Hannover/Volmarstein. Paris 2024 kommt wohl zu früh, jetzt ist LA 2028 das Ziel. Sören Seebold will sich in der Rollstuhl-Basketball-Elite etablieren:
Eine Doppelschicht, wie an den meisten Wochenenden, beendete das Wettkampfjahr für Sören Seebold. Für die Teams von Hannover United spielte der 20-Jährige zunächst lange im Zweitliga-Duell gegen RSKV Tübingen, dann noch einige Minuten im Spiel der Rollstuhlbasketball-Bundesliga gegen die RBB München Iguanas, trug zu zwei klaren Siegen bei. Und verabschiedete sich dann zum einwöchigen Weihnachtsurlaub ins heimische Volmarstein. Schon am 1. Januar geht es für den Youngster, den United-Kapitän Jan Sadler als „Powerpaket“ bezeichnet, zurück nach Hannover. In der niedersächsischen Landeshauptstadt ist der Kapitän der U22-Nationalmannschaft mit dem großen Ziel Paralympics in seiner fünften Saison längst heimisch geworden. „Es war definitiv die richtige Entscheidung, hierhin zu gehen. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, selbständig zu werden“, sagt Seebold, der auf den Rollstuhl angewiesen ist: „Hier kann ich mit dem Bus überallhin fahren. In Volmarstein kam kein Bus, da musste ich mit dem Auto zu allen Zielen gebracht werden.“
Erste Bundesliga-Luft hat Sören Seebold in Hannover schon mit 18 kurz geschnuppert, in der letzten Saison dann etwas länger, als er mit Doppellizenz für den BBC Münsterland spielte. Jetzt gehört er erstmals als fester Bestandteil zum offiziellen Kader des Erstligateams bei Hannover United, vor Beginn der aktuellen Spielzeit wurde der Volmarsteiner beim Vorjahresdritten und EuroCup-Sieger „befördert“. Über die dritte und zweite Mannschaft hat sich Seebold, der bereits im Jahr 2019 mit 16 von der Hagener Hildegardis-Schule ans Sportinternat in Hannover mit dessen Stützpunkt für Rollstuhl-Basketball gewechselt ist, nun bis ins Bundesliga-Team von United vorgearbeitet. „Für mich ist das der nächste logische Schritt. Sören hat sich in den letzten Jahren super entwickelt“, begründete Hannovers Head Coach Martin Kluck: „Er bringt für einen 1.0-Punkte-Spieler ein besonderes Paket an Qualitäten mit. Er lernt schnell und scheut sich weder vor Zweikämpfen noch davor, sich voll in den Dienst der Mannschaft zu stellen.“ Kapitän Sadler wiederum hebt Seebolds Arbeitsmoral als dessen „seine größte Stärke“ hervor: „Er bringt einen anderen Spielstil mit als unsere anderen Lowpointer.“
Als „1.0-Punkte-Spieler“ oder „Lowpointer“ werden in der paralympischen Sportart Rollstuhl-Basketball, in der Sportler mit körperlicher Behinderung gemeinsam mit Nichtbehinderten antreten, jene Akteure mit der „maximalen Behinderungs-Punktzahl“ bezeichnet. Bei einem Klassifizierungssystem, das für Chancengleichheit sorgen soll, erhalten die Spieler je nach Schwere der Behinderung zwischen 1 und 4,5 Punkten. „Je weniger eingeschränkt man ist, desto mehr Punkte hat man“, erklärt „Lowpointer“ Sören Seebold, der mit einer Wirbelsäulenfehlbildung (Spina bifida) geboren wurde und querschnittsgelähmt auf den Rollstuhl angewiesen ist. Pro Team dürfen maximal 14,5 Punkte - bei internationalen Wettbewerben 14,0 - gemeinsam auf dem Feld sein. Wozu Seebold bei seinen Einsätzen eben nur 1.0 Punkte beiträgt.
Die personelle Entwicklung im Bundesliga-Team von Hannover United kommt ihm in dieser Saison entgegen. „Die Mannschaft hat mehr hoch klassifizierte Spieler bekommen“, erklärt er, „mit meiner niedrigen Klassifizierung habe ich da mehr Einsatzchancen.“ Auch wenn Sören Seebold in Hannover vorrangig in der Zweitligareserve, in der er eine Führungsrolle einnimmt und auch schon mal 40 Minuten durchspielt, eingesetzt wird, in der Bundesliga waren die knapp acht Minuten gegen München schon der Höchstwert. Für den BBC Münsterland, für den er in der Vorsaison mit Doppellizenz im Oberhaus antrat, waren es auch schon mal 22 Minuten. „Klar, dort hätte ich mehr spielen können“, weiß er, „aber vom Gefühl her war es die richtige Entscheidung. In Hannover gibt es ein wahnsinnig hohes Level im Training, da kann ich ganz viel mitnehmen und lerne immer wieder Neues.“
So will sich Seebold seinem Ziel nähern, einer der besten Rollstuhl-Basketballer in Deutschland zu werden. Etwa 16 Stunden pro Woche trainiert er in Hannover, findet an der dortigen Akademie des Sports am Maschsee beste Möglichkeiten. Nachdem er am Sport-Internat im Sommer sein Abitur gemacht hat, hat Sören Seebold ein freiwilliges soziales Jahr beim ebenfalls dort beheimateten Behinderten-Sportverband Niedersachsen begonnen. Und ist vom Internat in eine Sportler-Wohngemeinschaft an der Akademie umgezogen. Im nächsten Jahr will der junge Volmarsteiner dann ein Studium aktuell favorisiert er Wirtschafts-Informatik - aufnehmen. Und sich noch mehr dem Rollstuhl-Basketball widmen: „Mein Ziel ist es, dem Sport einen noch höheren Stellenwert zu geben.“
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Denn neben dem Etablieren in der Bundesliga (Seebold: „Eine der europäischen Top-Ligen“) will er auch seine internationale Karriere vorantreiben. Mit der U22-Nationalmannschaft wurde er schon 2021 in Italien Vize-Europameister und verpasste vor Jahresfrist bei der U23-Weltmeisterschaft in Phuket/Thailand auf Rang vier nur ganz knapp die Medaillenränge. Nachdem etliche Stammkräfte danach altersbedingt ausschieden, ernannte Bundestrainer Peter Richarz Seebold zum neuen Mannschaftskapitän. Das neu formierte U22-Nationalteam hat nun die Europameisterschaften im nächsten Sommer als Ziel. „Termin und Austragungsort stehen noch nicht fest, das hat der Weltverband noch nicht festgelegt“, weiß er. Eine andere sportliche Großveranstaltung im Spätsommer hätte ihn noch mehr gereizt - die Paralympics in Paris (28. August bis 8. September): „Paris wäre ein Traum gewesen, doch dafür hätte alles stimmen müssen“, hat Sören Seebold diese Paralympics realistischerweise abgehakt, aber nur die im Jahr 2024: „Jetzt ist mein klares Ziel 2028 in Los Angeles. Wenn es nach Paris einen Umbruch im Nationalteam gibt, ist da eine Chance.“