Hallenberg. Es ist mehr als nur ein Bühnenstück. Die Freilichtbühne Hallenberg bereitet sich auf die Passionsspiele vor. 14.000 Karten sind vorbestellt.
Am Anfang war das Wort. Aber das Wort kann ganz schön nackt sein, wenn es bar jeder Mimik und Gestik gesprochen wird. Und wenn der Sprechende sich erst langsam an die Sinngebung der wohl gesetzten Buchstaben und Silben herantasten muss. Erste Lese-Probe für die Hallenberger Passion 2020.
Mehr ein Bekenntnis
Es ist rappelvoll im Heimstudio der Bühne. Viele bekannte Gesichter, aber auch viele neue. Einige Männer tragen bereits wuschelige Bärte und lange Haare. Die Passion - das ist etwas Besonderes in Hallenberg. Nur alle zehn Jahre wird sie aufgeführt. Mancher rechnet im Kopf nach, wie oft er wohl noch dabei sein kann. Sie ist mehr als nur ein Spiel. Ein Stückweit ist sie sogar ein Bekenntnis. „Es ist meine siebte“, sagt Wolfgang Kaiser, der sich einen Weg durch die Menge bahnt und sich eines der Textbücher abholt. Viele Regisseure hat er kommen und gehen sehen. Viele Diskussionen um Formen der Inszenierung hat er erlebt. Und er ist gespannt, wie es diesmal wird.
Eine Pietà ist auf dem Cover des Textbuches abgebildet. „Nach der Bibel und alten Quellen zusammengestellt und bearbeitet von Wilhelm Wünnenberg“ steht darunter. Freilichtbühnen-Urgestein Wilhelm Wünnenberg selbst hat den Jesus 1980 gespielt und diese erste Fassung geschrieben. Es gibt eine überarbeitete Version von 2010 und eine weitere für 2020. Darin kommt zum Beispiel erstmals ein Erzählerkind vor. „Ich möchte es dem Publikum am Ende überlassen, wie man diese Figur interpretiert. Das Kind ist immer auf der Bühne, es hat das erste und das letzte Wort“, sagt Regisseur Florian Hinxlage. Vielleicht ist das Kind in seiner infantilen Unschuld die einzige Figur, die das Geschehen neutral erzählen kann?
Ensemble zusammenführen
Für den 34-jährigen Regisseur ist die Passion nach „My Fair Lady“ und „Kohlhiesels Töchter“ seine dritte Inszenierung in Hallenberg. Er nutzt den allerersten Probentag, um das Ensemble zusammenzuführen. Und gespannt lauschen die Akteure, was der „Flo“ aus der Passion machen will, wo der Tempel stehen soll, wo die Abendmahlszene spielt und dass den Hauptdarstellern einiges abverlangt wird. Die Geißelung Jesu z.B. solle sehr echt und authentisch wirken.
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„Die erste Lese-Probe ist wichtig, damit das Ensemble ein Gespür für die Inszenierung bekommt. Alle Personen sind erstmals hier in einem Raum. Jeder hat eine persönliche Beziehung und Motivation und jeder möchte das Gesamtbild verstehen; darum sind wir hier.“ In verteilten Rollen werden die Texte gelesen. Das klingt noch sehr steif und trocken. Manche lesen ab, manche geben schon etwas mehr Betonung und Emotion in ihre Stimme. „Ich will die Spieler mit auf eine Reise nehmen. Ich will sie an meinen Gedanken teilhaben lassen, an Gedanken, die ich mir schon seit über einem Jahr mache“, sagt Hinxlage.
Erstmals ein Erzählerkind
Zu viel soll im Vorfeld nicht verraten werden. Aber die „Passion“ wird viele musikalische Facetten bekommen. Für den Part ist Stefan Wurz zuständig, der musikalischer Leiter der Bühne ist. Eigens für Hallenberg wird er eine Musik komponieren, die das Stück emotional tragen soll. Zwei Songs hat er an diesem Abend mitgebracht, die zu Piano-Begleitung gesungen werden. Das „Hosianna!“, mit dem Jesus beim Einzug in Jerusalem umjubelt wird, ist ein verspieltes Lied aus mehreren in sich verschlungenen Loops, also musikalischen Melodien-Schleifen. Und das „Kreuzige ihn!“ klingt schon von seiner Tonart her duster und bedrohlich. Die eingängigen, mehrstimmigen Sätze gehen erstaunlich leicht ins Ohr und lassen erahnen, in welche Richtung die musikalische Reise gehen wird. „Die Passion wird kein Musical, aber sie wird viel Musik enthalten“, verspricht Hinxlage viel Dramatik, Emotionen und Breitbandkino auf riesiger Bühnenfläche.
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In vier Monaten wird die Passion Premiere feiern. Schon jetzt liegen mehr 14.000 Vorbestellungen für die 32 Aufführungstermine vor.
Karten und Infos
Karten und Infos unter www.freilichtbuehne-hallenberg.de oder unter 02984 929190.
Die Proben in den nächsten Wochen werden intensiv. Die Darsteller lernen ihre Figuren kennen: Wer ist dieser Jesus, warum verrät ihn sein Freund Judas, wie steht Maria zu ihrem Sohn und wie tickt dieser Herodes? In welchem Kontext sind sie zu sehen, warum handeln sie so und nicht anders? Und wie weit lässt sich die Figur durch den Charakter des Spielers formen und gestalten oder gar umgekehrt? „All das passiert in den nächsten Wochen und ich freue mich wahnsinnig auf die Arbeit“, sagt Hinxlage.
Ein Bier für Römer und Juden
Im vergangenen Jahr, als die Freilichtbühne mit „Kohlhiesels Töchter“ als Musical eine Welt-Uraufführung spielen durfte, wurde bis zuletzt umgestellt, gefeilt, geändert. Das soll diesmal anders werden. „Wir können uns viel eher auf die Arbeit in den kleinen Ensembles und später in den großen Bildern konzentrieren“, ist Hinxlage optimistisch.
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Nach einer guten Stunde ist das erste Textlesen dadurch. Bei Spielleiter Stefan Pippel melden sich noch einige für eine kleine Rolle. Zum Schluss haben alle Spieler das Textbuch unterm Arm. Jetzt heißt es erstmal: Auswendig lernen!„Kaiphas“ (Helmut Mause) hatte Geburtstag und gibt an diesem Abend noch einen aus - für Römer und für Juden.