Hochsauerlandkreis. Stefan Pletziger und Hans-Joachim Bexkens sind Notfallseelsorger im Hochsauerland. Sie erzählen, wie sie Menschen in den ersten Stunden helfen.
Seinen ersten Einsatz als Notfallseelsorger hatte Stefan Pletziger im Frühjahr dieses Jahres. Auf der Kreisstraße zwischen Brunskappel und Wiemeringhausen hatte es an dem Tag einen tödlichen Verkehrsunfall geben. Ein Motorradfahrer, der mit einer Gruppe unterwegs war, war frontal mit einem Radfahrer zusammen gestoßen. Beide Menschen waren noch an der Unfallstelle verstorben. Ein typischer Fall, in dem ein Notfallseelsorger angefordert wird, um den übrigen Unfallbeteiligten, aber auch Augenzeugen oder Angehörigen beizustehen.
Erste Einsätze gemeinsam mit einem erfahrenen Kollegen
Inzwischen hat Stefan Pletziger weitere Einsätze absolviert, unter anderem war er auch bei einem der Suizide vor Ort, die sich auf dem neuen Autobahnzubringer ereignet haben.
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Zur Seite stand ihm bei dieser ehrenamtlichen Aufgabe anfangs Hans-Joachim Bexkens, ein sehr erfahrener Notfallseelsorger, der nicht nur Angehörigen in Notfallsituationen zur Seite steht, sondern auch Einsatzkräften von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst. Er ist Mitbegründer des PSU-Teams HSK, das seit 2002 psychische und soziale Unterstützung für professionelle Einsatzkräfte leistet.
Für Stefan Pletziger als Neuling in der Notfallseelsorge war es ein gutes Gefühl, bei seinen ersten Einsätzen von einem so erfahrenen Notfallseelsorger begleitet zu werden, obwohl er gut vorbereitet und ausgebildet in seine neue Aufgabe gestartet ist. Für Stefan Pletziger war die Notfallseelsorge zunächst aber Neuland. Der 42-Jährige Volkswirt ist seit Ende 2018 mit dabei. Beruflich ist der Bruchhauser vielen Sauerländern sicher als Regionalmanager der Leader-Region „4 mitten im Sauerland“ bekannt.
Heute arbeitet der Familienvater bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Der Wunsch, sich sozial zu engagieren und die Erfahrung, dass es Menschen leicht fällt, sich ihm anzuvertrauen, hat ihn zur Notfallseelsorge gebracht - ein Schritt, der sich für ihn mit seinen ersten Erfahrungen als richtig erwiesen hat.
„Erste Hilfe für die Seele“
Sehr viel Erfahrung mit Unfall, Tod und Schicksalsschlägen bringt Hans-Joachim Bexkens in seine Arbeit ein. Der heute 67-Jährige ist nebenamtlich in der katholischen Kirche als ständiger Diakon tätig und hat sich 45 Jahre ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr Winterberg engagiert. Viele Jahre war er dort als Hauptbrandmeister im Einsatz. In dieser Zeit hat er viel Leid erlebt und hat erfahren, wie wichtig es ist, dass auch Einsatzkräfte mit dem, was sie erleben, nicht allein gelassen werden. Er weiß: „Früher wurde das überhaupt nicht thematisiert. Heute ist das zum Glück ganz anders. Die Gespräche nach belastenden Einsätzen sind sehr wichtig. Das gilt sowohl für die Notfallseelsorger als auch für hauptamtliche Einsatzkräfte.“
Zuhören und Schweigen
„Erste Hilfe“ für die Seele. Das bietet die Notfallseelsorge an. „In 90 Prozent der Fälle geht es einfach darum, da zu sein, zuzuhören und in das Schweigen hineinzuhören“, erklärt Hans-Joachim Bexkens. Außerdem ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass es jemanden gibt, der dem Betroffenen zur Seite steht, wenn die Notfallseelsorger wieder weg sind. „Man kann nicht jemanden, der eine Todesnachricht bekommen hat, allein lassen. Auch einen Zeugen kann ich nicht an der Unfallstelle einfach zurücklassen. Wir sorgen dafür, dass Angehörige oder Freunde da sind, die sich dann weiter um die Menschen kümmern.“ Wichtig sei es zum Beispiel, dass Betroffene aktiv bleiben. „Selbst wenn ich keinen Kaffee mag, würde ich keinen Kaffee ablehnen, den mir ein Betroffener anbietet. Muss jemand telefonisch benachrichtigt werden, wähle ich die Nummer, lasse aber den Angehörigen dann selbst sprechen“, erzählt der Notfallseelsorger. „Sie müssen sich das so vorstellen: Wir kleben im übertragenen Sinn das erste Pflaster auf und bieten unsere Hilfe an.“
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Menschen reagieren ganz unterschiedliche auf schlimme Nachrichten
Stefan Pletziger betont, dass Notfallseelsorger keine Psychologen sind, sondern nur in einer akuten Situation da sind, um Opfern, Angehörigen oder anderen Beteiligten beizustehen. „Für posttraumatische Belastungsstörungen sind Experten zuständig“, so der 42-Jährige. Auch er hat bereits die Erfahrung gemacht, dass jede Situation ganz anders ist und, dass die Menschen ganz unterschiedlich auf die persönliche Katastrophe, mit der sie gerade konfrontiert werden, reagieren. Er erzählt: „Mögliche Reaktionen können kämpfen, fliehen oder auch völliges Erstarren sein.“ Hans-Joachim Bexkens ergänzt: „Oft sind es Bilder, Geräusche oder auch Gerüche, die ich an einem Unfallort aufnehme, die zu einem akuten Belastungssyndrom führen. Wenn sich diese Wahrnehmungen innerhalb von 72 Stunden nicht verändern, benötigt der Betroffene psychologische Hilfe.“
Hans-Joachim Bexkens weiß: „Auch als Notfallhelfer muss man auf sich selbst achten und man muss ehrlich mit sich sein. Es kann immer auch erfahrenen Helfer passieren, dass sie von einem Fall quasi übermannt werden. Dann muss man sich selbst Hilfe holen.“ Möglich sei zum Beispiel auch eine professionelle Supervision. Immer werde auch nach einem Einsatz innerhalb von 24 Stunden ein Gespräch mit den eingesetzten Kollegen geführt. Tabu sind für die Notfallseelsorger übrigens Einsätze, wenn sich herausstellt, dass es eine persönliche Beziehung zu den Beteiligten gibt. Aus seiner langjährigen Feuerwehr-Erfahrung weiß Bexkens aber, dass Feuerwehrleute, die ja wohnortnah zu Einsätzen alarmiert werden, oft genau mit der Situation konfrontiert werden, dass sie Unfallopfer und ihre Angehörigen kennen. „Das kann natürlich sehr belastend sein und dann versucht man auch möglichst schnell die heimische Feuerwehr gegen andere Einsatzkräfte auszutauschen“, so Hans-Joachim Bexkens.
Besondere Sensibilität bei Suiziden
Genau wie die Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst müssen Notfallseelsorger immer damit rechnen, dass sie zu einem Einsatz gerufen werden. Natürlich sei es aber möglich, Einsätze an Kollegen weiterzugeben- zum Beispiel, wenn es um einen Unfall geht, bei dem kleine Kinder betroffen sind. Dann würde natürlich nicht der Kollege eingesetzt, der selbst Kinder in gleichen Alter hat. Mensch berührende Einsätze sind auch immer die, bei denen es um Suizide geht. In den vergangenen Wochen ist das Thema in Zusammenhang mit der neuen Autobahnbrücke auch öffentlich in den Fokus gerückt worden. Hans-Joachim Bexkens mahnt mit Blick auf dieses Thema zu besonderer Sensibilität. Nicht nachvollziehen kann er die in diesem Zusammenhang genannte Zahl von 16 Menschen, die sich dort in den Tod gestürzt haben sollen. „Die Zahl ist nach unseren Erkenntnissen und nach Rücksprache mit den zuständigen Behörden nicht realistisch - es sind weniger gewesen“, so der Notfallseelsorger.
Video-Clip des Erzbistums stellt Hans Joachim Bexkens vor
Das Erzbistum Paderborn bietet auf seiner Homepage Video-Clips zu Veranstaltungen im Erzbistum Paderborn, zu Feiertagen, besonderen Ereignissen und anderen Themen an. Dort gibt es ganz aktuell auch ein Video mit Hans Joachim Bexkens. Der 67-Jährige ist Notfallseelsorger und seit 2001 ständiger Diakon im Pastoralverbund Winterberg. Unter dem Titel „Jeder von uns kann Seelsorger sein“ berichtet er in dem Video, warum er sich auf den Weg zum Diakon gemacht hat, was ihm die Kraft für diese Aufgabe gibt.
Hans Joachim Bexkens lebt in Elkeringhausen, ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und fünf Enkelkinder. Viele Jahre war er bei der Feuerwehr Winterberg aktiv. Gelernt hat Hans-Joachim Bexkens das Elektriker-Handwerk. Später war er Leiter eines Familien-Ferienheims.
Die Videos findet man im Internet unter: www.erzbistum-paderborn.de/themen-angebote/videos oder unter www.youtube.com/watch?v=US4dhDrpm3A