Herdecke. Beim Herdecker Nikolauslauf ist er wieder dabei: Jesko Kohlstedt läuft barfuß, auch im Winter. Wie er mit Scherben und Kälte umgeht
Wenn er auf Laufveranstaltungen an den Start geht, fällt er auf den ersten Blick vielleicht noch nicht auf. Aber auf den zweiten schon – vor allem den Zuschauern: Der Herdecker Jesko Kohlstedt tritt ohne Laufschuhe an, er ist barfuß unterwegs. Und das ganz bewusst. Seit zwölf Jahren ist dies zu seiner Routine geworden, er hat sich bewiesen und überträgt dies zudem auf seinen Alltag. Sein nächster Start ist - wie im letzten Jahr - der Nikolauslauf des RC Westfalen Herdecke am 7. Dezember, mit der Startnummer 270 ist er gemeldet.
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Vor 14 Jahren gelangte Jesko Kohlstedt zum Laufsport, nachdem er eine – wie er sagt – „Midlife Crisis“ hatte und in der Spitze nach ungesundem Lebensstil 120 Kilogramm wog, nachdem seine erste Ehe scheiterte. Doch er begann zu überhastet, lief zu schnell und zu viel. Fast jeden Tag, auch mal 120 Kilometer durch das Sauerland. „Es traten schnell typische Läufersyndrome auf. Obwohl parallel das Gewicht runter ging“, erzählt Kohlstedt. Er hatte Probleme an der Patellasehne und an den Füßen und kaufte sich mehr als zehn Laufschuhe, um den richtigen zu finden. Doch daran lag es nicht, sondern an der Technik. „Die Schuhe haben die unsaubere Haltung nicht kompensiert, sondern sie eher verstärkt, da sie die ja aufgefangen haben. Das war nicht gut, also habe ich die Dinger einfach zur Seite geworfen“, schildert der Läufer.
Komische Blicke und Kommentare
Gleichzeitig lernte er Personen aus der Barefoot-Runner-Society kennen, tauschte sich aus und probierte fortan, komplett barfuß zu laufen. „Ich musste bei 0 anfangen. Nach den ersten 400 Metern taten mir die Fußsohlen so weh, dass ich keinen Schritt mehr machen konnte. Das war erst unbefriedigend“, erinnert sich der Familienvater. Zudem begann er im Winter, lief teilweise bei zweistelligen Minusgraden. „Da muss man in Bewegung bleiben und schauen, dass man Land gewinnt“, sagt er lachend. Der aus Herdecke-Ende stammende Sportler wurde dabei anfangs komisch angeschaut. Er suchte sich abgelegenere Wege, um nicht immer gesehen zu werden. „Ich war schnell bekannt als der Barfußläufer. Manchmal kamen auch Kommentare wie: Hast du deine Schuhe vergessen?“, verrät er.
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Doch ihn hielt es nicht ab, zumal er keine Beschwerden mehr spürte und Verletzungen ausblieben. Er steigerte sich nach und nach, trainierte vor allem seine Fußmuskulatur gezielt. „Ich lege zum Beispiel einen Flummi vor mich, rolle ihn von links nach rechts oder versuche, ihn mit den Zehen zu greifen“, erklärt der Starter für „Fit4Fun Witten“. Nach fünf Monaten startete er erstmals bei einem Lauf über fünf Kilometer. Es klappte und seitdem trägt er auch so im Alltag fast keine Schuhe mehr, zumindest zuhause. Beruflich ist Kohlstedt als Schlosser unterwegs. „Dabei trage ich natürlich Arbeitsschuhe und Socken. Nach acht Stunden am Tag bin ich froh, wenn ich wieder raus bin“, sagt der 43-Jährige, der sonst nebenbei nur mal Sandalen trägt.
Spezielle Laufsandalen im Einsatz
Stichwort Sandalen: Gerade in der kühlen und nassen Jahreszeit ist er in speziellen Laufsandalen auf den Beinen. Denn: „Im Herbst nur barfuß zu laufen ist ganz schlecht. Eicheln, Bucheckern und Wurzeln werden durch Blätter verdeckt. In vollem Elan habe ich mir schon etliche blaue Flecke geholt. Es sah aus wie eine Giraffe unter dem Fuß.“ Zudem ist er sich der Rutschgefahr bewusst. Sandalen kommen außerdem beim Boden mit Schotterbelag zum Einsatz, das tue sonst einfach weh. Auch beim Trailrun zieht er die Sandalen drüber, aber bewusst keine Laufschuhe. Trotzdem kann es rutschig werden.
Sonst läuft er barfuß und nimmt kleine Pikse in Kauf. „Es bildet sich mit der Zeit eine Lederhaut, eine Fettschicht entsteht und dadurch eine natürliche Dämpfung“, klärt Kohlstedt auf. Hornhaut entstehe nicht, was viele vermuten: „Sie schleift sich auf grobem Boden ab.“ Wenn er im Wald unterwegs ist, nimmt er die Natur noch einmal ganz anders wahr und „fühlt dies auch bewusst“. Aufpassen müsse er dabei besonders so wie generell beim Aufsetzen des Fußes. „Man muss über den Vorderfuß abrollen, auf der Ferse tut es auch weh und ist nicht gut“, weiß er. Das Traben über Kopfsteinpflaster, was etwa beim Herdecker Citylauf in der Innenstadt passiert, bezeichnet er dagegen als Fußmassage.
Einmal musste der Barfußläufer operiert werden
Er weiß immer, dass auf dem Boden trotz des Blickes zehn Meter im Voraus mal kleine Steinchen liegen, die er nicht schnell umkurven kann. Das ist sonst schon mal sein Laufstil, was für Außenstehende vielleicht etwas seltsam wirkt. „Ich hatte auch schon mal einen Dorn in der Fußsohle. Und bestimmt einmal im Jahr trete ich in eine Scherbe. Wenn sie tiefer reingehen, tut es weh. Dann holt man sie raus und nach ein, zwei Tagen ist die Sache erledigt. Die Lederhaut fängt schon viel ab“, so Kohlstedt. Er musste aber schon mal operiert werden, weil eine Scherbe doch zu tief in die Haut eingedrungen war.
Barfußseminare mit Marathonläufern
Zwischenzeitlich hat der Herdecker Jesko Kohlstedt gemeinsam mit einem Laufkollegen Barfußseminare gegeben. Auf einem Sportplatz durften sich Läufer probieren. Allerdings fehlte oft der Mut, hinterher wirklich dauerhaft ohne Schuhe zu laufen. Vielen habe aber das Training für die Fußmuskulatur und der Gelenke geholfen. Gestandene Marathonläufer waren auch dabei. „Sie wiesen Blutblasen auf, als sie mal zehn Kilometer ohne Schuhe gelaufen sind“, erzählt Kohlstedt. Einige Top-Läufer nutzen Barfußlaufen dagegen in ihren Trainingsprogrammen, zum Beispiel die ehemalige Profi-Läuferin Sabrina Mockenhaupt.
Die längste Strecke, die er barfuß auf Zeit gelaufen ist, beträgt 78 Kilometer. Und seine Bestzeiten: 21 Minuten (fünf Kilometer), 42 Minuten (10 Kilometer), 1:58 (Halbmarathon). Mittlerweile sagt er sich: „Ich muss nicht zwingend immer barfuß antreten. Früher habe ich es auch übertrieben. Ich habe Zeitenräuberei gemacht, mich als Sklave der Trainingspläne gesehen. Jetzt laufe ich, wie es mir in den Sinn kommt und bin Genussläufer.“ Und trotzdem einer, der auffällt. Wie demnächst beim Nikolauslauf in seiner Herdecker Heimat.
„Es bildet sich mit der Zeit eine Lederhaut, eine Fettschicht entsteht und dadurch eine natürliche Dämpfung.“