Gelsenkirchen. Schalke befindet sich aktuell wieder in der Krise. Kritiker werfen der Klubführung vor, sie werde von der aktiven Fanszene dominiert. Stimmt das?

Kein Cheftrainer, kein Vorstandsvorsitzender, ein Sportvorstand auf Abruf, kein Chefscout, kein Hauptsponsor ab Juni 2024, eine verunsicherte Mannschaft, die auf dem drittletzten Platz der Zweiten Liga steht - und ein Aufsichtsrat, der untertaucht und den Ereignissen seinen Lauf lässt: Der FC Schalke 04 befindet sich in einer Führungskrise. Stets heißt es, die Vereinsführung werde dominiert von der aktiven Fanszene. Doch was heißt das überhaupt? Und stimmt das? Wir erklären das ausführlich.

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Zunächst ist es wichtig, die Vereinsführung zu erklären. Gemeint ist damit nicht der Vorstand. Es geht zunächst um den Aufsichtsrat, der die Vorstände einstellt und abberufen kann und alle Geschäfte des Klubs mit einem Volumen von über 500.000 Euro im Jahr genehmigen muss - also fast jede Personalie im Zusammenhang mit den Profis. Das gibt dem Aufsichtsrat eine wichtige Rolle im operativen Geschäft, was der Aufsichtsrats-Vorsitzende Axel Hefer selbst einmal in einem Fragebogen als "nicht mehr zeitgemäß" bezeichnet hatte, in seiner Amtszeit bisher aber keinen Antrag eingereicht hat, um das zu verändern. Schon das ist ein sensibles Thema auf Schalke.

Vorsitzender des Aufsichtsrats des FC Schalke 04: Axel Hefer.
Vorsitzender des Aufsichtsrats des FC Schalke 04: Axel Hefer. © dpa | Unbekannt

Schalke: Wahlausschuss spielt wichtige Rolle

Eine wichtige Rolle im Klub spielt zudem der Wahlausschuss, der darüber entscheidet, welche Kandidaten für die Aufsichtsratswahl zugelassen werden. Das ist eine sehr mächtige Aufgabe, durch die das Gremium die Vereinspolitik mit bestimmen könnte.

Drittes Vereinsgremium ist der Ehrenrat, der nicht in der Vereinspolitik mitmischt, aber zum Beispiel bei Verfehlungen der Mitglieder eingreifen kann. Bekannt wurde er, als er in komplett anderer Besetzung als im Jahr 2023 Ex-Klubchef Clemens Tönnies nach verbalen Entgleisungen nicht rauswarf. Tönnies ließ sein Amt für drei Monate ruhen.

Schalke: Was ist die konkrete Kritik an der Führung?

Erster Vorwurf: Die Ultras würden durch ihre Kontakte zur Spitze des Aufsichtsrats die Vereinspolitik und die Auswahl von Führungspersonal mitbestimmen und nur diejenigen akzeptieren, die ihre Auffassungen mindestens dulden. Zweiter Vorwurf: Der Wahlausschuss würde Mitglieder, die einer Ausgliederung der Profiabteilung offen gegenüberstehen, nicht für die Wahl zum Aufsichtsrat zulassen. Dritter Vorwurf: Nicht nur die Ausgliederung würde durch die aktive Fanszene verhindert, sondern auch eine zusätzliche finanzielle Unterstützung von Ex-Vereinschef Clemens Tönnies. Das Gedankenspiel dabei: Stünde aktuell Tönnies an der Spitze des Klubs und die Probleme wären gleich, wären wilde Proteste und Rücktrittsforderungen am Trainingsgelände, Pfiffe und Plakate im Stadion und wüste Diskussionen im Internet sehr wahrscheinlich.

Aktive Fanszene auf Schalke - was ist das?

Von den rund 178.000 Mitgliedern des FC Schalke 04 sind nicht alle in Fanklubs organisiert, reisen ihrem Klub hinterher, beschäftigen sich konkret mit Vereinspolitik, treten als lautstarke Anhänger im Stadion auf. Sie sind sogenannte "Passivmitglieder". Die aktive Fanszene hat aber den Anspruch, sich einzumischen, kritisch zu sein, sich am Vereinsleben zu beteiligen, im Stadion für Stimmung und Choreographien zu sorgen. Sie hat sich selbst Leitlinien für die Klubpolitik gegeben, bezeichnet die Passivmitglieder zuweilen als "Erfolgsfans". Vor allem drei Gruppen sind zu nennen.

Ultras Gelsenkirchen: Der bekannteste Fanklub der Schalker, das Herz der Kurve. Die Ultras stehen aber nicht nur für Choreographien oder Lautstärke, sie treten auch außerhalb der Stadien auf. Ein Beispiel: Jahr für Jahr erstellen und verkaufen die Ultras ihren "Nordkurven-Kalender", 75 Prozent der Erlöse fließen in soziale Projekte. Regelmäßig haben sie einen Stand auf dem Gelsenkirchener Weihnachtsmarkt, auch diese Erlöse gehen an karitative Projekte der Stadt. Besonders auffällig war das Projekt "Flutlichtmast Parkstadion", das unter Federführung der Ultras umgesetzt wurde. Ihre Berichte und Meinungen äußern sie auf ihrer Homepage oder im Fanklub-Magazin "Blauer Brief", das zu jedem Heimspiel erscheint.

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Die Ultras haben klare Positionen: Sie sind für den Erhalt der Fankultur, für Stehplätze, mehr Mitspracherecht im Verein, für Pyrotechnik, gegen Stadionverbote und zu viele Polizeieinsätze. Auf Schalke sprechen sie sich eindeutig gegen eine Ausgliederung aus. Mit diesen Positionen ecken sie immer wieder an. Sie waren große Gegner von Clemens Tönnies, äußerten ihre Meinung immer wieder durch Plakate, Sprechchöre, Veröffentlichungen.

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Immer wieder gibt es aber auch Kritik an den Ultras - zum Beispiel für das Entzünden von Pyrotechnik, das Schalke hohe Strafen bringt oder derbe Sprechchöre, Plakate und Beleidigungen während der Spiele. Auch aggressives Auftreten wird den Ultras vorgeworfen.

Supportersclub e. V.: Laut Selbstdarstellung auf der Homepage hat der Supportersclub rund 850 Mitglieder, er existiert seit 1996. Er bezeichnet sich nicht als Fanklub oder Ultragruppierung, sondern als "Interessensvertretung". Der Großteil der Mitglieder ist laut Homepage "Alles- und Vielfahrer". Ein wichtiger Eckpfeiler der sich selbst als unpolitisch bezeichnenden "Supps" ist es, eine Änderung der Rechtsform des Klubs in eine Kapitalgesellschaft "von vorne herein" zu unterbinden. Als "undenkbar" bezeichnet der Club eine Ausgliederung. Dies wäre der "Albtraum" aller SC-Mitglieder. Gewerbliche Aktivitäten (Merchandising, Vereinsheim, Organisation von Auswärtsfahrten) übernimmt eine Servicegesellschaft, die dem Supportersclub zu 100 Prozent gehört.

Schalker Fanclub-Verband (SFCV): Dem SFCV gehören rund 850 eingetragene Fan-Clubs mit etwa 56.000 Mitgliedern an. Deren Interessen zu vertreten, ist die wichtigste Aufgabe des Klubs. Der SFCV ist das Bindeglied zwischen Fanklubs und Verein, organisiert Veranstaltungen und Fan-Reisen, Sommerfeste. Der SFCV kann ein Vorstandsmitglied in den Aufsichtsrat entsenden und hat dadurch direkten Einfluss auf die Vereinspolitik. Auch der SFCV spricht sich für den eingetragenen Verein aus: "Der SFCV bekennt sich zum FC Schalke 04 als eingetragenen Verein in seiner heutigen Form und steht dafür, dessen Erhalt auch in Zukunft zu sichern. (...) Schalke muss Schalke bleiben." Bei den Ultras und dem Supportersclub ist der SFCV aber nicht unumstritten, die Ultras gehören auch nicht zu den Mitgliedern.

Fazit: Auffällig ist, dass sich die wichtigsten Gruppierungen der aktiven Fanszene alle für den e. V. positionieren und gegen eine Ausgliederung. Doch wer in den Gremien gehört konkret dazu?

Aufsichtsrat des FC Schalke 04 - 11 Mitglieder

Sven Kirstein (Ultras Gelsenkirchen, seit Juni stellvertretender Vorsitzender): Er bezeichnet sich selbst als "aktiver Fan", war 15 Jahre lang Allesfahrer und zusätzlich für die von den Ultras erstellten Choreographien zuständig. Die Rechtsform hält er für unantastbar. "Mit der richtigen Strategie werden wir als eingetragener Verein erfolgreich sein", schrieb er in einem Fragebogen. "Ich bin gerne bereit, alternative Modelle abzuwägen. In diese Diskussion werde ich meine tiefe Überzeugung für den e. V. einbringen." Die Staatsanwaltschaft stellte kürzlich Ermittlungen gegen Kirstein ein, der Vorwurf lautete, Kirstein habe per Funkgerät ein Startsignal für eine Choreographie mit Pyrotechnik am 30. Oktober 2022 gegeben. Kirstein habe das bestritten, das Gegenteil konnte nicht bewiesen werden, erklärte die Staatsanwaltschaft. Ein Stadionverbot für Kirstein gab es nicht, der Ehrenrat votierte einstimmig dagegen. Im Anschluss an die Mitgliederversammlung im Juni wurde Kirstein vom regulären Mitglied zum stellvertretenden Vorsitzenden befördert.

Holger Brauner (Supportersclub): Der 51-Jährige wurde im Juni wiedergewählt. Er wohnt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen. Seine Hauptaufgabe im Gremium ist der Finanzausschuss, er ist Ansprechpartner der Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers. Als Supportersclub-Mitglied ist er bei den Fans sehr bekannt, seine Meinung zum e. V. eindeutig: "Ich bin der festen Überzeugung, dass dies für Schalke 04 die richtige Rechtsform ist. Insbesondere als e. V. haben wir alle Möglichkeiten, unsere sportlichen und wirtschaftlichen Ziele selbstbestimmt zu erreichen."

Michael Riedmüller (SFCV): Der SFCV hat einen Sitz im Aufsichtsrat, Michael Riedmüller besetzt ihn. Lange Zeit war Heiner Tümmers Schalkes SFCV-Mann im Aufsichtsrat, im September 2021 zog er sich aber zurück. Unter anderem Tümmers war es, der mit seiner Stimme im Januar 2021 verhindert hatte, dass Clemens Tönnies als Geldgeber vorübergehend zurückkehrt.

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Und die beiden wichtigsten Mitglieder des Gremiums, Axel Hefer (Vorsitzender) und Moritz Dörnemann (Stellvertreter)? Sie haben sich nie öffentlich zu einer der Fangruppen bekannt, aber im Klub ist es kein Geheimnis, dass sie Ultras und Supportersclub nahe stehen. Hefer ist zum Beispiel Freund von Pyrotechnik, bezeichnete die Ultras als "wichtige Fangruppe". Auch Hefer ist kein Freund von Tönnies - ganz im Gegenteil. Als er normales Mitglied in einem von Tönnies geführten Aufsichtsrat war, wurde er zwischenzeitlich vom Ehrenrat für drei Monate ausgeschlossen und klagte erfolgreich dagegen. Hefer gehörte einer Tönnies-Opposition an.

Rolf Haselhorst, vor einem Jahr gewähltes Mitglied, sprach sich auch deutlich gegen eine Ausgliederung aus: "Schalke gehört seinen Mitgliedern zu 100 Prozent und das muss auch so bleiben. Eine Einbeziehung von Kapitalgebern durch Ausgliederung verschafft kurzfristiges Kapital, aber langfristige Abhängigkeiten. Unabhängigkeit ist ein wesentlicher Grundsatz unserer Vereinstradition."

Schalkes AR-Mitglied Rolf Haselhorst.
Schalkes AR-Mitglied Rolf Haselhorst. © dpa | Unbekannt

Fazit: War Tönnies von 2001 bis 2020 Alleinherrscher und hatte in den meisten Jahren nur Unterstützer um sich herum, die alles abnickten, dominieren nun Aufsichtsräte, die der aktiven Fanszene nahestehen und deren Ansichten zustimmen. Tönnies und sein Vorstand um Alexander Jobst forcierte in den letzten Jahren eine Diskussion um eine Ausgliederung, jetzt ist daran nicht zu denken.

Wahlausschuss des FC Schalke 04 - 8 Mitglieder

Dr. Stephan Kleier (Ultras Gelsenkirchen): Seine Amtszeit gilt bis 2024 - er war zwischenzeitlich sogar Vorsitzender des Wahlausschusses. Seit 2006 ist er Mitglied der Ultras Gelsenkirchen, seit 2010 der Schalker Fan-Initiative. Im Jahr 2024 müsste er wiedergewählt werden.

Dennis Steckel (Supportersclub): Er wird "Elton" genannt und ist zweiter Vorsitzender des Supportersclubs. Seit zwei Jahrzehnten ist er Mitglied der aktiven Fanszene. Seine Amtszeit im Wahlausschuss dauert bis 2026.

Anja Wortmann (Supportersclub): Sie sitzt als Schriftführerin im Vorstand des "SC". Die 50-Jährige ist bis 2025 in den Wahlausschuss gewählt worden.

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Weitere Mitglieder - Stefan Schorlemmer: Vom Vorsitzenden ist nicht offiziell bekannt, dass er einer Gruppierung angehört. Seine Meinung zu einer Ausgliederung verkündete er in einem Fragebogen, was ihm wichtig sei: "Unbedingter Erhalt des e. V., einen Abbau der Mitgliederrechte verhindern." Schorlemmer hatte sich 2014 für den Wahlausschuss beworben, als sich Mitglieder gegen den Sponsorenvertrag mit Viagogo zur Wehr gesetzt hatten. "Ich habe gelernt", schrieb Schorlemmer, "dass Schalke es zu jeder Zeit wert ist, sich aktiv für ihn einzusetzen." Den verschiedenen Strömungen wolle er zuhören.

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Schorlemmers Stellvertreter Maik Deinert schrieb 2014 über die Gründe seiner Bewerbung: "Weil es mir wichtig ist zu handeln, wenn ich der Meinung bin, dass etwas falsch läuft. Konkret sehe ich auf Vereinsseite die stetig fortschreitende Tendenz dazu den „e.V.“ nahezu propagandistisch zu beschwören, diesen aber de facto in seiner Grundidee abschaffen zu wollen."

Fazit: Die Mehrheit des achtköpfigen Wahlausschusses steht klar für den eingetragenen Verein - ob als Mitglied einer Organisation oder geäußerte Meinung als Einzelperson. Der Wahlausschuss sei "ein Instrument der Vereinsführung", schrieb Frank Haberzettel, vor zwei Jahren Mitglied der Gruppe "Tradition und Zukunft", die Ralf Rangnick holen wollte, bei Twitter.

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Schorlemmer weist diese Vorwürfe energisch zurück, sagte dieser Zeitung im Juni: "Der Wahlausschuss ist weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat verpflichtet, sondern ausschließlich der Mitgliederversammlung. Wir sind in unserer Zusammensetzung ein exaktes Abbild der Mehrheitsverhältnisse auf der jeweiligen Mitgliederversammlung." Haberzettel forderte deshalb, eine Online-Abstimmung zuzulassen - das ist aber aktuell in der Satzung nicht vorgesehen.

Ehrenrat - 5 Mitglieder

Jan Henke (Supportersclub, Vorsitzender): Im Newsletter des Supportersclubs wurde um Unterstützung für das SC-Mitglied Jan Henke gebeten.

Fazit: Auch im Ehrenrat ist der Supportersclub vertreten, allerdings sind die Rechte dieses Gremiums beschränkt.

Fazit

In allen Gremien spielen Mitglieder der aktiven Fanszene eine starke Rolle, teilweise sogar führend. Dass deren Positionen deshalb bei der Ausrichtung des Klubs aktuell eine große Rolle spielen, ist offensichtlich. Einen Beleg dafür, dass die Ultras aber die Personalentscheidungen des Aufsichtsrats mitbestimmen, gibt es nicht.