Bochum. Die beiden Kabarettisten Fritz Eckenga und Frank Goosen sprechen über den BVB, VfL Bochum, Ruhrpott-Feeling, Kultur und die Sucht Stadion.
Beim Auswärtsspiel ins Stadion? Ne, das müsse nicht mehr sein, erzählt der Kabarettist Frank Goosen und guckt dabei seinen Kollegen Fritz Eckenga an. Das könne er nicht mehr ertragen, wenn die vielen Menschen um einen herum jubeln würden, wenn ihre Mannschaft gegen seinen VfL Bochum getroffen hat. „Und bei euch sind es noch einmal mehr“, sagt er und zeigt auf Eckenga. Bei ihm - das ist im Westfalenstadion. Eckenga ist Fan von Borussia Dortmund, Goosen vom VfL Bochum. Am Freitagabend treffen die beiden Klubs zum Derby in der Bundesliga aufeinander. Zuvor haben wir zwei ihrer Fans zum Interview im Bochumer Schauspielhaus getroffen. Jenem Ort, an dem sich beiden ähnlich wohlfühlen, wie im Stadion. Ein Gespräch über Fußball, Kultur, Ruhrpott-Romantik und warum sie immer noch ins Stadion pilgern.
Herr Goosen, Herr Eckenga, Sie beide auf dem Fußball-Platz im Eins-gegen-Eins. Wer gewinnt?
Frank Goosen: Na, Fritz, gucken Sie sich den doch an. Ich bin nur ganz gut bei Standards – wenn man sich nicht viel bewegen muss.
Fritz Eckenga: Ich war mal Torwart, ich schätze, ich gewinne.
Da sind Sie sich einig. Und beim Blick aufs Derby am Freitag? Welche Gefühle löst dieses Spiel bei Ihnen im Vorfeld aus?
Goosen: Als VfL-Fan, dessen Verein häufiger in der 2. Liga als Dortmund gespielt hat, ist es die Bestätigung, dass es einfach dazugehört. Ich bedauere es sogar, dass Schalke in der 2. Liga spielt. Ich bin damit aufgewachsen, dass wir gegen beide spielen. Auf dem höchstmöglichen Niveau. Ich werde manchmal gefragt, ob es nicht geiler gewesen wäre, in der 2. Liga gegen die ganzen Traditionsvereine zu spielen. Auf keinen Fall! Ich spiele zwar nicht gern gegen Hoffenheim – aber Spiele gegen den BVB, wie damals beim Klassenerhalt in Dortmund, die nehme ich mit Kusshand.
Eckenga: Ich freue mich, dass wir diese Spiele gegen Bochum haben. Mich verbindet viel mit Bochum, ich bin hier geboren. Ich habe in der Stadt selbst in Werne Fußball gespielt. Die erfolgreichste Zeit hatte ich, als Erwin Galeski, eine VfL-Legende, seine Bundesliga-Karriere beendete und mein Spielertrainer wurde. Er war mein Libero und hat mir das Torwartspiel erst richtig beigebracht. Ich nehme Bochum und Dortmund nicht mal als zwei Städte wahr.
Das klingt, als würde man als Dortmunder das Spiel gegen Bochum gar nicht so wichtig nehmen. Das richtige Derby ist das gegen Schalke, oder?
Eckenga: Ich habe mit Schalke auch nicht das große Problem, ich hätte es lieber, wenn sie in der Bundesliga spielen würden. Das wird so schnell aber nicht gelingen. Diese aufgepumpte Feindschaft steht mir sowieso bis zum Hals.
Goosen: Bei allen Derbys ist es doch das Gleiche: Man kennt viel zu viele Leute, die einem Sprüche drücken oder Mitleid bekunden.
Eckenga: Du hast von mir noch nie Mitleid bekommen. Das würde ich dir nie zumuten.
Goosen: Mitleid ist auch das Schlimmste, was man bekommen kann als Fußball-Fan. Deshalb sind Derbys auch etwas Besonderes. Sie betreffen so viele Leute. Mit der Aufgeregtheit rund um diese Spiele kann ich aber auch nichts anfangen.
Eckenga: Bei dem Spiel Dortmund gegen Bochum nehme ich das aber auch nicht so wahr wie gegen Schalke. Das wirkt alles ruhiger, gelassener.
Eckenga: „Ich fühle mich dann für noch dümmer gehalten, als ich zugebe“
Dortmund gegen Bochum wirkt auch wie ein Spiel der Gegensätze der Städte. Auf der einen Seite das eher bürgerliche Dortmund, auf der anderen Seite Bochum mit dem Malocher-Image. Beide Vereine spiegeln das auch wider.
Goosen: Diese Entscheidungen haben doch auch die Marketingabteilungen der Vereine getroffen. Die Dortmunder haben mehr auf das Westfälische gesetzt, weil das Malochertum von Schalke und ein bisschen von uns besetzt ist. Der BVB hat diese Rolle auch zu Recht besetzt, die spielen regelmäßig um die Meisterschaft mit, auch wenn man nicht sehr viel ungeschickter Meisterschaften verspielen kann als der BVB. Das ärgert sogar mich. Ich will nicht, dass Bayern ständig Meister wird. Und wir wissen ja auch, wo wir stehen. Mit dem Bergbau-Image bedienen wir das Underdog-Image.
Eckenga: Dortmund ist seit zig Jahren eine Versicherungsstadt. Eine große hat den Verein doch sogar mehr oder weniger gerettet. Zum BVB würde ein anderes, aufgezwungenes Image überhaupt nicht mehr passen.
Das zeigt auch, wie sehr sich der BVB entwickelt hat. Wie nehmen Sie das wahr?
Eckenga: Bei mir ist es immer echte Liebe (lacht). Ich nehme das alles wahr. Der Spagat, in den ich mich begebe, ist groß. Uns ist allen bewusst, dass es im Fußball viel ums Geld verdienen geht. Trotzdem geht es nicht weg, was man für einen Verein fühlt. Ich hänge seit 65 Jahren am Verein, weil meine Eltern mich dahin geschleppt haben. Ich bin Anhänger des Vereins, aber nicht Anhänger jeder Führung oder Mannschaft. Ich verlange nur, dass man uns nicht für dumm verkauft. Wenn man ein Rüstungsunternehmen als Sponsor reinholt und behauptet, man öffnet sich für einen Diskurs, dann platzt mir die Hutschnur. Ich fühle mich dann für noch dümmer gehalten, als ich zugebe, weil ich alle zwei Wochen dahin renne. Der BVB gehört zu meinem Leben, es ist kein Hobby.
Herr Goosen, ist der VfL Bochum näher am Fan als der BVB?
Goosen: Ich hätte gern die Probleme des BVB. Der VfL ist notgedrungen näher an den Leuten und den Sponsoren dran. Es sind alle ganz stolz darauf, dass der Hauptsponsor aus Bochum kommt. Es gibt viele kleinere Sponsoren, die man aus dem Stadtbild kennt. Es ist familiärer. Beispiel Fiege als Bierlieferant. Als ich angefangen habe, ins Stadion zu gehen, gab es immer anderes Bier im Ausschank. Irgendwann war es dann Fiege und ist es bis heute. Wir haben sogar mal auf ein paar Tausend Euro verzichtet, damit Fiege bleiben kann. Es ging um ein Zeichen: Die Basis für den VfL sind die Leute und Sponsoren, die auch kommen, wenn wir in der zweiten oder dritten Liga spielen. Bochum sollte übrigens auch das Image pflegen, dass es hier etwas dörflicher ist. Hier ist alles etwas enger, vielleicht auch etwas engstirniger. Man kennt sich hier. Das tut dem Verein und der Stadt gut.
Ist es in Dortmund anders, Herr Eckenga?
Eckenga: Ich halte Dortmund nicht für eine große Metropole. Wenn ich an Bochum denke, denke ich an Bildung, Kunst und Kultur. Bochum hat in vielen Bereichen die Nase vorn. Nehmen wir nur das Schauspielhaus. Oder das Bermuda-Dreieck.
Goosen: Die Kneipenszene, das muss man dick unterstreichen, schafft eine andere Atmosphäre. Es kommen mehr Leute zum Ausgehen nach Bochum als nach Dortmund oder Essen. Da ist in der Vergangenheit viel richtig gemacht worden. Wir knöttern über viele Dinge, aber was wir hier haben, ist besonders.
Eckenga: Ich kann mit dem Kirchturmdenken auch nichts anfangen. Das Ruhrgebiet ist auch beruflich gesehen unsere Parzelle. Egal in welcher Stadt – wir haben überall Heimspiele.
Goosen: Es sind auch keine Entfernungen. Wenn wir hier von A nach B fahren, ist es die halbe Strecke, die die Leute in Berlin fahren müssen.
Goosen: „Trete ich fast nicht mehr am Wochenende auf, damit ich ins Stadion kann“
Wie ist das Ruhrgebiet für Sie als Kulturschaffende?
Goosen: Ein Paradies! Du kannst den Zirkel auf der Karte auf Bochum ansetzen und einen Radius von 50 Kilometern ziehen und du erreichst so viele Leute wie in ganz Österreich. Außerdem kennen wir uns hier alle. Die Spielstätten sind immer voll, wir haben hier so viele verschiedene Orte. Das ist beeindruckend.
Eckenga: Wir haben auch den Übergang bei den Spielstätten zu der jüngeren Generation geschafft. Und trotzdem haben wir zu vielen anderen Künstlern enge Kontakte. Wir laden uns gegenseitig ein, organisieren Veranstaltungen miteinander. Es ist eine Wertschätzung füreinander, die über die eigene Arbeit hinausgeht. Das ist extremer Luxus, das hast du nicht in vielen Regionen.
Goosen: Hier sind Strukturen gewachsen. Wir haben in vielen alten Zechen und Industrieanlagen Veranstaltungsbühnen etabliert. Die Stand-up- und Comedy-Szene ist dadurch Bundesliga. Es kann kein Zufall sein, dass so viele Leute und Formate aus dem Ruhrgebiet kommen und überregional wahrgenommen werden.
War es bei Ihnen beiden von vornherein geplant, dass Sie Fußball in Ihre Programme und Bücher mit einbeziehen?
Goosen: Für mich gehörte Fußball immer mit dazu, deshalb habe ich auch immer über Fußball geredet. Das war übrigens auch schwierig, weil wir häufig am Samstag aufgetreten sind mit „Tresenlesen“. Heute trete ich fast nicht mehr am Wochenende auf, damit ich ins Stadion kann. Ich warte erst auf den Spielplan. Für das Schreiben über Fußball gibt es eine Zeit vor und nach „Fever pitch“ von Nick Hornby. In dem Kielwasser schwamm ich mit. In den Nuller-Jahren habe ich gemerkt, dass es eine sehr konzentrierte Fußball-Kultur-Szene gab. Heute ist der Markt überschwemmt.
Eckenga: Bei mir gab es kein Buch, keine Produktion, in denen das Thema Fußball nicht vorkam. Es kam aber auch immer Essen und Trinken oder das Thema Frauen vor. Mit anderen Worten: Die wichtigsten Dinge. Alles, was ich persönlich nehmen kann, kommt vor. Natürlich auch Fußball.
Herr Goosen, Sie waren sogar ganz nah am Verein, saßen im Aufsichtsrat. Eine Zeit, die Sie heute bereuen, weil Sie Einblicke bekommen haben, die ein Fan vielleicht gar nicht möchte?
Goosen: Der Profifußball gewinnt nicht, wenn man ihn näher kennenlernt. Das Problem ist: Mir ist nicht egal genug, was Leute von mir denken. Ich musste mit dem DHL-Boten diskutieren. Wenn ich meine D-Jugend betreut habe, wurde ich an der Seitenlinie gefragt: „Wann fliegt der Trainer, wann kommt Peter Neururer wieder?“ Bei mir wurden anonyme Briefe ohne Briefmarke eingeschmissen, die Leute wussten also, wo ich wohne. Viele gehen daran kaputt. Früher gingen viele daran kaputt, heute kann man zum Glück zugeben, wenn man ausgebrannt ist.
Eckenga: Ich möchte das alles gar nicht wissen. Je näher man drankommt, desto schlimmer wird es.
Was denken Sie über die aktuelle Spieler-Generation?
Goosen: Die haben es schon schwer, stehen permanent unter Beobachtung. Ich möchte nicht an den Scheiß erinnert werden, den ich mit 17 oder 18 Jahren erzählt habe. Es gab mal ein paar Berliner Jugendspieler, die im besoffenen Kopf ein paar Autospiegel abgetreten haben.
Unter anderem war Kevin-Prince Boateng dabei.
Goosen: Das ist absolut daneben. Ich habe aber auch ein Sackgassenschild bei mir im Arbeitszimmer hängen und erzähle lieber nicht, wie ich daran gekommen bin. Früher hat man Sachen gemacht, die einem heute sehr dumm vorkommen.
Goosen: „Gegen Barcelona mal richtig auf die Fresse kriegen“
Warum zieht es Sie immer wieder ins Stadion – auch wenn empfindliche Niederlagen drohen könnten?
Goosen: Ich bin in dem Alter, in dem sich ein langweiliges 0:0 sehr gut anhört. Aber im Ernst: Es ist eine Frage, die sich echte Fans ja nicht stellen.
Eckenga: Die Frage lautet eher: Warum kommste nicht?!
Goosen: Die Frage muss man nach dem Abstieg mal den Duisburgern stellen. Fußball ist Teil unseres Lebens. Wir kommen für die Geselligkeit. Das Spiel stört oft. Vor allem, wenn die Mannschaft Fehler macht, die durch Anweisungen von uns hätten vermieden werden können.
Eckenga: Aus meinem engeren Dunstkreis gibt es nur zwei Menschen, die mit Fußball nichts anfangen können. In Dortmund kommt man an dem Thema auch überhaupt nicht vorbei. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis. Wenn jeder terminlich kann, kommt jeder. Es gibt auch Leute, mit denen man über nichts anderes redet. Zum Glück. Ein privates Beispiel: Mit meinem Vater konnte ich nicht über alles reden, wie das so ist zwischen Vätern und Söhnen. Borussia war immer ein Türöffner für Gespräche.
Und gibt es einen Punkt, an dem Sie nicht mehr in Stadion gehen würden?
Eckenga: Ich sehe den nicht, es ist schon so viel passiert. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, als die Meldung kam, dass ein Rüstungskonzern Sponsor wird. Aber ich bin ja immer noch da.
Goosen: Mich würden selbst mehrere Abstiege nicht abhalten. Wobei es schön wäre, mal Champions League zu spielen und gegen eine große Mannschaft, vielleicht den FC Barcelona, mal richtig auf die Fresse zu kriegen.
Eckenga: Eine kleine Anekdote: Ich hatte eine Freundin, die hat sich nicht für Fußball interessiert, aber an meinem Aussehen erkannt, wie das Spiel ausgegangen ist. Einmal muss ich wohl besonders mies geguckt haben, da hat sie gesagt: ,Oh, muss ich heute wieder um mein Leben kochen.’
Die gesammelten Hintergründe zum Derby BVB - VfL Bochum