Dortmund. Nuri Sahin wird neuer Trainer des BVB. Als Spieler schaffte er es bis nach Madrid, an der Seitenlinie fehlt ihm Erfahrung. Kann er das?
Man muss sich knapp 60 Kilometer über die Straßen des Sauerlandes kämpfen, um von Meinerzhagen nach Dortmund zu gelangen. Einen Weg, den Nuri Sahin wohl mit verbundenen Augen finden würde, so oft, wie er ihn entlanggefahren ist. Schon im Alter von 12 Jahren wechselte er in die Jugend von Borussia Dortmund. Schule, ins Auto, zum Training, zurück, der ganz normale Alltag eines großen Talentes. Das in den folgenden Jahren einen rasanten Aufstieg erleben sollte, es sogar bis zu Real Madrid schaffte, aber nie alle Versprechen erfüllte.
Jetzt soll der frühere Mittelfeldstratege in die vorderste Trainerreihe des BVB rutschen, das Amt des zurückgetretenen Edin Terzic übernehmen. Er hat einen Vertrag bis zum 30. Juni 2027 unterschrieben. Das gab der BVB am Freitag vor dem Start der Europameisterschaft im eigenen Land bekannt. Bereits seit einem halben Jahr hat Sahin in Terzics Team mitgearbeitet. Nach außen hin erfolgte dies geräuscharm. Auf dem Trainingsplatz aber konnte man beobachten, wie der 35-Jährige die meisten Übungen leitete, gelegentlich sogar mit einem Lächeln mitspielte.
Nuri Sahin fehlt die Erfahrung auf dem Niveau des BVB
Das Rückhalt des Ex-Profis innerhalb der Kabine ist groß, die Fans lieben die Legende ohnehin. Die Frage lautet jedoch, ob dies genügt, um sich auf einem der schwierigsten Trainerposten der Bundesliga zu behaupten. Thomas Tuchel hat sich hier versucht, Peter Stöger, Lucien Favre, Marco Rose, zuletzt Terzic, alle scheiterten aus unterschiedlichen Gründen. Nun soll Sahin endlich für mehr Nachhaltigkeit sorgen. Er wäre der jüngste Trainer der kommenden Bundesliga-Saison nach Fabian Hürzeler, 31, der den Aufsteiger FC St. Pauli allerdings noch verlassen könnte.
Erfahrung hat Nuri Sahin auf diesem Niveau nicht gesammelt. 2021 sprang er bei seiner letzten Profistation bei Antalyaspor etwas überraschend auf die Trainerbank, stabilisierte den strauchelnden Klub. Die erste Saison lief beeindruckend, danach glückte nicht alles. Spieler von damals beschreiben ihn als „Kumpeltypen“, der das Gespräch mit jedem suche. Dem gebürtigen Lüdenscheider schwebt ein Ballbesitzfußball vor, niemand soll auf seiner Position verharren. Der Gegner soll dadurch verwirrt werden, dass die Außenspieler manchmal nach innen rücken, die Zentrumsspieler nach außen. Die weiteren Ziele: schnelle Balleroberungen, ein rasantes Umschaltspiel.
Marco Reus und Mats Hummels verlassen den BVB
In Dortmund muss Sahin einen großen Umbau meistern. Die Institutionen Marco Reus und Mats Hummels verlassen den Klub. Die Verantwortlichen planen in Serhou Guirassy die Bundesliga-Attraktion vom VfB Stuttgart für den Sturm zu verpflichten, kommen sollen zudem ein Verteidiger, ein Außenspieler, ein Sechser. Es braucht neue Führungskräfte, ein verbessertes Aufbauspiel, mehr Varianten im Angriff. Nach einer turbulenten Hinrunde hatte sich der BVB unter Edin Terzic im vergangenen halben Jahr gefangen, die spielerische Steigerung schreiben viele Spieler vor allem Nuri Sahin zu. Vormachen sollte sich aber niemand etwas: Auch in der Rückrunde traten in der Liga viele Probleme auf. Deswegen soll der Kader ja verändert werden.
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Diese Umstrukturierung erfolgt in einer Phase, in der sich auch die Chefetage neu formiert. Lars Ricken leitet als Sport-Geschäftsführer seit Mai das sportliche Geschehen, dahinter reden Sportdirektor Sebastian Kehl und der Technische Direktor Sven Mislintat mit. Reibungen sind vorprogrammiert. Edin Terzic hatte sich intern über die Strukturen beklagt, sein Nachfolger muss es in diesem Umfeld schaffen, dass die eigenen Wünsche gehört werden.
Die Stimmung kann beim BVB schnell kippen
Bei den Fans dürfte Sahin als langjähriger Taktgeber mit einem hohen Kredit starten. Die Stimmung aber kann bei dem emotionalen Verein aufgrund der hohen Ansprüche schnell kippen. Dortmunds Anhängerinnen und Anhänger wollen mitgerissen werden, sie sehnen sich nach der Meisterschaft. Auch Edin Terzic musste erleben, wie trotz seiner aufrichtigen Zuneigung zum BVB nach jedem trüben Auftritt massive Kritik über ihn hinweg schwemmte. Und dies, obwohl der Verein unter ihm in den vergangenen zwei Jahren an zwei großen Titeln kratzte.
Nuri Sahin muss das Offensivspiel beleben, eine neue Hierarchie festigen, die nach dem emotionalen Champions-League-Finale neue Verbundenheit zu den Fans erhalten und möglichst zeitnah um den Borsigplatz fahren. Der Weg durchs Sauerland ist im Vergleich dazu ein Klacks.