Melbourne. Alexander Zverev hält durchaus wacker mit, doch am Ende krönt sich Jannik Sinner mit 3:0 (6:3, 7:6, 6:3) zum Sieger bei den Australian Open.
Einige Reden waren bei der Grand Slam-Siegerehrung in der Rod Laver-Arena schon gehalten worden, als Alexander Zverev mit einem grimmigen, gezwungenen Lächeln ans Mikrofon trat. Kurz blickte der geschlagene Finalist herüber zum Höchstpreis der Australian Open, dann bekundete er mit leicht belegter Stimme und Tränen in den Augen: „Es ist echt ätzend, jetzt so dicht neben dem Pokal zu stehen.“ Tapfer erduldete der Deutsche den artigen Verlierer-Applaus der 15.000 Zuschauer und versprach obligatorisch: „Ich werde wiederkommen. Und es wieder versuchen.“
In sportlicher Pokal-Reichweite war der geknickte Zverev an diesem windigen Sommerabend in Melbourne allerdings niemals gegen den alten und neuen Champion, den Weltranglisten-Ersten Jannik Sinner. Vor dem allerletzten Duell dieser Offenen Australischen Meisterschaften hatte Zverev gesagt, er sei „bereit und reif“ für den ersten Grand Slam-Titelcoup seiner Karriere, doch einer war noch bereiter und reifer als der 27-jährige Hamburger – der „Rote Baron“ aus Südtirol, der die Pokalträume des Herausforderers unbarmherzig mit 6:3, 7:6 (7:4) und 6:3 zerstörte. Zverevs Kompliment in Richtung des Melbourne-Königs war am Ende auf den Punkt: „Du bist einfach zu gut – und ich wohl einfach nicht gut genug.“
Alexander Zverev bei den Australian Open: Live-Ticker zum Nachlesen
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Nein, diesmal spielte sich kein Drama bei einem Finalauftritt von Zverev ab. Keine verspielten Führungen, kein Scheitern nach zwischenzeitlich haushoher Überlegenheit. Zverev, im Turnierverlauf eigentlich kein einziges Mal wirklich geprüft, scheiterte am ersten ernsthaften Rivalen, dem Branchenführer, mit schonungsloser Klarheit. „Er war einfach nur der zweitbeste Spieler heute“, gab aus der Ferne Boris Becker zu Protokoll. Er, der altersweise Tenniskanzler, hatte vor genau 10.591 Tagen als letzter DTB-Profi einen Majortitel erkämpft, in Melbourne gegen US-Mann Michael Chang. Während sich der potenzielle Zverev nun in ebenso gute wie erfolglose Gesellschaft einreihte, Spieler wie Ivan Lendl, Andy Murray oder Andre Agassi, die auch ihre ersten drei Grand Slam-Endspiele allesamt verloren.
Für Zverev war in seinem akuten Tennis-Weltschmerz kaum tröstlich, dass jene Gescheiterten später alle noch mehrfache Champions wurden. Zu tief saßen Frust, Ärger und Wut über eine Vorstellung, bei der er von allen seinen Qualitäten viel zu wenig zeigte: Das Service nicht mit der gewohnten Durchschlagskraft, die Grundschläge zu wacklig, die offensiven Aktionen ohne innere Überzeugung – so war der Wunsch, endlich den erlösenden Triumph bei einem der vier herausragenden Turniere feiern zu können, eben nur ein frommer Wunsch. Auch im 36. Anlauf konnte der mit Sinner und sich selbst kämpfende Hamburger den Makel des „Unvollendeten“ nicht tilgen.
Australian Open: Alexander Zverev strauchelt gegen die Weltspitze
Auch in einer anderen, nicht ganz unwesentlichen Statistik blieb Zverev in schmerzlich tiefroten Zahlen: Denn bei Grand Slams hatte der Weltranglisten-Zweite nach dem niederschmetternden Melbourne-Finale nun bloß ein einziges Mal gegen einen Top 5-Spieler gewonnen – jetzt aber zum 13. Mal als Verlierer den Centre Court verlassen. Gegen Nummer 1-Spieler erhöhte sich das Grand Slam-Defizit nun auf 0:5. Womit schwarz auf weiß festgeschrieben blieb, dass der deutsche Frontmann gegen die Stärksten und Besten der Szene nicht die allerletzten Prozente und Ressourcen aus sich herauskitzeln konnte. Ganz gleich, ob die Probleme psychischer oder physischer Natur waren.
Dem Gefühl, schon etwas länger vor dem verwandelten Sinner-Matchball verloren zu haben, verlieh Zverev regelmäßig Nahrung: In den Spielpausen saß er wiederholt hadernd und lamentierend auf der Bank, einmal hieb er seinen Schläger desillusioniert auf die eigene Tennistasche. Ein paar Scharmützel mit dem Schiedsrichter gab es auch, zudem ratlose, verzweifelte Blicke in Richtung des starr dreinblickenden Teams. Nie wirkte Zverev an diesem 26. Januar 2025 wie einer, der die Nachfolge Beckers als Grand Slam-King antreten könnte und damit ein ähnliches Drehbuch schreiben würde wie vor neun Jahren Angie Kerber als zupackende Graf-Erbin. Sie ist und bleibt weiter die einzige deutsche Titelsolistin bei Herren oder Damen in diesem Jahrhundert.
Nur unfreiwillig staunend durfte Zverev herüberblicken zum stoischen, eiskalten Klassenprimus Sinner, der in zwei Stunden und 45 Minuten Spielzeit keinen einzigen Breakball zuließ. Der 23-jährige Italiener, auch gern „Karotte“ genannt, war keineswegs zum Anbeißen schön. Wie ein Centre Court-Souverän allererster Güte trat Sinner auf: Zur Arbeit gekommen, nicht Akten-, sondern Schlägertasche ausgepackt, Arbeit methodisch und strukturiert nach perfekter Vorschrift ausgeführt, Arbeit mit Turniererfolg beendet. Punktum.
Australien Open: Zverev-Gegner Sinner hatte Doping-Ärger
„Er macht den Eindruck, als lassen ihn alle Nebengeräusche kalt“, sagte Beobachter Becker mit Anspielung auf Sinners noch laufende Dopingangelegenheit. Im vergangenen Jahr war beim Nummer eins-Spieler zwei Mal ein Dopingtest positiv ausgefallen. Ein eigenes Verschulden Sinners wurde zunächst von einer unabhängigen Kommission verneint, gegen dieses Verdikt legte die Weltdoping-Agentur dann Berufung ein. Im April wird vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof (CAS) endgültig über Sinners Schicksal entschieden.
Zverevs einziger Titel beim Major-Wettbewerb am anderen Ende der Welt blieb so der Gewinn des Melbourne-Juniorenturniers vor elf Jahren, im Sommer 2014. Viel hat er seitdem bei den Erwachsenen gewonnen, WM-Pokale, Olympiagold, serienweise Tourtrophäen. Aber das Warten auf ein Grand Slam-Erfolgserlebnis geht nach einem verkorksten Melbourneauftritt weiter. Nach einem Tag, geprägt vom frischen Motto: Aller schlechten Finaldinge sind Drei.