Dortmund. Früher stand Lars Ricken auf dem Rasen, jetzt verantwortet er den sportlichen Bereich des BVB. Wenn nötig, will er seinen Klub verteidigen.
Lars Ricken trägt ein blaues Sakko über seinem Pullover, wenn er spricht, kneift er die Augen zusammen, manchmal lächelt er verschmitzt. Früher ist er weiter drüben über den Rasen gerannt, hat einmal im zarten Alter von 18 Jahren den Ball gegen La Coruna unter die Latte gehämmert, hat später das Champions-League-Finale durch den schönsten Lupfer der Vereinsgeschichte entschieden. Legendär. Lange her.
Damals hat er sich an TV-Kameras auch mal vorbeigeschlichen. Jetzt sitzt er hier, im Medienraum des sagenumwobenen Gebäudes, das der 47-Jährige noch als Westfalenstadion kennt.
Seit Anfang Mai verantwortet der gebürtige Dortmunder den sportlichen Bereich von Borussia Dortmund und ist dadurch in eine für ihn ganz neue Rolle gerückt. Eine Rolle, die ihn schlagartig ins Licht der deutschen Öffentlichkeit rückt, die seinen Worten ein neues Gewicht verleiht, die seine Verantwortung wachsen lässt. Ricken muss den enttäuschten Sportdirektor Sebastian Kehl führen, er muss den nicht immer leichten neuen Kaderplaner Sven Mislintat händeln. Er muss damit umgehen, dass Klubs wie RB Leipzig und Bayer Leverkusen am Status des BVB kratzen. Aber: Seine Amtszeit kann direkt mit dem größten Erfolg auf Vereinsebene ausgeschmückt werden, sollten die Borussen am 1. Juni das Champions-League-Finale gegen Real Madrid gewinnen.
BVB-Chef Hans-Joachim Watzke: Lars Ricken hat „eine Mörderaufgabe“
Es sei „eine Mörderaufgabe“, meint der Vorsitzende des Geschäftsführung, Hans-Joachim Watzke, der an diesem Mittwoch bei Rickens Vorstellung gemeinsam mit Präsident Reinhold Lunow neben dem neuen starken Mann sitzt. „Als er uns sein Konzept vorgestellt hat, hat er den Präsidialausschuss gerockt“, erzählt Lunow.
Wie diese „rockende“ Vision genau ausschaut, dies bleibt an diesem Tag etwas vage. „Wir machen das hier nicht zur persönlichen Weiterentwicklung, wir machen das für die Fans“, sagt Ricken. „Sie sollen glücklich nach Hause gehen, das muss unser Anspruch sein.“ Seine drängendste Aufgabe sei die Kaderplanung für die kommende Saison. „Wir brauchen eine Zwei-Wege-Strategie. Einmal junge, hungrige Spieler mit Marktwertpotenzialen, aber auch ein Gerüst aus Spielern mit Erfahrung, mit Qualität, mit Mentalität, an deren Seite sich die jungen Spieler entwickeln können.“
BVB-Mitarbeitende schwärmen von Lars Ricken
So ähnlich hört man dies schon lange in Dortmund, wie es aber konkret gelingen soll, sich in dem schwierigen Bundesligaumfeld zu behaupten, bleibt offen. Ricken besitzt, dies lässt sich beobachten, noch nicht die Souveränität eines Hans-Joachim Watzke, manchmal stockt er, sucht nach Worten. Immer aber, und dies ist eine Stärke, wirkt Ricken sympathisch. Ältere Fans haben seinen Aufstieg als Teenager bewundert, jüngere haben schon einmal seinen Jahrhundert-Kunstschuss gegen Juventus Turin gezeigt bekommen. Mitarbeitende im Klub schwärmen von der offenen Art des Ex-Profis, mit der er als Nachwuchskoordinator und als Leiter des Nachwuchsleistungszentrum eine bemerkenswert angenehme Arbeitsatmosphäre geschaffen habe.
Ricken sei jemand, so Watzke, der sehr selbstbewusst sei, aber sein Gegenüber dies nicht spüren lasse. Bis zu seinem Ausscheiden Ende 2025 bleibt Watzke der Vorsitzende der Geschäftsführung, er will sich aber in rein sportliche Belange nicht mehr einmischen: „Ich habe das nicht gemacht, um hier weiter die Fäden zu ziehen. Es wird definitiv keinen Anruf geben, um Lars zu sagen, mach das bitte so und so.“ Er werde nur den „den finanziellen Rahmen“ vorgeben.
BVB-Knatsch: Lars Ricken hat sich mit Sebastian Kehl zusammengesetzt
Ganz ohne Knatsch kann es bei einem so großen Klub wie Borussia Dortmund jedoch nicht funktionieren. Auch Sportdirektor Sebastian Kehl wäre gerne aufgestiegen. Beide hätten sich direkt am ersten Tag nach der Entscheidung zusammengesetzt, erzählt Ricken. „Er ist ja weiterhin Sportdirektor. Er kann die Geschicke mitgestalten. Gemeinsam mit Sven Mislintat haben wir die große Chance, gemeinsam, konstruktiv und vertrauensvoll den Bereich Sport weiterzuentwickeln.“
Dies ist ein Beispiel für jene verbindenden Worte, mit denen sich Lars Ricken hervortun möchte. Seine öffentlichen Aussagen werden wohl meist gedämpfter ausfallen als die von Hans-Joachim Watzke. Aber: „Ich bin gebürtiger Dortmunder, ich vertrete diese Farben mit allem, was ich habe. Wenn wir angegangen oder angegriffen werden, dann werde ich diese schwarz-gelben Farben natürlich auch laut und deutlich verteidigen.“
BVB: Mehr News und Hintergründe zu Borussia Dortmund
- BVB bestätigt Hummels-Abschied - Zeit war „riesengroße Ehre“
- Es geht ums Gehalt: Was den Guirassy-Kauf so schwierig macht
- BVB-Transferticker: Alle Neuigkeiten und Gerüchte
Ganz unten im Stadion lässt sich ein großes Wandgemälde entdecken, darauf hält Lars Ricken den Champions-League-Pokal in den Händen, wild wirkt er darauf, die Haare sind kurz rasiert. 27 Jahre später kann Ricken erneut mit seinem Klub die Königsklasse gewinnen. Diesmal wird er auf der Tribüne sitzen, neben all den anderen mächtigen Persönlichkeiten. Was für ein Aufstieg.