Herdecke. Die Antarktis sollte die vierte Wüste seines Ultralauf-Grandslams sein. Warum der Herdecker Michele Ufer nach Rennen drei jäh gestoppt wurde:
Das „Ende der Welt“ war sein Ziel, das Finale des Grand Slams der Ultraläufer durch vier Wüsten. Doch vor dem eisigen Abenteuer in der Antarktis wurde Michele Ufer jäh gestoppt. Auf dem Rückflug aus Chile vom dritten Rennen erlitt der Herdecker einen Schlaganfall, wegen eines Risses in der Halsschlagader. Nur dank seiner Fitness – so die Ärzte – habe der 50-Jährige Anfang Oktober den schweren Schicksalsschlag überlebt, er kämpft sich Schritt für Schritt ins Leben zurück. Und zurück auf die Wüsten-Trails, denn in die Antarktis will Ufer nun im nächsten Jahr. Und dann die letzten von 1000 Lauf-Kilometern absolvieren, um den Grand Slam zu vollenden.
„Ich habe mich schon gefragt: Habe ich es übertrieben?“, sagt Michele Ufer. Der 50-jährige Herdecker, Sportpsychologe, Buchautor und Ultraläufer, sitzt im Cafe am Harkortsee, es ist zehn Wochen nach dem fatalen Ereignis hoch über dem Atlantik sein erster Gang in die Öffentlichkeit. Nach der Erstversorgung in einem Krankenhaus in Paris, der Verlegung per Ambulanzflug in eine Spezialklinik in Duisburg, der Heimkehr zum Herdecker Ahlenberg und vielen mit Rehabilitations-Programmen ausgefüllten Wochen. Ob sein Extremsport – und anders kann man Läufe über 250 Kilometer an sechs Tagen in lebensfeindlichen Wüsten wohl kaum bezeichnen – möglicherweise die Schuld an diesem Schicksalsschlag tragen könnte, fragte sich Ufer. „Dabei hätte ich doch noch schneller rennen können in der Atacama-Wüste – und habe es nicht gemacht“, sagt er, „mein Konzept ist ja, mich nicht völlig auszupowern, ich will noch Reserven haben. Es gab Teilnehmer, die am Etappenziel fast kollabiert sind.“
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Doch dass sein Schlaganfall zwar kurz nach dem „Atacama Crossing“ auf dem Flug von Santiago de Chile zum Zwischen-Stopp Paris geschah, aber keinesfalls eine Folge dieses dritten Grand-Slam-Rennens sei, versicherten ihm und seiner Ehefrau gleich mehrere Mediziner. Im Gegenteil. Er solle nicht den Fehler machen und denken, dass das vom Laufen komme, habe man ihm gesagt. „Und Chefarzt Dr. Rainer Sadra aus Duisburg hat uns versichert, dass Micheles Fitness und Konstitution ihm das Leben gerettet haben“, betont Burcin Ufer. Nach einer sportmedizinischen Untersuchung in Krefeld habe Dr. Martin Wazinski dem Herdecker zudem „dringend empfohlen“, wieder mit dem Ausdauersport zu beginnen. Was Ufer nun sukzessive tut.
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Danach hatte es in den ersten Tagen in Paris im Oktober nicht ausgesehen. Nach Platz sieben in Chile und dem dritten Sieg in der Altersklassen-Wertung in Folge war er „eigentlich in Feierlaune“ und entspannt in Santiago in den Flieger gestiegen. „Ich habe mich riesig gefreut, mit dem Traildorado Jubiläum zu feiern“, denkt Ufer zurück, das zehnte der von ihm initiierten 24-Stunden-Rennen im Sauerland stand an. Seiner Frau in der Heimat schickte er noch eine optimistische Sprachnachricht, arbeitete an der Bewerbung für eine Professur. Als Burcin Ufer Stunden später in Herdecke wieder erwachte, hatte sie eine weitere Nachricht erhalten. „Mir geht es nicht gut“, war die kurze Botschaft, mehr Artikulation war Michele Ufer nicht mehr möglich: „Ich konnte meinen eigenen Namen nicht mehr aussprechen.“
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Mühsam wieder sprechen gelernt
Das war auch in dem Pariser Krankenhaus, in das er direkt nach der Zwischenlandung gebracht wurde, der Fall. „Ich konnte alles verstehen, aber nicht mehr reden, das war schrecklich“, sagt Michele Ufer, bei dem ein Schlaganfall aufgrund eines Risses in der Halsschlagader – eine Karotisdissektion - diagnostiziert wurde. Ein medizinischer Notfall, der die Unterversorgung des Gehirns mit Blut verursacht und häufige Ursache für Schlaganfälle bei unter 50-Jährigen ist. Im Pariser Hospital, dem es an Experten für Gefäßchirurgie fehlte, durfte Ufer nur flach liegen, jegliche Erschütterung musste vermieden werden. „Es war sehr bedrohlich, wir hatten Angst um sein Leben“, sagt Burcin Ufer, die sofort nach Frankreich reiste und Kontakt zu Spezialisten aufnahm, nach zermürbenden Diskussionen mit der Versicherung dann den Ambulanzflug zu einer Spezialklinik in Duisburg selbst organisierte: „Jeder weitere Tag in Paris war ein Risiko.“
In der Heimat kehrte Ufer dann allmählich ins Leben zurück, nach Wochen konnte er mit ambulanten Rehabilitationsprogrammen beginnen. „Mein altes Leben war komplett weggebrochen, ich konnte nicht mehr reden und schreiben. Ich bin dabei alles neu zu lernen, das ist extrem anstrengend“, sagt Michele Ufer, der bei den vielen Wochen seiner Genesung die Analogie zum Ultramarathon sieht, konkret mit seinem letzten: „Beim Atacama-Crossing gab es diese Mörder-Sanddüne. Da setzte man zwei Schritte vor nach oben und sackte einen wieder hinunter. Genau so fühlte sich das an. Aber man kommt trotzdem irgendwann ans Ziel.“ Schon früh begann Ufer, im heimischen Garten stundenlang im Kreis zu wandern, um Lernimpulse zu setzen, versuchte auf dem Fahrrad-Ergometer sein hohes Fitness-Level nicht allzu stark absinken zu lassen. Und lernte mit Logopäden wieder sprechen. „Am Anfang hat er mit Ach und Krach Ja oder Nein sagen können, jetzt fehlt höchstens noch ab und zu ein Wort“, vergleicht Burcin Ufer, „das ist eine Riesenentwicklung.“
Grand Slam vollenden
Dass zwischenzeitlich die Laufkollegen aus aller Welt in der Antarktis ihren Grand Slam vollendeten, habe der mit der Startnummer 50 lange für das letzte Rennen noch gemeldete Herdecker „nicht richtig verfolgt“, sagt er: „Ich habe die Distanz gebraucht, war außerdem voll auf die Reha fokussiert.“ Und mit der konkreter werdenden Hoffnung, ein Jahr später doch ins ewige Eis am „Ende der Welt“ zu reisen und dort zu laufen. Ob ein Rennen dort als Vollendung des Grand Slam gelten würde, klären die Ufers gerade mit den Organisatoren von „Racing the Planet“ ab. „Wenn es mit der Wertung nicht klappen sollte, dann ist das so“, sagt Michele Ufer, „aber ich werde die Reise absolvieren und die Serie beenden.“
Und nachdem das Erscheinen seines neuen Buches, dessen Manuskript er eigentlich Ende diesen Jahres finalisieren wollte, in Abstimmung mit seinem Verlag verschoben wurde, will er die Erkenntnisse der letzten Wochen für ein neues Werk zu mentaler Stärke nutzen. „Es gibt ja Leute, die in einer solchen Situation sind wie ich zuletzt“ sagt er, „und ein Buch, wie ich es im Kopf habe, würde mir jetzt richtig Hoffnung machen und helfen, durch eine solch schwierige Zeit zu kommen.“ Beim Ultramarathon, zieht Ufer wieder einen Vergleich, verlaufe man sich schonmal, weil eine Markierung fehle, und mache dann einen Riesenumweg: „Da muss man dann eine Extrameile drehen, das ist frustrierend und anstrengend. Aber man kommt irgendwann an.“ Das will Michele Ufer, so ist sein sportliches Ziel, nun beim Racing the Planet Antarktis 2023.