Brilon. Ein Paketbote soll in Brilon eine Frau sexuell belästigt haben. Das mutmaßliche Opfer leistet vor Gericht einen Eid. Das sind die Details.

Er hört zu. Beugt sich zu dem Dolmetscher, der neben ihm sitzt. Sein Gesicht ist grimmig, während der Staatsanwalt die Anklage verliest. Sexuelle Belästigung. Der 34-jährige Paketlieferant soll am 14. November 2019 die Mitarbeiterin eines Geschäfts in der Briloner Bahnhofstraße bedrängt haben.

Version 1

Der Angeklagte, Familienvater gebürtig aus Kairo, lässt seinen Anwalt reden. Ja, er habe im Rahmen seiner Tätigkeit als Paketlieferant das Geschäft betreten. Ja, mit der Mitarbeiterin habe es immer Probleme gegeben, sie seien nicht auf derselben Wellenlänge gewesen. Immer wieder habe sie ihm Herzchen und Schmetterlinge in das Unterschriftenfeld gemalt.

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Habe ihn warten lassen, obwohl er im Halteverbot gestanden habe. „Am besagten Tag hat mein Mandant sein Paket abgeliefert und ist wieder aus dem Geschäft hinausgegangen. Wie jeder weiß, herrscht in diesem Job ein gewisser Zeitdruck“, erklärt Verteidiger Becker. Kurz darauf habe ihn schon die Polizei angehalten. Mittlerweile fahre er nicht mehr die Strecke nach Brilon.

Version 2

Die Nebenklägerin, 37 Jahre alt und seit diesem Vorfall arbeitslos, reibt immer wieder ihre Hände aneinander, während sie im Zeugenstand sitzt. Doch wenn sie von dem Vorfall berichtet, spricht sie laut und klar und sicher. „Ich war im Obergeschoss und hörte schon das Scangerät, also bin ich zur Wendeltreppe, als er mir schon entgegen kam“, schildert sie den Vorfall. 12.35 Uhr muss es gewesen sein, schätzt sie. „Ich habe um halb eins noch auf die Uhr geschaut, um zu sehen, wieviel Zeit bis zur Mittagspause noch bleibt.“ Er habe plötzlich nah vor ihr auf der Treppe gestanden. Habe gefragt, was da oben ist.

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„Er wollte mich mit seinem Körper nach oben schieben. Ich habe ihn aufgefordert, das zu unterlassen. Er hat mich umarmt, hat an meinem Hintern gegrabbelt, seinen Kopf auf meine Brust gelegt, gerieben. Er hat mich dabei angesehen. Er hat mich gefragt, ob ich rauchen würde.“ 10 bis 15 Minuten soll das so gegangen sein. Irgendwann habe sie sich durchsetzen können. Am Tresen habe sie das Paket entgegen genommen, dabei habe er sie abermals in den Arm genommen. Um 12.55 Uhr habe sie auf die Uhr geschaut, während er den Laden verlassen habe. „Ich wollte wissen, wann ich absperren kann, denn um 13 Uhr machen wir Mittagspause.“ Warum haben Sie ihm denn keine geklatscht?“, fragt Richter Härtel sie.“ Die 37-Jährige zögert nicht, als sie antwortet: „Ich habe gewusst, ich habe nur einen Schlag. Wenn der daneben geht, ist es vorbei. Dann kommt es zum Äußersten.“

Es habe schon immer Probleme mit dem Angeklagten gegeben. Oft habe er nach ihrer Hand gegriffen und sie beim Unterschreiben auf dem Scangerät geführt. Manchmal habe er sich über die Theke gebeugt und sie in die Taille gekniffen. „Von so einem Verhalten habe ich auch von anderen Frauen aus der Bahnhofstraße gehört“, gibt die Nebenklägerin an.

Der Twist

Der Verteidiger des Angeklagten steht auf. „Ich möchte ein Beweismittel einreichen.“ Eine Unterschriftenliste des Lieferdienstes für den er arbeitet, aus der hervorgehe, dass der Angeklagte noch um 12.51 Uhr in einem anderen Laden der Bahnhofstraße eine Unterschrift eingeholt habe. „Somit wäre er nur zwei Minuten in dem entsprechenden Geschäft gewesen, nicht 20, wie die Zeugin behauptet“, sagt Verteidiger Becker. Die Zeugin hatte um 12.53 Uhr unterschrieben.

Für Richter Härtel ist nun klar: Es kann nur eine der beiden Versionen stimmen. Er wendet sich an die Nebenklägerin und weist sie deutlich darauf hin, dass eine Falschaussage eine Straftat sei, die mit Gefängnis bestraft werden könne.

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Nach kurzer Beratung mit Anwalt Brock, der sie vor Gericht vertritt, bleibt die Frau bei ihrer Aussage, korrigiert allerdings das Zeitfenster. „Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. In der Therapie haben wir immer so lange darüber geredet, also habe ich gedacht, dass es auch lange gedauert haben muss.“ Derzeit werde sie wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung behandelt. Anwalt Brock weist darauf hin, dass sich in solchen Situationen auch das Zeitgefühl verschieben könne. Verteidiger Becker entgegnet: „Ich traue meinem Mandanten kognitiv nicht zu, diese Daten manipuliert zu haben.“

EineVereidigung

Insgesamt viermal rät Richter Härtel der Nebenklägerin ab, einen Eid zu leisten. Fragt sie abermals, ob sie dabei bleiben wolle. Ob sie den Ermittlungsaufwand wirklich ankurbeln wolle. Doch die 37-Jährige bleibt bei ihrer Aussage.

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„Dieser Vorfall ist so geschehen und da können Sie mich auch tausend Mal einen Eid leisten lassen.“ Richter Härtel zieht die Augenbrauen hoch, nimmt die Vereidigung der Frau allerdings an, nachdem der Zeugin noch einmal ihre Aussage vorgelesen wurde. „Ich verstehe ja, Frauen sind das schwächere Geschlecht, aber ich hätte dem einfach eine geknallt“, sagt er abschließend zur Staatsanwaltschaft.

Wie es weitergeht

Verteidiger Oliver Brock schildert der WP, wie es nun in dem Fall weitergehen wird. „Zuerst einmal wird der Pullover vom Landeskriminalamt (LKA) daraufhin untersucht, ob DNA vom Angeklagten darauf zu finden ist.“ Außerdem werde ein Sachverständiger des Paketdienstes geladen, der die Echtheit der Daten bestätigen sowie klarstellen solle, ob diese manipulierbar seien. Zudem würden zahlreiche Geschäftsinhaber der Bahnhofstraße befragt werden, ob sie den Paketlieferanten kennen. Darunter auch diejenige Kollegin der Frau, die sie schon vor dem Mann gewarnt haben soll. Ein Termin für die Fortsetzung der Verhandlung gebe es allerdings noch nicht.

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