Arnsberg/Winterberg. . Am 22. Verhandlungstag im Prozess gegen eine zehnfache Mutter aus Winterberg ist das Urteil gefallen. 41-Jährige zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Die Frau auf der Anklagebank ringt mit den Worten, Weinkrämpfe unterbrechen ihre Sätze. „Ich habe meinem Sohn den Spitznamen ,kleiner Sonnenschein’ gegeben“, sagt sie in ihren aufwühlenden Schlussworten, „weil er immer beim Lächeln so sehr aus den Augen strahlte.“ Ihr Sohn wurde nur 25 Monate alt, er ist verhungert und verdurstet.

Das Landgericht Arnsberg verurteilte am Freitag die zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall und Körperverletzung durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Unmittelbar nach dem Urteil kündigte ihr Anwalt Stephan Lucas an, Revision einzulegen.

Angeklagte fleht: "Bitte stecken Sie mich nicht ins Gefängnis"

Die 41 Jahre alte Angeklagte trägt auch am letzten Verhandlungstag - dem 22. - eine schwarze Perücke und eine Sonnenbrille und kehrt den Besucherplätzen den Rücken zu. Sie habe sich seit dem Prozessauftakt im September 2017 verkleidet, um ihre neun noch lebenden Kindern zu schützen. Vor einer Stigmatisierung. „Ich habe Angst, dass es eine zu große Belastung für meine Kinder wird, wenn Menschen mit dem Finger auf mich zeigen.“ Auf die Frau, die gestanden hat, für den Hungertod ihres zweijährigen Sohnes verantwortlich zu sein.

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Vergeblich bittet sie die Kammer am Ende ihrer Ausführungen: „Bitte stecken Sie mich nicht ins Gefängnis. Meine Kinder brauchen mich. Ich liebe sie aus tiefstem Herzen.“ Ja, sie habe eine Strafe verdient, sagt die zierliche Frau, aber nichts könne die Vorwürfe widerspiegeln, die sie sich täglich und ein Leben lang selbst mache. „Natürlich hätte ich früher reagieren müssen.“

Säugling wird in Hüstener Kinderklinik gerettet

Warum bloß hat sie im Februar 2014 nicht verhindert, dass ihr Sohn verhungert ist und eine kleine Tochter in eine lebensbedrohliche Situation geriet. Auch der Säugling war unterernährt, konnte aber in letzter Minute in der Hüstener Kinderklinik gerettet werden. Ihr Münchner Verteidiger Stephan Lucas findet in seinem Schlusswort für sich eine Erklärung: „Sie war als zehnfache, alleinerziehende Mutter überfordert“, sagt er, „sie war viel zu allein.“ Seine anschließenden Fragen sind Anklagen: „Wo war der leibliche Vater der Kinder? Wo war das Jugendamt?“ Rund um den Tod des Kleinkindes hätten viele versagt, findet er. „Allen voran der Sozialstaat.“

Am Ende seiner Ausführungen in einem „für alle strapazierenden Prozess“ plädiert der erfahrene Anwalt auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Seine Mandantin habe den Tod ihres Sohnes fahrlässig verursacht, aber nicht vorsätzlich. Sie habe gemerkt, dass die beiden Kinder völlig unterernährt waren, „aber sie konnte aus eigener Kraft nichts daran ändern.“ Mehr noch: „Sie glaubte, alles Erforderliche zu tun. Dachte, es reiche aus, wie sie die Kinder täglich umsorgte.“

Staatsanwalt fordert vierjährige Haftstrafe

Staatsanwalt Klaus Neulken hatte seinen Schlussvortrag bereits im vergangenen Januar gehalten. Am 22. und letzten Verhandlungstag fordert er eine vierjährige Haftstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Körperverletzung durch Unterlassen. Er will die Aussage der 41-Jährigen nicht gelten lassen, dem kleinen Sohn und der kleinen Tochter Nahrung angeboten zu haben - die diese aber nicht genommen hätten. „Eine Mutter hat nichts anzubieten, sondern dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder etwas essen und trinken und nicht sterben.“

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Diese Ansicht vertrat auch das Schwurgericht: „Sie hatte die tatsächliche und medizinische Versorgung des Kindes sicher zu stellen“, so Richterin Dorina Henkel. Der zweijährige Junge wog an seinem Todestag 6550 Gramm. Auch die Kammer erkannte eine „objektive Überlastungssituation“ bei der Mutter.

Anwalt Stephan Lucas hat die Strafhöhe „erschreckt“, wie er sagt. „Man hätte es auch mit zwei Jahren bewenden lassen können.“ Seine Mandantin setzt ihre Hoffnungen auf die Revision. Dass ihr ein Gefängnisaufenthalt doch noch erspart bleibt und sie sich um ihre Kinder kümmern kann. Die beiden ältesten - beide volljährig - wohnen bei ihr, die anderen - ihr wurde das Sorgerecht entzogen - sieht sie regelmäßig. „Ich lebe für meine Kinder“, hatte die 41-Jährige in ihren Schlussworten gesagt, „ich würde kein anderes Leben als das einer Mutter leben wollen.“