Hallenberg. Philipp Mause hofft – trotz Corona –, dass er auf der Freilichtbühne die Rolle seines Lebens spielt: Jesus bei den Passionsspielen in Hallenberg.
Jesus ist zuversichtlich. Wenn nicht er, wer dann sollte das Gottvertrauen haben, dass Corona schnell an uns vorbeizieht und die Freilichtbühne Hallenberg doch noch wie geplant am 7. Juni die Premiere ihrer Passionsspiele feiern kann. Philipp Mause spielt den Jesus.
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Für den 29-jährigen ist es seine dritte Passion. Als Kind war er schon im Hallenberger Jerusalem und hat gehörigen Respekt vor einer Rolle, die man in der Nuhnestadt nur alle zehn Jahre spielen kann.
Was war Ihre Motivation, sich für die Rolle zu bewerben?
Philipp Mause: Ich habe mich gar nicht lange im Voraus damit beschäftig. Zum Ende der letzten Saison stellte sich die Frage, was mache ich nächsten Sommer? Spiele ich mit, wenn ja, welche Rolle? Ich war eigentlich der Meinung: der Jesus ist nichts für mich.
So, wie ich zu dem Zeitpunkt Jesus gesehen habe, war das nicht meine Rolle, mit der ich mich hätte identifizieren können. Ich bin auch schon mal launisch, kann laut werden und würde manche Sachen anders regeln, als er es vermutlich getan hätte. Ich habe mich aber trotzdem für die Rolle beworben, weil ich neugierig bin und mich ausprobieren wollte. Im Casting und auch jetzt in der Rollenbesprechung habe ich erlebt, dass es doch viele Parallelen gibt, die ich so vorher gar nicht gesehen hatte. Jeder legt die Rolle anders an. Man kann die Jesusse der vergangenen Jahre nicht miteinander vergleichen. Jeder macht das auf seine Art.
Haben Sie das Thema in Ihrer Familie angesprochen – die ist ja auch komplett in die Bühne integriert? Ihr Vater wird Sie als Kaiphas sogar verurteilen?
Klar spricht man darüber am Küchentisch und auch darüber, dass so eine Rolle sehr aufwändig und anstrengend ist. Das ist ja auch eine weitreichende Entscheidung. Das ist ein besonderes Päckchen, das man das ganze Jahr über trägt. Ich bin noch Junggeselle und muss mich insofern nicht um eine Familie kümmern. Das gibt mir etwas mehr Freiraum.
Die Chance, diese Rolle zu spielen, hat man in der Regel nur einmal.
Gibt es eine Herangehensweise, um sich auf den Jesus vorzubereiten. Sie haben ja bislang eher komische Rollen gespielt?
Ja, das ist schon anders. Der Freddy in „My fair Lady“ oder der Seppl in „Kohlhiesels Töchter“ waren fiktive Personen, die man sich konstruiert hat. Das ist jetzt völlig anders. Von Jesus erwartet jeder etwas, von Jesus weiß jeder etwas. Ganz am Anfang hat mir unser Pastor ein Buch in den Briefkasten gelegt mit dem Vermerk, er freue sich, dass ich die Rolle spiele. In dem Buch ging es um die politischen und gesellschaftlichen Umstände zur Zeit Jesu. Das war sehr interessant. Und dann haben wir in den ersten Rollengesprächen genau darüber gesprochen, wie diese Figur angelegt werden soll. Welches Verhältnis hat Jesus zu seiner Mutter. Haben die beiden sich viel unterhalten oder haben sie über Körpersprache kommuniziert. Haben sie einfach nur gewusst, sie sind füreinander da?
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Was ich dann zum ersten Mal gemacht habe: Ich habe viel recherchiert. Warum tritt Jesus erst nach Johannes dem Täufer auf? Welche Beziehung hat er zu den Aposteln gehabt? Was waren das für Menschen? Standen sie als Erstgeborene mitten im Leben oder waren sie leichtfüßig und Weltverbesserer, die einfach blauäugig mitgezogen sind?
Hat die Übernahme dieser Rolle Ihr Leben verändert?
Nein, ich bin trotzdem noch ich. Verändern sollte mich das auch nicht. Ich bin von vornherein mit sehr viel Demut an die Rolle herangegangen. Ich weiß, dass ich sie nicht ausfüllen werde. Man kann sein Bestes geben und versuchen, etwas davon widerzuspiegeln, was in der damaligen Zeit los war. Aber diesen Jesus ausfüllen – das kann ja niemand.
Haben Sie Angst, dass Zuschauer sagen könnten, das Stück oder den Jesus habe ich mir anders vorgestellt?
Ich weiß nicht, ob das eine Angst ist. Vielleicht hat man aber auch gerade dann alles richtig gemacht. Das Stück soll ja zum Nachdenken anregen, es soll ja hinterfragen.
Oberammergau hat die Passions-Spiele für 2020 bereits abgesagt. Aber der Jesus-Darsteller spielt die Rolle nach 2010 nun 2021 ein zweites Mal. Er hat in einem Interview gesagt, dass er Freunde und Familie während der Zeit vernachlässigt habe und nach der Spielzeit in ein tiefes Loch gefallen sei. Sehen Sie diese Gefahr für sich auch?
Nein, das glaube ich nicht. In Oberammergau wird fünf, sechs Stunden am Stück gespielt und das 51 Mal. Das dauert eine krass lange Zeit.
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Als Darsteller kann man bei der Länge die Anspannung nicht von sich abfallen lassen. Was ich immer gemerkt habe, wenn ich mal eine größere Rolle gespielt habe: direkt nach dem Spiel fällt man in ein großes Loch. Wir sind ja alle gesellige Leute, wenn man danach noch ins Heimstudio geht und ein, zwei Bier trinkt, ist der Abend schnell gelaufen. Man darf ja nicht vergessen: Im Publikum sitzen Leute, die haben für den Abend bezahlt und wollen unterhalten werden – dadurch ist schon ein gewisser Druck da.
Wenn man Theater spielt, ist es ja der besondere Reiz, sich zu verkleiden und sich hinter Kostümen zu verstecken? Wenn Sie als Jesus ausgepeitscht und ans Kreuz geheftet werden, sind Sie ja völlig schutzlos und nahezu unbekleidet. Ist das schwierig?
Diese Erfahrung fehlt mir noch komplett. Entkleidet auf der Bühne stehen oder den Tod am Kreuz sterben – das haben wir noch gar nicht geprobt. Ich habe davor sehr viel Respekt, weil es um eine körperliche Angelegenheit geht. Nach der Pause kommt in der Passion sofort die Abendmahlszene, dann der Garten Gethsemane und dann auch schon die Geißelung. Das heißt: Jesus ist permanent auf der Bühne, ohne sich mal kurz einen Schluck Wasser zu gönnen.
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Das wird nicht nur mental, sondern auch körperlich eine Belastung, die mir noch fremd ist. Ich weiß aber von den Darstellern, die den Jesus gespielt haben, dass sie von Wespen oder Kunstblut nichts mitbekommen haben. Sie waren so fokussiert auf die Rolle, dass sie fast alles andere ausgeblendet haben.
Wenn man sich in einem Theater auf eine Rolle vorbereitet, hat man die Premiere als Ziel vor Augen. In Zeiten von Corona ist aber überhaupt noch nicht klar, ob Sie ab 7. Juni spielen können. Was macht diese Ungewissheit mit Ihnen?
Ja, das ist ein sehr unbefriedigendes Gefühl, das man ausblenden muss. Ich tue so, als wenn zeitnah der Tag der Premiere wäre. Ich bin ein positiver Mensch und momentan hoffe ich, dass alles wie geplant stattfinden kann. Ich hoffe, dass die von der Regierung verhängten Maßnahmen nach Ostern spürbar gegriffen haben, dass die Auflagen gelockert werden und dass wir ab Juni spielen. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich die Frage nicht jeden Tag beschäftigt.
So langsam müssten die Proben auf die Bühne nach draußen verlagert werden. Man muss Abläufe und Positionen kennen. Wie sieht das aus?
Viele andere Bühnen sagen mittlerweile nach und nach ab. Sie haben Angst, die Qualität der letzten Jahre nicht bringen zu können, weil die Zeit für Proben fehlten. Wenn wir ein Stück mit Gesang und Tanz machen würden, hätten wir vermutlich auch schon abgesagt, das wäre gar nicht zu stemmen – einfach, weil wir viel mehr Zeit für Tänze und Ensemble-Arbeit bräuchten.
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Aber mit der Passion sind wir noch im Zeitplan und die Textproben mit dem Regisseur per Skype sind eine große Hilfe.
Ist der Jesus für Sie mehr als nur eine Rolle? Glauben Sie, dass diese Botschaft Jesu heute noch zeitgemäß ist und den Menschen etwas gibt?
Ja, ich glaube schon, dass die Leidensgeschichte den Menschen das Gefühl gibt, dass man aus negativen Erfahrungen und Erlebnissen gestärkt hervorgehen kann. Auch Jesus musste erst den Kelch des Leidens trinken. Das gibt vielen Menschen Kraft – das ist eine Botschaft, an die ich auch glaube und die ich so annehme. Hinter jedem Schlechten kann auch etwas Gutes sein und nach einem Leidensweg kommen auch wieder positive Zeiten. Das gibt das Stück mit der Auferstehung Jesu am Ende auch genauso her.