Paris. Der zweifache Hockey-Olympiasieger im Interview über Leistungsbereitschaft und was es braucht, den Sport in Deutschland voranzubringen.
Zweimal Gold, einmal Bronze: Der persönliche Medaillenspiegel von Moritz Fürste würde für eine Top-25-Nationen-Platzierung bei den Olympischen Spielen reichen. Der 39 Jahre alte Hamburger stand zu seiner aktiven Zeit als Hockeyprofi wie kaum ein Zweiter für die Verkörperung absoluten Erfolgsstrebens. Nach und nach entsteht aber der Eindruck, dass Fürste damit einer aussterbenden Spezies angehört – zumindest in Deutschland.
Funke Mediengruppe: Herr Fürste, wie ist es um Ihre persönliche Leistungsbereitschaft in Paris bestellt?
Moritz Fürste: Die dürfte zufriedenstellend sein. Ich war schon selbst aktiv, als ich unter anderem mit Pau Gasol (spanische Basketballlegende, d. Red.) Golf gespielt habe, unterstütze als Zuschauer unsere Hockey-Teams bei fast jedem Spiel, bin aber auch darüber hinaus möglichst viel unterwegs, um deutsche Athleten live zu sehen.
An Ihrer Leistungsambition als aktiver Spieler gab es nie Zweifel. Im deutschen Sport wird aber mittlerweile die Frage aufgeworfen, ob noch genügend Leistungsbereitschaft und -fähigkeit besteht. Wie sehen Sie das?
Gegenfrage: Was heißt denn Leistung?
Sie sind der Experte.
Nun gut. Für mich bedeutet es, das Bestmögliche aus dem herauszuholen, was man macht. Egal, ob im Sport oder im Beruf. Dafür muss man einen Input liefern. Entscheidend ist für mich die Frage nach dem Belohnungsmodell. Im Job ist das einfach geregelt. Man leistet und bekommt ein Gehalt dafür. Diejenigen, die mehr arbeiten wollen, verlangen auch mehr Geld. In vielen Sportarten wie Hockey ist diese Belohnung nicht eins zu eins mit Finanziellem gleichzusetzen. Dann kommen wir in den Graubereich, was Input und Output sind. Hier wird es auch durch Ruhm, Ehre und solche Erlebnisse wie Olympische Spiele aufgewogen. Um zu Ihrer Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich sehe immer noch genügend Leistungsbereitschaft. Wir müssen uns aber die Frage stellen: Was wollen wir von unseren Kindern? Wollen wir Leistung im Sinn des Bestmöglichen? Wenn ja, wie fördern wir das?
Dennoch gibt es prominente Ex-Sportler und aktive Trainer, die den letzten Willen bei jungen Athleten vermissen. Können wir Deutschen uns noch quälen?
Klar, ehrlicherweise sehe ich das gar nicht so. Ich finde dieses Generationsthema schwierig. Seit zehn Generationen sprechen wir gefühlt darüber, dabei werden die Leistungen absolut betrachtet immer besser. Jeder Tennisspieler von heute würde einen von vor zehn Jahren schlagen. Zwischen den Schwimmzeiten vor 20 Jahren und jetzt liegen Welten. Die Art, wie sich früher gequält wurde, war einfach nur eine andere. Man könnte sogar sagen, dass der Aufwand heute höher ist, weil das Spiel viel schneller geworden ist. An manchen Stellen wird schlicht effizienter gearbeitet. Wir haben sehr leistungsbereite Kids. Ich habe zwei Töchter und sehe jedes Wochenende 15 total leistungsbereite Mädchen über den Platz rennen.
Wie stehen Sie zum Abschaffen der Resultate bei Bundesjugendspielen und teilweise generell im Kinder- und Jugendsport?
Das halte ich für total problematisch. Wenn man das zu Ende denkt, bedeutet es, dass wir in keiner Form mehr Ergebnisse fördern möchten. Dann können wir auch gleich arbeiten gehen, ohne dafür bezahlt zu werden. Wer mehr arbeitet, bekommt nicht mehr. Aber dann kommen wir politisch in einen Bereich, in den wir nicht wollen.
Und auf den Sport bezogen?
Ich bin ein Freund davon, Wettkampfsituationen stufenweise zu steigern. Kinder müssen nicht mit sieben Jahren in der Spitze auf Leistung getrimmt werden wie später mit 15 oder 16. Das heißt aber nicht, dass sie im Fußball oder Hockey nicht wissen wollen, wie es steht. Oder bei Bundesjugendspielen sehen wollen, wer besser oder schlechter abgeschnitten hat. Es ist solch ein wichtiger Lerneffekt im Leben, mit dem Verlieren umzugehen, ein direktes Feedback durch Ergebnisse zu erfahren. Ich halte das für elementar wichtig und sehe es auch in meinem Job, wer gelernt hat, mit Niederlagen und Feedback umzugehen. Die früheren Sportler sind da klar im Vorteil, das ist ein riesiger Mehrwert.
Aufs Stichwort: Sport hat sehr viele Mehrwerte für die Gesellschaft. So richtig scheint das nicht anzukommen, häufig werden populistische Diskussionen über die Bezahlung geführt, Sportstunden fallen an Schulen als erste aus, es gibt Kritik an einer möglichen Olympia-Bewerbung. Woran liegt dieses verzerrte Bild?
Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wenn wir uns zu einer Olympia-Bewerbung durchringen, würde das unfassbar viel verändern. Du brauchst diese Ereignisse. Wir kommen nicht zu einer Verbesserung, wenn immer dieselben Leute das Gleiche sagen. Es braucht Großevents. Die EM hat das doch gezeigt, und die ist infrastrukturell nicht so viel einfacher zu organisieren wie Olympische Spiele.
Welchen Eindruck haben Sie hier in Paris erhalten? Die Franzosen feiern ihre Sportler enthusiastisch.
Das ist großartig, auch losgelöst von den Ergebnissen. Die ganze Stadt ist ein olympisches Dorf. Dazu kommen die vielen Medaillen französischer Sportler, durch die Investitionen in Sport wird sich das langfristig auszahlen. Dadurch kann eine spirale Dynamik entstehen, dass Sport und Leistung in der Gesellschaft besser wahrgenommen werden. Aber wir brauchen dazu dieses einzigartige Ereignis Olympia, das wir zuletzt vor 50 Jahren hatten. Zwei Generationen haben das nicht erlebt.
Wie kann man die Bevölkerung dorthin mitnehmen?
Die „Stop the clock“-Kampagne des DOSB ist schlau. Diesmal sind wir frühzeitig dran, auch in Gesprächen mit der Politik. Es kommt nicht kurz vor knapp plötzlich alles mit dem Hammer. Dazu muss man bei vergangenen Bewerbungen sagen, dass das Timing unglücklich war, weil internationale Ereignisse, wie Anschläge, eine Bewerbung erschwert haben.
Macht Ihnen der Blick auf den Medaillenspiegel Sorgen?
Für mich ist er folgerichtig. Die USA, China, Großbritannien, Frankreich und Japan sind uns voraus, weil alle Länder Olympia-Ausrichter waren und davon zehren. Wir sollten den Anspruch haben, uns auf dem Niveau von Frankreich und Großbritannien zu etablieren, aber sind in der Breite weit weg. Das liegt nicht daran, dass diese Länder etwas grundsätzlich besser machen, sondern weil sie mehr investieren.
Wo soll das Geld herkommen?
Leider Gottes kann ich das nicht sagen, weil ich keine Ahnung von politischen Haushalten habe. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass ein Land wie Frankreich das hinbekommt, eines wie Deutschland aber nicht.
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Sie kennen sich gut mit Vermarktung aus. Liegt es auch daran, dass wir Sport besser verkaufen könnten?
Cleverer kann man das immer machen. Das ist eine Sache der Nachfrage. In Paris sind parallel 25.000 Leute in den beiden Hockey-Stadien. Das ist absurd, was dieses Event erschafft. Von den Zuschauern werden zwar nicht alle morgen mit Hockey anfangen, aber das Interesse ist da, was es für Vermarkter interessant macht. Auf Basis dessen, wie es bislang in Deutschland läuft, werden wir aber keine größeren Sponsoringpakete verkaufen. Wir müssen das Gesamtprodukt verbessern.
Was stimmt sie optimistisch im deutschen Sport?
Die Bewerbungskampagne für Olympia. Aber auch, dass wir entgegen meiner Prognose im Medaillenspiegel nicht noch weiter abgefallen sind. Besonders im Mannschaftssport haben wir uns gefangen. Allerdings sind die Rahmenbedingungen dort auch am einfachsten aufzufangen, weil man nicht vom Eins-zu-Eins-Wettbewerb abhängig ist. Nimmt man die Teams raus, wird es eng für uns.
Und welches Hockey-Team wird Olympiasieger bei den Herren?
Das wird unser Gold.