Nuttlar. Die Brücken auf dem neuen Autobahnteilstück in Bestwig ziehen immer wieder Menschen mit Selbstmord-Absichten an. Die Zahl ist erschreckend.

Hinweis

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide, es sei denn, sie erfahren durch ihre Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst depressiv sind und Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge über die kostenlose Hotline 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22. Hilfe für Menschen, die unter Depressionen leiden, gibt es außerdem auch beim Bündnis gegen Depression unter: 0291/941469.

Es sind Vorfälle, die für Entsetzen sorgen und nachdenklich machen. Immer wieder stürzen sich Menschen von der neuen Talbrücke Nuttlar und der benachbarten Bermecke-Brücke, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Erst am vergangenen Freitag sprang am frühen Morgen eine Frau von der Bermecke-Brücke in den Tod.

Zur genauen Anzahl der Todesfälle seit dem Bau können weder Polizei und Rettungsleitstelle, noch der Landesbetrieb Straßenbau konkrete Angaben machen. Eine direkte Abfrage sei nicht möglich, teilt Kreissprecher Martin Reuther auf Nachfrage mit. Sicher verzeichnet seien im Rechner der Leitstelle vier Suizide. Unbestätigten Angaben zufolge soll die Zahl allerdings deutlich höher sein. Sie soll sich mittlerweile im unteren zweistelligen Bereich bewegen.

Für 10.000 Brücken zuständig

An den Menschen in Nuttlar gehen diese immer wiederkehrenden Nachrichten ebenso wenig spurlos vorüber wie am Landesbetrieb Straßenbau NRW in Meschede. Dort steht man dem tragischen Phänomen allerdings mehr oder weniger machtlos gegenüber, wie Pressesprecher Oscar Santos betont.

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In seiner Behörde, weiß man um die Anziehungskraft, die derlei exponierte Rekord-Bauwerke auf Menschen ausüben, die in ihrem Leben keinen Sinn mehr sehen. Und ausgerechnet in Nuttlar steht nun mit 115 Metern die höchste Autobahnbrücke Nordrhein-Westfalens. Bei aller Tragik: Für rund 10.000 Brücken ist der Landesbetrieb zuständig.

„Es ist unmöglich, all diese Bauwerke mit Gittern oder Zäunen so abzusichern, dass Suizide ausgeschlossen werden können“, sagt Santos und bemüht einen Vergleich: Auch die Deutsche Bahn werde niemals ihr gesamtes Streckennetz schützen können. „Es ist tragisch und traurig, aber Suizide lassen sich durch Sicherungsmaßnahmen nicht verhindern“, so der Landesbetriebs-Sprecher gegenüber unserer Zeitung. Ebenso wie die Bahn sei seine Behörde bedauerlicherweise „relativ häufig“ mit Suiziden konfrontiert. Eine Statistik über die Zahl der Todesfälle gibt es beim Landesbetrieb nicht. Ohnehin übt sich die Behörde bei dem Thema in äußerster Zurückhaltung aus Sorge vor Nachahmern und Angehörigen.

Bundesweite Schlagzeilen

Und doch gibt es Ausnahmen, wenn es um die Absicherung von Brückenbauwerken geht. So etwa bei der Ruhrtalbrücke. Auch dort hatten sich nach nach dem Ende des Baus in den 60er-Jahren häufig Suizide ereignet. Schnell machte die 60 Meter hohe Autobahnbrücke, die das Ruhrtal zwischen Essen und Düsseldorf überspannt, Schlagzeilen unter dem Namen „Todesbrücke“ und „Selbstmörderbrücke Nummer 1“. In den 1980er-Jahren wurden die Geländer durch einen hohen Zaun ersetzt. Ähnlich abgesichert ist auch der Volmeabstieg, eine Zubringerbrücke, die den Ortsteil Hagen-Eilpe und die Anschlussstelle Hagen-Süd miteinander verbindet. Eine solche Absicherung ist laut Santos allerdings für den neuen Autobahnabschnitt nicht geplant.

So schlimm es sei, sagt er, ein Mensch, der den festen Willen habe, seinem Leben ein Ende zu setzen, werde immer eine Alternative finden. Daher bleibe uns allen nur die Hoffnung, dass sich die Menschen, auch wenn sie noch so verzweifelt sind, immer daran erinnern mögen, wie wertvoll und schön das Leben ist.

„Von pauschalen Ratschlägen ist dringend abzuraten“

Dirk Grajaszek ist als Leiter des Fachbereichs Beratung und Seelsorge bei der Diakonie auch für die Telefonseelsorge zuständig. Wir haben mit ihm über das Thema Suizid gesprochen

Dirk Grajaszek, Leiter des Fachbereich Beratung und Seelsorge bei der Diakonie Ruhr-Hellweg       
Dirk Grajaszek, Leiter des Fachbereich Beratung und Seelsorge bei der Diakonie Ruhr-Hellweg       © Privat

Wie häufig melden sich Menschen bei der Telefonseelsorge, die mit dem Gedanken spielen, sich das Leben zu nehmen?

Im Jahr 2018 meldeten sich insgesamt mehr als 4000 Menschen bei der Telefonseelsorge Hochsauerland. Rund 40 von ihnen äußerten, an Suizid zu denken.

Wie können Sie diesen Menschen konkret helfen?

Für die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge sind dies besonders herausfordernde Momente. Ein „Patentrezept“, wie man in solchen Situationen reagiert, gibt es nicht, ein einfühlsames Gespräch kann eine erste Brücke sein. Entscheidend ist es, inwieweit es gelingt, eine gute Beziehung am Telefon aufzubauen. Von pauschalen Ratschlägen wie „Bald kommen bessere Zeiten“ ist dringend abzuraten. Stattdessen versuchen wir, den Menschen dabei zu helfen, ihr Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Welche positiven Erfahrungen und Erlebnisse gibt es? Was hat ihn oder sie bisher im Leben gehalten? Das gilt es, im Gespräch zu erspüren.

Was raten Sie Menschen, die in ihrem Umfeld Selbstmordgedanken eines Freundes oder eines Verwandten mitbekommen oder möglicherweise auch nur den Verdacht haben, dass sich jemand etwas antun könnte?

Die offene Aussprache mit einem verständnisvollen Menschen hilft in vielen Fällen zum Leben zurück zu finden. Eine solche Vertrauensperson kann in der Krisensituation Beistand leisten - das heißt Beziehung anbieten: ernsthaft nach konkreten Suizidideen oder Suizidhandlungen fragen. Suizidalität ist ein Ausdruck von Not - das heißt: akuten Handlungsdruck erfragen. Die Sorgen des Betroffenen sollte man ernst nehmen und geduldig zuhören, also Zeit, Zuwendung und Fürsorge zur Verfügung stellen. Wichtig ist das Vermeiden von Vorhaltungen und das Vermitteln von Zuversicht. Positiv erlebte Bezugspersonen sollten mit einbezogen werden. Gegebenenfalls ist auch die Begleitung zu einer Hilfseinrichtung (z.B. Klinik) sinnvoll. Wichtig ist aber auch, eigene Grenzen zu erkennen und selbst Unterstützung zu suchen. Auch hier gilt: Auf gar keinen Fall moralische Vorhaltungen machen. Keine allgemeinen Ratschläge geben. Keine Kritik an dem Wunsch des Betroffenen äußern und zu bagatellisieren im Sinne von „Das ist doch alles nicht so schlimm“.

Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide, es sei denn, sie erfahren durch ihre Umstände besondere Aufmerksamkeit.

Wenn Sie selbst depressiv sind und Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge über die kostenlose Hotline 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22.

Hilfe für Menschen, die unter Depressionen leiden, gibt es außerdem auch beim Bündnis gegen
Depression
unter: 0291/941469.