Brilon. Kultur in Zeiten von Corona - das stellt die Macher vor und hinter der Bühne vor Herausforderungen und erfordert viel Geduld und Flexibilität.

Ausverkauft. Und noch mal ausverkauft. Für beide Abende mit der Kabarettistin Frieda Braun im Briloner Kolpinghaus gibt es schon lange keine Karten mehr. Aber Corona macht am 16. und 17. Juni ohnehin vorläufig einen Strich durch alle Planungen. Denn nach derzeitigen Auflagen dürften nur rund 85 der 380 Sitzplätze im Bürgerzentrum belegt werden. „Frieda“ müsste neunmal auftreten, um alle Kartenwünsche zu erfüllen. Diese verrückte Rechnung macht deutlich, in welch verrückten Zeiten wir leben. Und wie schwierig es überhaupt ist, noch Kultur zu machen, zu veranstalten, zu vermarkten.

Frieda müsste neunmal spielen

„In der Tat überlegen wir im Fall von Frieda Braun gemeinsam mit der Künstlerin Karin Berkenkopf, ob sie vielleicht im September an mehreren Abenden oder an einem Wochenende mehrmals vor einem kleineren Publikum auftreten kann – aber natürlich nicht neunmal“, sagt Peter Schmidt. Er ist 2. Vorsitzender bei der Kulturinitiative Brilon (Kulibri) und Vorsitzender des Besucherringes. Was derzeit auf dem Kultursektor läuft, ist auch für ihn Neuland. „Die Auflagen und Bestimmungen können sich jeden Tag ändern. Was heute gilt, kann schon morgen wieder umgeworfen werden. Es gibt inzwischen mehrere Agenturen, die anbieten, dass der Künstler mehrmals auftritt. Zweimal für eine Stunde ohne Pause oder dreimal vierzig Minuten – nur so sind Veranstaltungen derzeit überhaupt noch möglich“, sagt Schmidt.

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Eine Produktion vor 85 Zuschauern zu spielen, ist je nach Aufwand aber alles andere als kostendeckend. „Je nach Größe und abhängig davon, ob noch Musik im Spiel ist, kostet zum Beispiel eine Theaterproduktion zwischen 5.000 und 12.000 Euro“, weiß der Fachmann.

Hohe Kosten

Die letzten beiden geplanten Theatervorstellungen musste der Besucherring Brilon absagen. Ob es am 1. Oktober weitergeht, oder ob der Name des Stücks „Black out“ Programm ist, wird sich zeigen. „Bei beiden Absagen im Frühjahr haben wir den Theatern einen Teil des vereinbarten Geldes gezahlt. Die Bühnen müssen die Schauspieler ja schließlich auch entlohnen und Nachholtermine sind gerade bei den Tournee-Produktionen nicht möglich, weil die Akteure dann schon wieder andere Verpflichtungen haben“, sagt Peter Schmidt. In dem Zusammenhang hat „Kulibri“ in diesen für Künstler so schwierigen Zeiten eine nachahmenswerte Geste gezeigt: „Wir haben einige Rücklagen bilden können und allen Künstlern, die in diesem oder nächsten Jahr bei uns engagiert sind, das Angebot gemacht, die Gage im Voraus zu bezahlen. Zwei oder drei haben das auch schon dankend angenommen.“

Entwicklung abwarten

Wer für eine kulturelle Veranstaltung, die verschoben oder abgesagt wird, Karten gebucht hat, sollte erstmal abwarten, wie sich die Corona-Auflagen weiter entwickeln. Es gibt aber generell die Möglichkeit, die Karten gegen Erstattung des Geldes zurückzugeben, sich einen Gutschein ausstellen zu lassen oder auch das Geld zu spenden. „Denn wir haben wirklich viele tolle Künstler, die unverschuldet durch Corona in eine echte Notlage gekommen sind“, sagt auch Thomas Mester von „Brilon Kultour“. Er kennt die Szene aus drei Perspektiven: aus der Sicht des Kulturbüros, aus der Perspektive seiner eigenen Künstler-Veranstaltungsagentur und als langjähriger Musiker und Sänger auf der Bühne: „Die ganze Situation ist für uns, die wir immer viel Zuspruch für unsere Veranstaltungen bekommen, sehr ungewohnt und einfach nur ganz schlimm.“

Nur zu gut kann sich Mester an den Tag erinnern, als er in kleiner Runde mit Kollegen zusammensaß und die Hansetage abgesagt wurden: „Wir alle wussten, was jetzt kommt. Es war wie ein Schlag in die Magengrube.“ 105 kulturelle Gruppierungen wären im Einsatz gewesen. Die viele Mühe, der persönliche Einsatz aller Beteiligten, alles umsonst. Und so eine Veranstaltung wie z.B. die geplante Symphonic-Pop-Tour mit dem WDR-Rundfunkorchester und Sydney Youngblood lässt sich vermutlich nicht neu terminieren.

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Auch der Briloner Musiksommer und damit das ganze geplante Brilon-Open-Air-Programm fallen Corona zum Opfer. „Wir werden versuchen, einen Großteil der Leute 2021 zu beschäftigen. Aber davon haben sie jetzt nichts“, sagt Mester. Weil die Veranstaltungen wegen höherer Gewalt ausfallen, muss die Stadt keine Ausfall-Gagen zahlen. Die Absage des Musiksommers sei aber in Anbetracht der Corona-Auflagen unumgänglich gewesen: „Wie will man bei solch großen Veranstaltungen auf dem Marktplatz, die ja generell kostenfrei sind, wo jeder ohne Eingangskontrollen hingehen kann, noch nachhalten, wer dort gewesen ist? Wir sind jetzt dabei, zumindest eine kleine Alternative für Anfang August zu planen: ein Mix aus Kino, Konzert und Kabarett in Form von Autokino in einem Briloner Gewerbegebiet. Fünf Tage Kultur am Block, wo Platz für über hundert Autos wäre“, zeichnet Mester zumindest einen kleinen Silberstreif auf den düsteren kulturellen Horizont.

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Von Thomas Winterbergund Jürgen Hendrichs

Hoffen auf neuen Erlass

Ansonsten heißt es Abwarten und Geduld haben. Auch bei der Entwicklung von Indoor-Veranstaltungen kann momentan niemand planbar in die Zukunft blicken: „Mit einem Publikum von 80 Leuten kann man ein Konzert oder einen Comedy-Abend nicht gegenfinanzieren. Ich weiß auch nicht, wie es zum Beispiel für einen Kabarettisten ist, wenn er möglicherweise in ausdruckslose Gesichter hinter Schutzmasken blickt?“ Mester hofft, dass es bis Oktober einen neuen ministeriellen Erlass gibt und dann zumindest die 25. Briloner Jazz-Nacht gerettet wäre. 500 Leute passen in die Schul-Aula. Und mit „4 Wheel Drive“ haben die Veranstalter zum Jazz-Nacht-Jubiläum die Besten der Welt eingeladen. Nils Landgren (Posaune), Michael Wollny (Piano), LarsDanielsson (Bass & Cello) sowie Wolfgang Haffner (Drums) wären ein wirkliches Highlight im Veranstaltungskalender.

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Thomas Mester hofft, dass für die Kulturbranche bald wieder bessere Zeiten anbrechen und dass die angekündigten staatlichen Hilfen für Kulturschaffende auch effektiv verwendet werden dürfen. „Da hängen so viele Existenzen dran.“ Nach und nach breite sich eine gewisse Leere aus: keine Schützenfeste, keine Konzerte, keine Veranstaltungen. Mester: „Brilon ist bekannt dafür, dass hier einiges stattfindet. Der Musik-Sommer, die Straßentheater – das ist ja auch ein Angebot für Daheimgebliebene und eine Form der Image-Pflege für unsere Stadt.“