Marsberg/Brilon. Mit einem Küchenmesser soll ein syrischer Staatsbürger in Marsberg auf einen Landsmann losgegangen sein. Dafür gibt’s eine bewegte Vorgeschichte.
Die Liebe zu einem Mädchen hat zwei Männer aus Marsberg vor das Amtsgericht Brilon gebracht. Schon seit Wochen kochte die Dreiecksbeziehung hoch – bis einer der beiden, ein 25-jähriger Syrer, ein Messer gezückt hat. Jetzt sitzt er sichtlich betreten auf der Anklagebank und hört Staatsanwalt Keller bei seiner Anklage zu. Versuchte gefährliche Körperverletzung mit einem 16 Zentimeter langen Küchenmesser.
Der Angeklagte braucht lange, bis er die Beleidigung aussprechen kann
„Ich habe Angst um mich gehabt“, sagt der Angeklagte mit nervös zitterndem Knie. Alles begann vor etwa einem Jahr, als der 25-Jährige mit seiner neuen Freundin zusammen kam. Das Problem: knapp zuvor war die 18-jährige Marsbergerin mit einem flüchtigen Bekannten ihres Freundes zusammen. „Ja, wir kannten uns etwa ein Jahr. Ich arbeite als Friseur und er kam zu mir, um sich seine Haare schneiden zu lassen“, sagt der Angeklagte über den 20-jährigen Olsberger, der ebenfalls aus Syrien stammt.
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Der Kontakt sei abgebrochen nachdem der Angeklagte mit seiner Freundin zusammen gekommen sei.
Nach acht Monaten Funkstille sei der 20-Jährige allerdings am 11. Juni vergangenen Jahres in dem Friseurladen in Marsberg aufgetaucht, in dem der Angeklagte arbeitet. „Er hat gefragt, warum ich über ihn rede. Ich sei kein Mann. Dann hat er mich beleidigt.“ Richter Schwens hakt nach, doch der Angeklagte braucht mehrere Minuten um auszusprechen, was der Olsberger gesagt haben soll: „Ich ficke deine Mutter.“ In seinem Kulturkreis gäbe es keine schlimmere Beleidigung erklärt er auf Nachfrage des Gerichts. Sein Chef sei eingeschritten und habe den Olsberger nach mehreren Ermahnungen aus dem Geschäft geworfen.
Der Angeklagte beginnt zu weinen: „Er hat gedroht, meine Familie zu töten“
„Später ist dann der Bruder von meinem Chef losgefahren, um die Sache zu klären.“ Dieser sei zum Vater des Olsbergers gefahren, um ihn zu bitten, seinen Sohn aus dem Laden fern zu halten. Die Stimme des Angeklagten bricht und Tränen steigen ihm in die Augen. „Dann hat sein Vater zu dem Bruder meines Chefs gesagt, dass er meine Familie in Aleppo töten und ihr Haus verbrennen will.“ Er schnäuzt dabei laut in ein Taschentuch. Verteidiger Prümper wirft ein: „Der Angeklagte leidet sehr unter dem Verfahren.“
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Noch am selben Nachmittag habe er dann den Olsberger noch aus dem Friseurladen heraus angerufen. „Ich war sauer und nervös. Als er ans Telefon gegangen ist, habe ich zu ihm gesagt: ich bin der, der deinen Kopf kaputt tritt.“ Zufällig befand sich der Olsberger direkt in der Nähe des Geschäfts, wie der Angeklagte berichtet. Er sei hinausgegangen und habe den 20-Jährigen aus sich zukommen sehen. Er sei zur Beifahrertür gelaufen und habe ein Küchenmesser aus dem Handschuhfach geholt, das er eigentlich zum Kochen mit zur Arbeit habe nehmen wollen. Als der Olsberger zum Schlag ausgeholt habe, habe er ihn mit dem Messer in der Hand zurückgeschubst, bis sein Chef herausgestürmt sei, um die beiden zu trennen.
Verwarnung für den Täter
Eine Geldstrafe unter Vorbehalt ist wie eine Verwarnung durch das Gericht. Der Täter gilt damit als verwarnt während sich das Gericht die Verhängung einer Geldstrafe vorbehält, falls der Täter erneut straffällig wird oder Auflagen, die mit der Verwarnung verbunden sind, nicht erfüllt.
„Ich bin nur hier in Deutschland, weil ich in Aleppo in die Armee sollte, um die armen Leute in meinem Dorf umzubringen. Ich will niemanden umbringen.“ Richter Schwens zeigt Verständnis, mahnt aber: „Wir klären Probleme hier aber verbal und nicht mit einem Messer. Das haben auch genug Deutsche noch nicht verstanden.“
„Ich habe zu ihm gesagt, er soll aufhören zu bellen, sonst gibt es Stress.“
Der 20-jährige Olsberger, der ebenfalls als Nebenkläger am Prozess teilnimmt, schildert das Geschehen anders. „Meine Freundin ist mit ihm fremdgegangen. Wir haben uns getrennt. Und dann habe ich gehört, dass er Unklarheiten erzählt hat. Dann bin ich in den Laden und habe ihm gesagt, er soll aufhören zu bellen, sonst wird es Stress geben. Sonst trete ich seinen Kopf kaputt.“
Angeblich habe der Angeklagte erzählt, dass der Olsberger seine Freundin zurückhaben möchte, obwohl diese nun mit ihm zusammen sei.
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„Das ist doch nichts Schlimmes, das nennt man Liebe“, erwidert Richter Schwens. Der Olsberger schüttelt stoisch den Kopf: „Nein, bei uns ist das nicht so.“ Zwar gibt er den lautstarken Streit in dem Friseurladen zu, bestreitet aber, dass sein Vater Drohungen ausgestoßen habe. Zudem habe der Marsberger ihn angerufen, als er in der Nähe des Friseurladens war. „Er hat zu mir gesagt, ich soll zurückkommen und als ich mich umgedreht habe, war er vor dem Laden und ist zu seinem Auto gerannt.“ Er habe das Messer gesehen und vor Schreck nicht mehr davonlaufen können. Nur ein Ausfallschritt habe ihn davor bewahrt, verletzt zu werden.
Zeugenaussagen werfen Rätsel auf
Was nun folgt sind Zeugenaussagen, die mehr Rätsel aufwerfen als Antworten geben. Ein 30-jähriger Marsberger sei direkt dazwischen gegangen, als er den Streit beobachtet habe. Von einer Messerstecherei habe er aber nichts gesehen. Ein 18-jähriges Mädchen giggelt fast ausschließlich bei jeder Frage. Eine 16-Jährige habe nur eine laute Auseinandersetzung gehört. „Wieviel Versionen haben wir nun? Vier?“, fragt Richter Schwens.
Erst die Aussage des 16-jährigen Freundes des Olsbergers, der direkt neben ihm stand, als der Angeklagte auf die beiden traf, liefert eine klarere Version der Geschehnisse.
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So habe der Olsberger seinem Freund seine Jacke in die Hand gedrückt und sei auf den Marsberger zugegangen, als dieser mit dem Messer seinerseits auf die beiden zugekommen sei. Der Angeklagte habe mit dem Messer ausgeholt und eine Bewegung vom Nacken abwärts über die Brust gemacht. Der Olsberger sei daraufhin zur Seite weggetreten.
Selbst Staatsanwalt, Verteidiger und Richter sind sich uneins
Und nun sind selbst Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht sich nicht mehr einig. Verteidiger Prümper will eine außergerichtliche Entscheidung, während Richter Schwens kontrollieren will, dass Ruhe zwischen den Streithähnen einkehrt. „Das haben wir auch nach einem Urteil nicht“, moniert Prümper. „Wir können nicht akzeptieren, dass eine Auseinandersetzung auf der Straße mit einem Messer geregelt wird“, widerspricht Richter Schwens. Dabei hat auch Staatsanwalt Keller Bauchweh: „Wir müssen mit diesem Urteil ein eindeutiges Zeichen setzen. Messereinsatz, das geht nicht.“ Die Verteidigung widerspricht: „Der Besitz eines Messers ist nicht strafbar.“
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Dann fällt eine Entschuldigung – mit Küsschen auf die Wange
Staatsanwaltschaft und Verteidigung wiederholen ihre Standpunkte in den Plädoyers, wobei Staatsanwalt Keller auf eine Geldstrafe von 3000 Euro plädiert, Verteidiger Prümper auf Freispruch. Noch bevor das Urteil fällt, entschuldigen die beiden Landsmänner sich allerdings beieinander – mit Küsschen auf die Wange. „Sie sind doch mustergültig integriert. Sie sprechen toll deutsch, arbeiten, gehen zur Schule. Sie müssen Ihr Temperament kontrollieren.“ Das Gericht verurteilt den Marsberger schlussendlich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1800 Euro unter Vorbehalt.