Herdecke. Vor zwei Jahren erlitt er schwere Schlaganfälle, nun startet er zum Ultralauf in die Antarktis. Der erstaunliche Weg von Michele Ufer
Nur die Antarktis fehlte noch für den Grandslam durch vier Wüsten der Welt, als Ultraläufer Michele Ufer jäh gestoppt wurde. Zwei Jahre ist das her, zwei schwere Schlaganfälle rissen den 52-jährigen Herdecker im Herbst 2022 bei der Rückkehr aus der chilenischen Atacama-Wüste aus dem gewohnten Leben. 25 Monate später geht Ufer nach mühsamer Rehabilitation wieder auf den Ultratrail, am Samstag startet er Richtung Antarktis. Um auf dem eisbedeckten, kältesten Kontinent der Erde rund um den Südpol 250 Kilometer zu rennen - und so mit etwas Verspätung den „4 Deserts Grand Slam“ zu vollenden. „Jetzt bin ich im Leben zurück“, ist der Start für den Herdecker ganz wichtig: „Diese Reise ist ein Teil des Gesundwerdens der Seele.“
Michele Ufer erleidet Schlaganfall im Schlaf auf Flug
Der Ultralauf „Atacama Crossing“ im Oktober 2022 war geschafft, da passierte es auf dem Flug von Santiago de Chile zum Zwischen-Stopp Paris im Schlaf. „Beim Aufwachen habe ich realisiert, dass ich ein Problem habe. Plötzlich konnte ich mich nicht mehr richtig artikulieren, sehen, wahrnehmen und bewegen.“ So beschreibt Michele Ufer, wie ihn ein schwerer Schlaganfall wegen eines Risses in der Halsschlagader - dem darauf noch ein zweiter im Krankenhaus in Paris folgte - plötzlich aus dem Alltag riss. Keineswegs wegen der sportlichen Extrem-Belastung, wie ihm danach verschiedene Mediziner bestätigte - es könne jeden treffen, egal wie alt, jung, sportlich oder nicht. Vielmehr habe er den Schicksalsschlag nur dank seiner Fitness überstanden. „Ich wusste nicht, ob ich die nächste Woche überlebe, als ich aus dem Krankenhaus in Paris kam“, erinnert sich Ufer zwei Jahre später: „Das Training für den Ultramarathon hat mir das Leben gerettet und mich durch die Reha getragen.“
Rehabilitation ist „unfassbar anstrengend“
Wobei die Erholung von den Schlaganfällen, die der Herdecker Ultraläufer, Sportpsychologe, Buchautor und Vortragsredner von Beginn an unter dem Motto „Comeback Stronger“ anging, ein langer, höchst beschwerlicher Weg war. „Ich habe einige der schwierigsten Rennen auf dem Planeten absolviert, aber die waren alle nur ein Kindergeburtstag im Vergleich zur Neuro-Rehabilitation“, sagt Ufer: „Das war unfassbar anstrengend und frustrierend. Ich kann Patienten verstehen, die sich in so einer Situation aufgeben.“
Rat der Ärzte: Bewegung ist das Beste
Mit Logopäden lernte er, wieder zu sprechen, auf dem Fahrrad-Ergometer arbeitete er an der Fitness. Und früh begann Ufer, im heimischen Garten stundenlang im Kreis zu wandern, um Lernimpulse zu setzen. „Das Beste, was ich machen kann, ist Bewegung - so war die Rückmeldung der Ärzte“, sagt er. Das fördere die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich selbst zu regenerieren: „Andere Areale im Gehirn übernehmen die Aufgaben dort zerstörter Areale.“ Nach einem halben Jahr begann er, einen bekannten Trail an den Ruhrklippen zwischen Dortmund und Herdecker wieder zu laufen. „Das klappte, aber über die Straße zu gehen, war ein Risiko“, sagt er, denn ein Jahr litt er an Seh- und Wahrnehmungsstörungen: „Wo ich früher zur Entspannung gelaufen bin, tat mir jetzt nach wenigen Minuten der Kopf weh. Körperlich war das keine Höchstleistung, kognitiv aber schon.“
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Nach einem Jahr lief er wieder seinen kompletten Hometrail, zeigte sich beim von ihm elf Jahre zuvor initiierten 24-Stunden-Lauf „TrailDorado“ im Arnsberger Wald erstmals wieder in der Öffentlichkeit. Und hielt im Januar 2024 an der Ruhr-Universität Bochum im Master-Studiengang für Neurowissenschaften erstmals wieder einen Gastvortrag. „Das war eine schöne Reha-Session“, freute sich Ufer über sehr positives Feedback der Studenten. Und über die Aufforderung der Wissenschaftler, mit den Erkenntnissen aus seiner erstaunlich schnellen Rehabilitation Schicksalsgenossen zu helfen: „Sie können viele Leute inspirieren, die in einer Krise stecken.“
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Grand-Slam-Serie ist Lebenstraum für Michele Ufer
Sich so zügig und gut zu erholen, sei nicht die Regel. „Der Schlaganfall hat mir alles genommen, als Sportler, privat und beruflich, alles war weg. Stück für Stück habe ich mich zurück gekämpft“, sagt Michele Ufer, schränkt aber auch ein: „Ich erlebe noch manche Einschränkung, vieles klappt noch nicht wie vor dem Schlaganfall. Aber jetzt bin ich im Leben zurück.“ Und er ist im Frühjahr wieder ins intensive Lauftraining eingestiegen, denn „The Last Desert“ - der Ultralauf am südlichen Ende der Welt Ende November - lockte als Ziel. „Es ist meine große Motivation, dass ich mit dem Rennen in der Antarktis die Grand-Slam-Serie abschließe“, erklärt er: „Das ist ein Lebenstraum, seitdem ich vor zehn Jahren erstmals in der Atacama-Wüste gestartet bin.“
Mehrjährige Forschungsreise
Seine Reise zum Ultratrail in die Antarktis, so betont Michele Ufer, sei quasi ein Abschluss einer mehrjährigen psychologischen Forschungsreise zum Thema mentale Stärke, Höchstleistung und Resilienz. „Die Experten haben mir wiederholt bestätigt, dass meine Reha so gut läuft, weil ich die von mir entwickelten Ansätze des Hochleistungsmentaltrainings, die ich bisher Sportler, Managern und anderen Leistungsträgern zugänglich gemacht habe, jetzt konsequent im Rahmen der Neuro-Rehabilitation transferiere und anwende“, sagt der Sportpsychologe.
Die heimischen Mediziner gaben nach einem Check Grünes Licht, auch die Renn-Ärzte des Veranstalters „RacingThePlanet“ stimmten zu. Mit täglichem Training hat sich Ufer („Ich bin wieder als Hochleistungssportler unterwegs“) zuletzt vorbereitet, mit Trainingseinheiten von bis zu fünfeinhalb Stunden. Als Nummer 54 von 57 Startern steht der Herdecker auf der Teilnehmerliste, die umfangreiche Pflichtausrüstung mit viel warmer Kleidung wie bei einer Expedition ist zusammengestellt, am Samstag startet das Abenteuer. Über Buenos Aires fliegt Michele Ufer nach Ushuaia in Patagonien, wo sich alle Teilnehmer treffen und am 26. November mit dem Expeditionsschiff auf die zweitägige Überfahrt auf stürmischer See begeben. „Die Chance ist sehr groß, dass man seekrank wird“, weiß Ufer.
„Ich wusste nicht, ob ich die nächste Woche überlebe, als ich aus dem Krankenhaus in Paris kam. Das Training für den Ultramarathon hat mir das Leben gerettet und mich durch die Reha getragen.“
250 Kilometer in der Antarktis in vier Etappen
Am 29. November startet rund um die Antarktische Halbinsel der Ultralauf über 250 Kilometer mit vier Etappen. „Es hängt vom Wetter ab, wie gelaufen wird“, weiß Ufer: „Die Witterung kann dort schnell umschlagen. Wenn es brenzlig wird, will man die Leute schnell von der Rennstrecke evakuieren.“ Vier Rundkurse an verschiedenen Etappenorten in der „Weißen Wüste“ vorbei an Eisbergen, Pinguinen, Robben und Forschungsstationen sind vorgesehen, ehe man am 4. Dezember wieder in See sticht. Und nach zweitägiger Überfahrt nach Ushuaia zurückkehrt.
Buch soll auf Frankfurter Buchmesse erscheinen
Zurück in Herdecke beginnt für Michele Ufer schreibend dann ein letzter Abschnitt auch der Reha. „Dieses Rennen ist das abschließende Kapitel meines neuen Buches“, sagt er. Das Buch hätte längst publiziert sein sollen, bis den Autor im Wortsinn der Schlag traf. Nun ist die Frankfurter Buchmesse im nächsten Herbst der avisierte Erscheinungstermin. Und der ursprünglich geplante Inhalt, wird nun ein ganz anderer sein. „Jetzt“, sagt Michelle Ufer, „geht es weit über den Sport hinaus.“