Essen. Alexander Zverev verliert das Australian-Open-Finale. Sein Reifeprozess ist noch nicht abgeschlossen. Wer ihm Hoffnung machen kann. Ein Kommentar.

Alexander Zverev wirkte in den Tagen von Melbourne wie eine Version 2.0. Er hatte sein Spiel verbessert, war körperlich vielleicht so fit wie nie, zeigte sich nahbar, scherzte mit dem Publikum. Wenn da nur nicht dieser riesige Elefant im Raum wäre, der ihn stets begleitet. Endlich, endlich den ersten Grand-Slam-Sieg. Die Chance war zum Greifen nah.

Alexander Zverev war die Frustration nach seiner erneuten Grand-Slam-Final-Niederlage anzusehen.
Alexander Zverev war die Frustration nach seiner erneuten Grand-Slam-Final-Niederlage anzusehen. © Getty Images | Cameron Spencer

Doch der Hamburger hatte am Sonntag ein Problem – und das hieß Jannik Sinner. Der Italiener ließ keinen Zweifel daran, warum er die Nummer eins und Zverev die Nummer zwei der Welt ist. Sinner ist der verdiente Sieger der Australian Open. Zum dritten Mal verlor Zverev ein Grand-Slam-Finale. Offensichtlich auch deshalb, weil er nicht imstande dazu ist, in den entscheidenden Momenten über sich hinaus zu wachsen.

Schläger geknallt: Im Finale flackert der alte Zverev auf

Wie schon bei vorherigen Auftritten haderte er in kniffligen Momenten, statt auch mal die Faust zu zeigen, wenn ihm ein noch so leichter, aber wichtiger Punkt gelang. Wenn er selbst nicht an seinen Sieg glaubt, warum sollte dann sein Gegner an dessen eigener Überlegenheit zweifeln?

Als er seinen Schläger auf seine Tennistasche schmetterte, flackerte der alte Zverev auf. Der, der cholerische Ausbrüche an seinem Spielgerät, aber auch verbal an Unparteiischen ausließ. Ein weiteres Mal holte ihn seine Vergangenheit kurz vor seiner Abschlussrede eine. Eine Zuschauerin rief dreimal: „Australien glaubt Olga und Brenda.“ Sie nahm auf die früheren Freundinnen Zverevs Bezug, die ihm häusliche Gewalt beziehungsweise Körperverletzung vorwarfen. In dem einen Fall war es zu keinem Verfahren vor Gericht gekommen. Im zweiten Fall war ein Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten gegen Zverev ohne Urteil gegen eine Geldauflage von insgesamt 200.000 Euro eingestellt worden. Der Entscheidung war eine außergerichtliche Einigung des Sportlers und seiner Ex-Freundin Patea als Nebenklägerin vorausgegangen. 

Eine Zuschauerin protestiert und erinnert nach Zverevs Niederlage an die Vorwürfe der häuslichen Gewalt, die dessen Ex-Freundinnen öffentlich gemacht hatten.
Eine Zuschauerin protestiert und erinnert nach Zverevs Niederlage an die Vorwürfe der häuslichen Gewalt, die dessen Ex-Freundinnen öffentlich gemacht hatten. © AFP | Martin Keep

Alexander Zverev: In Deutschland immer noch kein Volkheld

Arrogante Auftritte und derartige Schlagzeilen sind Gründe, warum Zverev es in Deutschland trotz Olympiasieg und zweimaliger ATP-Weltmeisterschaft nicht zum Volkshelden schafft. In Melbourne zeigte sich aber, dass Zverev sich auch auf einer inneren Reise befindet. Er wirkt gereift, fand stets gute Worte – nahm seinen Halbfinalgegner Novak Djokovic nach dessen Aufgabe in Schutz, bedankte sich bei den Turnierorganisatoren, wie wunderbar sie mit schwierigen Tennisspielern wie ihm umgehen.

Nur: Zur eigenen Vollendung braucht Zverev diesen Grand-Slam-Titel. Als Vorbild könnte ihm Madison Keys dienen, die viele als Jugendliche bereits als nächste Serena Williams sahen. Keys brauchte bis zu ihrem 29. Lebensjahr, um ihren ersten Grand Slam zu gewinnen. Wie sie sagt: Erst nachdem „es für mich okay war, wenn es nicht passiert“, und sie verstand, „dass ich nervös sein und trotzdem gutes Tennis spielen kann“. Diese Reise liegt nun noch vor Alexander Zverev.