Herdecke. „Mooie Boulders“: Auch im Herbst ziehen die Sandsteinfelsen in Herdecke an der Ruhr Kletterer aus den Niederlanden magisch an.
Es ist eine zufällige Stichprobe an einem Freitag im Oktober: Zehn Autos mit niederländischen Kennzeichen stehen an der Landstraße 675, eines aus Belgien, ein Münchner und mehrere PKW aus der Region. Sie alle wollen nicht zum Minigolfplatz gegenüber am Harkortsee, sie klettern mit einer Matratze auf dem Rücken einen schmalen Waldweg hinauf zu den Sandsteinfelsen - und wollen dort klettern. Das Herdecker Gebiet „Avalonia“ - vom Magazin Geo zu den fünf schönsten Bouldergebieten Deutschlands neben Alpen, Odenwald, Eifel und Harz gezählt - ist das Traumziel von Kletterern aus Europa, vor allem aus den Niederlanden. „Es hat sich herumgesprochen, dass wir hier einen guten Spot haben“, weiß Thomas Kubicki, Vorsitzender des Boulderclubs Ruhrtal.
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Avalonia in Herdecke bietet mehr als 150 Boulder
Man kann den Eingang leicht übersehen an der viel befahrenen L675 zwischen Wetter und Herdecke. Ein paar Meter entfernt von der Bushaltestelle „Zillertal“ öffnet sich ein blätterüberdachter, unscheinbarer Waldweg gegenüber vom Cuno-Forum des Cuno-Kraftwerks. Hinter dem Schild der Interessengemeinschaft Avalonia mit Hinweisen beginnt das Ziel der Träume vor allem niederländischer Boulder-Freunde. Ein paar hundert Meter geht es den schmalen Weg hinauf über Stümpfe und unter umgestürzten Bäume bis zu den Felsen. Steinerne Wegweiser geben Orientierung hin zu Bereichen wie „Momos Amphitheater“,
„Karlsson vom Dach“ oder dem „Kirschblütental“.
Verteilt auf verschiedene Sektoren finden sich hier mehr als 150 Boulder in den Schwierigkeitsgraden 3 bis 8a+, schreibt der BC Ruhrtal, der das Naturschutzgebiet-Areal 2017 gemeinsam mit dem Deutschen Alpenverein erworben hat: „Die herausragende Felsqualität sucht dabei weltweit ihresgleichen.“ Das Internetportal „The Crag“ weist sogar 645 Routen in Klettergebiet auf, das von Daniel Pohl in vielen Jahren erschaffen worden ist. Wobei Avalonia mehr als ein Bouldergebiet sei, sondern ein 14 Hektar großer Land-Art-Park. Den Felsenbauer Pohl - ein Protagonist im millionenfach gesehenen Film „Stone Locals“ - immer wieder verändert und sowohl neue Boulder aus dem Fels holt als auch Topos - das sind grafische Darstellungen der Kletterrouten - dafür zeichnet.
In den Niederlanden gibt es nur Indoor-Bouldern
Brian und Dylan aus Enschede sind das erste Mal in Avalonia, es ist ein Freitag im Sommer. Sie haben sich gerade warmgeklettert und ihre „Crash-Pads“ genannten Matten im Sektor „Cloe“ ausgebreitet, jetzt gehen sie die erste Route an. „Ich kenne Leute aus Enschede, die kommen jedes Wochenende hierhin“, sagt Dylan. Er und Brian campen auf einem Zeltplatz Richtung Hagen, sind schon häufiger jenseits der Landesgrenzen draußen bouldern gewesen. „In Belgien, Frankreich und Österreich an verschiedenen Spots“, sagt Brian, „denn in den Niederlanden gibt es nur Indoor-Bouldern.“
In Herdecke gefällt es beiden sofort gut, drei Vorteile nennt Dylan. „Wir sind viel schneller hier als etwa in Frankreich, es dauert nur eineinhalb Stunden“, sagt er, „die Qualität des Felsens ist ganz hervorragend. Und die Terrassen unter den Bouldern sind sehr gut gepflegt, das erlebt man nicht häufig anderswo. Es ist sehr sicher, hier zu klettern.“ Die „tolle Natur ganz nahe an der Großstadt“ schätzen die beiden Niederländer. „Man kann sich hier physisch auspowern, aber es ist auch ein Puzzlespiel. Man muss mit dem Kopf arbeiten, um den richtigen Weg zu finden.“ So beschreibt Dylan die Motivation, warum er zum Bouldern gefunden hat. Also zum „Klettern ohne Seil in Absprunghöhe – also einer Höhe, aus der noch ohne Verletzungsgefahr abgesprungen werden kann“, wie der Deutsche Alpenverein (DAV) die mittlerweile zum olympischen Sportklettern zählende Disziplin definiert.
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„UBoulder“ aus Utrecht kommt regelmäßig nach Herdecke
In die Herdecker Sandsteinfelsen zieht es so ganze Vereine aus den Niederlanden, wie „UBoulder“ aus Utrecht, die an mehreren Wochenenden im Jahr mit 30 Kletterfreunden anrücken. „Für Holländer gibt es nur zwei Möglichkeiten, entweder hier oder in Fontainebleau in Frankreich, aber das ist 450 Kilometer entfernt“, weiß Thomas Kubicki, Klubchef des BC Ruhrtal: „150 Kilometer aus Utrecht kann man mal eben kommen.“ Und eher abschätzen, ob es regnen könnte, denn in diesem Fall fällt die Klettertour flach. „Bouldern, wenn es feucht ist, das geht gar nicht. Das ist wie ein Schwimmbad ohne Wasser“, sagt Kubicki.
Er ist Vorsitzender eines relativ kleinen Vereins mit etwa 200 Mitgliedern. Für den auch abseits der Verwaltung des Gebiets in der „Kletter-Diaspora“ einige Arbeit anfällt. „Wir müssen die Wege freischneiden, bei Regen wächst alles tierisch“, sagt er: „Irgendwie ist immer jemand da, der sich kümmert.“ Auch Felsbegehungen mit dem DAV finden statt. „Das Allerletzte, was man will, ist ja ein Unfall“, sagt der BC-Vorsitzende. Erst am Anfang des Monats verletzte sich eine junge Niederländerin leicht und musste von der Feuerwehr aus dem unwegsamen Gelände geborgen werden. Dass Kletterer das Gebiet auf eigene Gefahr, besonders mit Blick auf felstypische Gefahren, betreten, darauf verweist der BC Ruhrtal ausdrücklich in den Verhaltensregeln auf dem Schild am Eingang. Von hier aus, das betont Thomas Kubicki, gehe er gern auch abends einfach nur eine Runde und genieße die Land Art: „Ich bin völlig begeistert von dem, was hier entstanden ist.“