Gießen/Hagen. Die Gießen 46ers steigen aus der BBL ab. Co-Trainer Steven Wriedt, eine Hagener Basketball-Größe, über eine harte Saison und seine Zukunft.

Wenn Steven Wriedt vom stressigen Alltag in der Basketball-Bundesliga abschalten will, dann setzt er sich in seinen Dienstwagen, rollt auf die A45 von Gießen nach Hagen und besucht seinen Sohn Lance. Auch am Mittwoch tut er dies, denn Ablenkung kann er an diesem tristen Tag gut gebrauchen. Am Abend zuvor wurde der Abstieg der Gießen 46ers, die Wriedt als Co-Trainer betreut, durch eine 90:99-Niederlage gegen die Brose Baskets Bamberg besiegelt. „Es war zwar nach dem Verlauf dieser schwierigen Saison kein Schock mehr. Nur noch ein Wunder hätte uns retten können“, sagt Wriedt am Telefon, „aber es war trotzdem für uns eine bittere Enttäuschung.“

Wriedt und Freyer hatten Klassenerhalt stets gemeistert

Seit 28 Jahren lebt und arbeitet der US-Amerikaner Steven Wriedt in Deutschland, zunächst als Basketballspieler, danach als Trainer bzw. Assistenzcoach. „Nie bin ich sportlich abgestiegen“, sagt der charismatische 50-Jährige, das „nie“ betont er. Der Abstiegskampf ist Wriedt zwar nicht fremd: Zwischen 2009 und 2016 musste er als Co-Trainer von Phoenix Hagen wegen finanziell überschaubarer Möglichkeiten oft um den Klassenerhalt in der BBL bangen. Aber er und Ingo Freyer, der Phoenix-Chefcoach, haben es irgendwie immer gewuppt.

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Mit klug gescouteten Spielern, die über sich hinaus wuchsen, und einem ungewöhnlich aggressivem Spielstil, an welchem selbst die Besten der Besten im Basketball-Oberhaus verzweifelten. Auch mit den Gießen 46ers, zu denen Freyer und sein Kompagnon Wriedt nach der Phoenix-Insolvenz zur Saison 2017/18 wechselten, hielten sie dreimal in Folge die Klasse. Aber in dieser Saison lief einiges schief, und das lag nicht nur an Corona.

Ingo Freyer zu Saisonbeginn entlassen

Gießen verlor zu Beginn der neuen Spielzeit 2020/21 die ersten sechs Partien, von Verteidigungsintensität war bei den Hessen nicht viel zu sehen. Die Rufe der Fans nach einem Trainerwechsel wurden immer lauter und schließlich unüberhörbar. Ingo Freyer musste seinen Hut nehmen. Eine ungewohnte Situation auch für Steven Wriedt, dem mit Freyer eine enge Freundschaft verbindet. „Es war sehr enttäuschend. Man muss immer bedenken, dass da jemand seinen Job verliert und das ist immer scheiße. Darüber machen sich viele Menschen wenig Gedanken“, sagt Wriedt.

14 Jahre lang ein Coaching-Duo: Steven Wriedt (links) und Ingo Freyer, hier bei einem der letzten Spiele von Phoenix in der BBL.
14 Jahre lang ein Coaching-Duo: Steven Wriedt (links) und Ingo Freyer, hier bei einem der letzten Spiele von Phoenix in der BBL. © Michael Kleinrensing

Die 46ers übernahm ein in Gießen guter bekannter Trainer: Rolf Scholz (40), der das Farmteam des Vereins, die Rackelos, zuvor erfolgreich coachte. Steven Wriedt stand ihm mit seinem Erfahrungsschatz zur Seite. „Wenn es etwas Gutes hatte“, denkt Wriedt zurück, „dann, dass es für mich eine neue Erfahrung war, mit einem neuen Trainer zusammenzuarbeiten und sich neu aufzustellen.“

Gießen 46ers verpflichten John Bryant nach

Sportlich taumelte Gießen dennoch weiter durch die Saison, daran änderte auch die Nachverpflichtung des ehemaligen Liga-MVPs John Bryant nichts. Und dann wurde vor rund einem Monat auch noch bekannt, dass ein weiterer Kopf der Gießener Führungsriege rollen muss: Geschäftsführer und Sportdirektor Michael Koch, eine Institution im deutschen Basketball, verlässt den Traditionsklub auf Anordnung des Aufsichtsrats nach dieser Saison. Für den beruflichen K.o. von Koch nannte das Kontrollgremium finanzielle Gründe. In einer zukünftig vermutlich „sehr schlanken Struktur“ bestünde nicht die Möglichkeit, „gleichzeitig unseren Schwerpunkt in der Nachwuchsarbeit aufrecht- und neben dem sonstigen unabdingbaren Geschäftsbetrieb auch einen Sportdirektor beizubehalten. Die Entscheidung fiel zugunsten der Nachwuchsarbeit“, so der Aufsichtsrat in einer Mitteilung.

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Hinter den Kulissen der 46ers brodelt es. Das weiß auch Wriedt. „Es gibt einige Gründe für den Abstieg“, sagt der US-amerikanische Trainer, aber er wolle sich dazu nicht öffentlich äußern. Der sportliche Niedergang treffe Verein und die Stadt jedenfalls tief im Herzen: „Gießen ist Hagen sehr ähnlich. Es ist ein traditionsreicher Standort, die Fans sind sehr leidenschaftlich. Der Abstieg tut sehr weh.“

Wie geht’s für Gießen und Wriedt weiter?

Am Sonntag geben die Gießen 46ers ihren Heimausstand gegen Braunschweig, ein Abschied ohne Fans. Neben den Mittelhessen steht Rasta Vechta als zweiter Absteiger in die ProA fest, wo sie gegen Phoenix Hagen spielen werden. Die Wildcard ist für Gießen eine Option, allerdings kostet das Ticket für die BBL stolze 700.000 Euro. Die nächsten Wochen werden zeigen, wohin die Reise für die 46ers geht, sagt Wriedt. Und wie sehen seine eigenen Zukunftspläne aus? „Ich fühle mich in Gießen sehr wohl und kann mir vorstellen, zu bleiben“, sagt der Basketball-Coach. Aber er müsse die Entscheidungen des Klubs abwarten.

Erstmal besucht Steven Wriedt seinen Sohn in Hagen. Lance ist 19 Jahre alt, ebenfalls Basketballer, der zuletzt für die U18 der BG Hagen und die Phoenix Hagen Juniors spielte. Für beide Teams ruht seit langem der Ball. „Mal sehen, eine Profikarriere wird er wohl nicht mehr einschlagen“, meint Wriedt. „Lance konzentriert sich jetzt auf seine kaufmännische Ausbildung.“ Vor allem in diesen Zeiten wohl keine schlechte Entscheidung.