Hallenberg. .
Alle zehn Jahre spielt die Freilichtbühne Hallenberg die Geschichte vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi. Sie tut das mit sehr viel Begeisterung und Leidenschaft - mit Passion.
„Ans Kreuz mit ihm!“ Eine aufgebrachte Menge reckt die Fäuste in den blau-schwarzen Abendhimmel. Der Mob tobt in der sonst so beschaulichen Kleinstadt Hallenberg. Alle zehn Jahre spielt die Freilichtbühne die Geschichte vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi. Sie tut das mit sehr viel Begeisterung und Leidenschaft - mit Passion.
Kompletter Probendurchlauf am Montagabend und drei gute Nachrichten vorweg: Es ist endlich einmal trocken und halbwegs warm auf dem 90 Meter breiten Naturgelände. „Lotte“ hat neue Hufeisen bekommen. Ach ja, und die Sandalen sind endlich da. Halleluja!
Gelacht, geweint, gearbeitet
Seit fünf Monaten bilden fast 140 ehrenamtliche Akteure und eine Profi-Regisseurin eine feste Jüngerschaft, in der gelacht, geweint und hart gearbeitet wird. Jeder hat seinen Platz, mancher gleich mehrere. Geld bekommt außer der Spielleiterin niemand von ihnen: egal, ob auf den imaginären Brettern oder im Technikraum, in der Maske oder in der Schneiderei. Pilatus ist für den Bühnenbau zuständig, Josef von Arimathäa für die Pressearbeit. Alles für Applaus und Gotteslohn.
Die Passion ist für die Hallenberger nicht irgendeine Theaterinszenierung. Sie ist ein Stück gelebten und nicht nur gespielten Glaubens. Im Heiligen Jahr 1950 wagten sich die Bühnenleute zum ersten Mal daran. 42.000 Zuschauer kommen inzwischen im Schnitt pro Passions-Spielzeit, 22.000 Karten sind schon vorbestellt. „Wenn ich damals für die Proben oder fürs Spiel frei haben musste, hat mein Arbeitgeber selbstverständlich Ja gesagt. Das war Ehrensache“, erinnert sich einer der ersten Jesus-Darsteller, Wilfried Müller. Heute ist das anders. „Es war gar nicht so einfach, genügend Akteure zu finden. 32 Spieltermine und im Vorfeld mehr als 69 Proben für die Sprechrollen - da macht heute längst nicht jeder Chef oder Kollege mit“, sagt Sprecher Heribert Knecht, der selbst zweimal den Jesus mimte.
Hauptrolle für Burkhard Hesse
Trotzdem ist Dabeisein alles. Auch für Burkhard Hesse. Der Hallenberger im besten Jesus-Alter ist Bilanzbuchhalter und arbeitet in Meschede. Von dort fährt er jeden Probenabend quer durchs Sauerland. „Ich wollte auf jeden Fall mitspielen. Dass es aber gleich die Hauptrolle wurde, hätte ich nicht gedacht“, sagt der Noch-32-Jährige, der heute nur ein Tuch um die Hüften trägt. Gleich soll die Kreuzabnahme geprobt werden. Für ihn sind es die dritten Passionsspiele. Die Karriere ist steil: vom Statisten im Volk, über den römischen Soldaten zum Sohn Gottes.
Als überaus religiös würde sich Burkhard Hesse, der gerne Mountainbike fährt und progressiven Rock mag, nicht bezeichnen. Vor einigen Wochen hat er die Jesus-Figur primär als Rolle gesehen. „Aber inzwischen ist da etwas mehr entstanden. Das geht schon tiefer.“
Regie: Birgit Semmler
Die Kreuzabnahme klappt. Neulich, beim Versuch mit Seilen, trug der Darsteller einige Blessuren davon. Jetzt, aufgefangen von weißen Leinentüchern, geht alles glatt. Regisseurin Birgit Simmler ist sehr zufrieden. Sie hat sich lange mit der Thematik beschäftigt. „Für mich steht der Mensch Jesus im Mittelpunkt. Ein Mensch, der Hass, Neid, Angst und Zweifel erduldet. Der als Sohn Gottes im Gegensatz zu uns aber immer weiß, was richtig ist.“ Die Hallenberger Passion wird daher auch 2010 kein schwulstiges Sandalen-Epos. Es ist eine Geschichte, die lebt und sich ständig weiterentwickelt.
1980 hatte der Hallenberger Wilhelm Wünnenberg die Textfassung komplett überarbeitet. Und auch ab Juni wird eine sprachlich sehr flüssige, nochmals frisierte Fassung gespielt. Die Inszenierung verspricht enormen Tiefgang und ist trotzdem sehr modern. Jesus tanzt und freut sich mit den Jüngern, das Abendmahl wird nicht an einer langen Tafel, sondern an verschiedenen Tischen gehalten und es sind Frauen dabei. In einer anderen Szene küsst Jesus Maria von Magdala und ganz zum Schluss steht er Hand in Hand auf Augenhöhe neben seinem Verräter Judas. Auch das ist ungewöhnlich, unterstreicht aber letztlich die Aussage des verzeihenden Jesus.
Kein Abziehbild
„Jede Passion ist anders. Sie ist nicht wie ein Abziehbild ihrer Vorgängerin“ sagt Albert Winter, Vorsitzender der Spielschar. Auch mit Oberammergau verbindet die Bühne nichts. Kein Rummel, kein Devotionalienhandel. „Wir wollen die Leute nur ein wenig zum Nachdenken bringen“, sagt Winter. Heute Morgen war er eigens über eine Stunde lang beim Zollamt in Marburg, um eine Lieferung aus Jerusalem abzuholen. 20 Paar Sandalen. „Wir haben nirgends welche bekommen und haben sie daher extra einfliegen lassen.“
Unterdessen trabt „Lotte“ über die Bühne. Das Pferd haben sich die Hallenberger für eine Saison ausgeliehen, weil sie ein bühnenerfahrenes Ross brauchten. Vor Jahren spielte „Lotte“ den „Kleinen Onkel“ bei Pippi Langstrumpf. So eine Passion kann einen schon verändern.
Weitere Infos zu Terminen, Anfahrt und Eintrittspreisen unter: http://www.freilichtbuehne-hallenberg.de/