Herning. Volle Hallen, fantastische Tore: Die Handball-WM produziert die richtigen Bilder. Eine Konzentration ist trotzdem gefährlich. Ein Kommentar.
Als die Handball-WM gerade richtig Fahrt aufnahm, sprach Alfred Gislason darüber, was er von den anderen Nationen bei diesem Turnier mitbekäme. Wegen seines isländischen Passes darf man dem 65 Jahre alten Bundestrainer ein bei Geburt gegebenes Interesse unterstellen, was die Landsleute in Zagreb zu bieten haben. Berufsbedingt wird er sich auch nicht entgangen gelassen haben, welch selbstzerfleischendes Schauspiel die Norweger, die Vorzeigespieler Sander Sagosen 2017 und 2019 zu Vize-Weltmeisterschaften geführt hat, in Oslo fabrizieren. Aber die Quintessenz Gislasons war: „Außer Ergebnissen bekommt man nicht viel mit, von der Atmosphäre sowieso nichts.“
Handball-WM: Mit mehr Mannschaften ist für die Entwicklung nicht alles getan
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Zum ersten Mal ermitteln 32 Mannschaften in drei Ländern den neuen Weltmeister: in Dänemark, in Kroatien und in Norwegen. In Oslo wird sich abschließend noch herausstellen, ob Mathias Gidsels Super-Dänen erstmals in der WM-Geschichte zum vierten Mal in Folge den Titel holen können.
Der Weltverband IHF lässt seit vier Jahren mehr Teilnehmer als zuvor in den Genuss einer Endrunde kommen. Um sich für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles vorbereiten zu können, bekamen die USA sogar Freikarten für die aktuelle und die nächste WM. Und kein Zeuge des italienischen Handballmärchens in Herning wäre dieser Tage auf die Idee gekommen, über Aufblähung des Feldes und Verwässerung der Qualität zu klagen.
Handball-WM: Deutschland, Dänemark und Frankreich in exponierter Situation
Die Krux nur: Es gibt immer weniger Ausrichter, die das Turnier allein stemmen können. Deutschland wird das bedenkenlos 2027 zugetraut, nach Dänemark und Frankreich finden sich aber kaum noch potenzielle Solo-Gastgeber. Ob allein oder zu zweit, auch noch mal zu dritt – die IHF und ihre europäischen Kollegen von der EHF haben sich verständigt, ihre Endrunden bis 2032 fast nur noch an diese Boom-Standorte zu vergeben. Ausnahme: die EM 2028 in Spanien, Portugal und der Schweiz.
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Das besorgniserregendste Glied der Problemkette: Die global florierenden Sportmärkte – USA, Indien und China – erreicht der Handball so nicht. Das bedroht die olympische Zukunft. Eine reale Gefahr, wie Frank Bohmann, Geschäftsführer der Bundesliga-Dachorganisation HBL, nach ausführlicher Debatte darüber bei der letzten Mitgliederversammlung berichtete: „Im IOC-Ranking der Sportarten ist der Handball auf dem absteigenden Ast.“
Handball: Weltverband darf nicht sparen, sondern muss investieren
Der Weltverband hortet in Basel reichlich Geld aus den lukrativen TV-Vermarktungsverträgen, anstatt es in die Entwicklung seines Sports zu investieren. Fans mit Wohnort in Köln oder Herning wird es auch in Zukunft verzücken, wenn sie in kurzen Jahresabständen immer wieder mit dem Fahrrad zu bedeutenden Finals fahren können, spektakuläre Tore von Renards Uscins oder irre Paraden von David Späth quasi vor der Haustüre geliefert bekommen.
Es wäre aber fatal, sich von bezaubernden TV-Bildern aus Deutschland und Dänemark blenden zu lassen. Weil das IOC eigene Pläne für die Fünf-Ringe-Vermarktung hat. Timo Kastenings Befürchtung ist daher auch für Deutschland und Dänemark gefährlich: „Ein Ausschluss aus dem olympischen Programm“, sagte der Silbermedaillengewinner von Paris und Lille dieser Tage, wäre eine Katastrophe.“