruppen und natürlich mit den Hauptdarstellern geprobt. Die Hoffnung, noch spielen zu können, war am Anfang noch da. Aber für mich war relativ schnell klar, dass das dieses Jahr nix wird. Alleine die Verantwortung für mich als Spielleiter den Mitspielern gegenüber hat dies nicht zugelassen.

Stefan Pippel hier in einer Szene aus „Sugar - manche mögen’s heiß“.
Stefan Pippel hier in einer Szene aus „Sugar - manche mögen’s heiß“. © WP | Thomas Winterberg

Klar, denkt man aktuell oft daran, dass ja eigentlich jetzt ein Spiel wäre. Gerade an dem Premierentermin war es schon komisch. Wichtig ist für mich, dass wir die Truppe jetzt trotzdem irgendwie zusammenhalten. Sobald es möglich ist mit dieser großen Gruppe etwas zu machen, wollen wir auch was vorbereiten. Man vermisst die ganzen Leute schon. Am meisten fehlt mir natürlich das Zusammensein mit meinen Freunden und Mitspielern. Man trifft sich mittlerweile trotzdem ab und zu mit einigen, aber die Lust auf nächstes Jahr steigt immer mehr. Auch das Lampenfieber vor jeder Vorstellung vermisse ich. Das ist bei mir immer noch sehr groß, obwohl ich jetzt schon 33 Jahre mitspiele. Die Bühne ist für mich wie eine zweite Familie, und mit der will man natürlich zusammen sein. Trotz allem genieße ich dieses Jahr: Ich hatte selten so viel Zeit für meine Familie und meine Projekte rund ums Haus.“ Stefan Pippel (42), ist Spielleiter und seit 33 Jahren dabei.

Die Technik:

„Sehr schade, dass unser Hobby dieses Jahr ruhen muss. Technik ist ja eine schöne Arbeit und eine tolle Sache, das mache ich halt gerne. Die Kollegen kaum zu sehen, ist auch blöd, das fehlt mir. Wir werden die kommende Zeit noch nutzen für einige Umbauten im Technikraum, welche wir im Spielbetrieb vor uns her geschoben hatten, da nie so richtig Zeit dafür war und da es auch irgendwie nicht ging, wenn das ganze Equipment aufgebaut war. Eine große Vorbereitungsphase, welche dann doch umsonst war, gab es bei uns nicht unbedingt. Es war bis dato überschaubar.

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Die Absage war noch rechtzeitig vor dem Aufbau des ganzen Equipments und vor den Bestellungen der benötigten Teile für diese Saison. Es gab aber vor dem Lockdown einen Kurs für die Darsteller zur korrekten und besseren Aussprache mit Mikros, das wird man wohl noch mal machen müssen fürs nächste Jahr. Wenn Passion im Kalender steht, dann denke ich zur Zeit: „So ein geiles Wetter und wir spielen leider nicht!“ Aber ich mache dann zu Hause viel, mit weniger Zeitdruck. Ein Handwerker hat keine Langeweile. Ich hoffe sehr, dass diese große Zwangspause die Mitglieder dennoch beieinander hält und man sich nicht entfremdet.“ Ralf Mause (44) ist mit Kollegen zusammen für die Technik verantwortlich und seit 20 Jahren dabei.