Paris. Über vier Damen und ihre Geschichten, die völlig überraschend ganz oben auf dem Podium in Paris endeten.
Der handelsübliche Olympiasieger ist in den ersten Stunden seines Triumphs entweder in Tränen aufgelöst oder platzt vor Stolz. Häufig auch beides. Die deutschen 3x3-Basketballerinnen aßen Banane und tranken Cola. Es war nach Mitternacht, und Svenja Brunckhorst, Sonja Greinacher, Marie Reichert und Elisa Mevius fläzten wie bestellt und nicht abgeholt auf schwarzen Plastikstühlen auf dem Place de la Concorde.
Eine Szenerie, die verdeutlicht: Mit gewöhnlichen Olympiasieger haben die vier Damen wenig gemein. Ihre Goldmedaille, errungen am Montagabend in einem dramatischen Finale gegen Spanien, ist die sensationellste des Teams Deutschland dieser Olympischen Spiele in Paris.
Wie die aus den deutschen 3x3-Basketballerinnen Olympiasieger wurden
Britische Buchmacher hatten zu Lebzeiten immer mal wieder Wetten angeboten, ob Queen Elizabeth II. den Eurovision Song Contest gewinnt. Die Quoten darauf waren lächerlich hoch. In diesem Bereich wurden auch die Chancen Deutschlands im acht Mannschaften starken Teilnehmerfeld beziffert.
Darüber konnte das Quartett nur lachen. Erst sportlich, dann wörtlich, als es gegen 0.30 Uhr kurz vor der Dopingprobe noch in die Medaillisten-Pressekonferenz gequetscht wurde. Olympiasiegerinnen, die auf dem Podium übereinander ihre Witzchen machen. Ein Team, das sich in die Herzen der Zuschauer gespielt hat, weil es aus geerdeten, sympathischen Spielerinnen besteht, die ganz normal wirken.
3x3-Basketball ist mittlerweile Profisport
Dabei nicht auszuklammern: Die vier Damen sind Spitzensportlerinnen. 3x3-Basketball, das über zehn Minuten oder bis 21 Punkte auf einen Korb gespielt wird und seit Tokio 2021 olympisch ist, professionalisiert sich zusehends.
Die Goldmädchen trainieren seit 2020 täglich am Bundesstützpunkt in Hannover. Brunckhorst und Greinacher sind Sportsoldatinnen, was ihnen ermöglicht, fast wöchentlich an Turnieren auf der Welttour zu spielen. Drei Bundestrainer kümmern sich um die Nationalspieler, die Herren verpassten Olympia knapp.
Bundestrainer Samir Suliman gibt dem Team mit seiner Gemütlichkeit viel Halt
Die Qualifikation dafür gelang den Damen auf den letzten Drücker. Diesmal war es Brunckhorst, deren Dreier in letzter Sekunde alles entschied. „Als sie den Wurf genommen hat, wusste ich, wir fahren nach Paris“, sagt Disziplintrainer Samir Suliman rückblickend. Der 50-Jährige ist ein gemütlicher Mann, bringt ganz viel Ruhe in die Mannschaft, wenn es auf dem Spielfeld angespannt ist. Suliman sagt dazu solche schönen Sätze wie: „Es geht, so wie bei Beppo, dem Straßenfeger in Momo, um Schritt für Schritt und einen Wisch nach dem anderen.“
Als sich Luana Rodefeld kurz vor Olympia das Kreuzband riss, mussten die Coaches schnell Ersatz suchen und fanden in Mevius den perfekten. Die Einzelaktionen der 20-Jährigen waren das fehlende Element, das selbst ihre Mitspielerinnen bis dato nicht kannten. Denn die einer Basketballfamilie entstammende Rendsburgerin spielt an der University of Oregon, kann sich mit ihrem immensen Talent nach ihrem Abschluss aussuchen, ob sie Profi im 3x3 oder auf dem Großfeld wird.
Anführerin Svenja Bruckhorst beendet ihre Karriere als Olympiasiegerin
Brunckhorst ist, abgesehen von Intermezzi in Spanien und Frankreich, ein Kind der Bundesliga, spielt als Einzige des Viererpacks nie an einem US-College. Die in Berlin lebende Niedersächsin aus Rotenburg (Wümme) weiß genau, was im deutschen Damen-Basketball gut läuft und vor allem was nicht. Die Bundesliga war sehr lange eine der unprofessionellsten Ersten Ligen, das bessert sich nur langsam.
Auch, weil Brunckhorst als Managerin für Mädchen- und Frauenbasketball beim Deutschen Meister Alba Berlin dazu beiträgt. Nebenher kommentiert die eloquente Aufbauspielerin, die mit Fünf-gegen-Fünf-Nationalspielerin Emily Bessoir (22) liiert ist, Herren-Spiele beim Streamingdienst Dyn. Jetzt beendet sie ihre aktive Karriere.
Sonja Greinacher avanciert in Paris zur besten Spielerin des Turniers
Sie und Greinacher kennen sich die Hälfte ihres jeweiligen Lebens, spielen seit der Jugend-Nationalmannschaft zusammen. Auch bei Olympia hätten sie die Chance im Fünfer-Team gern wahrgenommen, zu deren erstmaliger Qualifikation sie beigetragen hatten. Der Verband erlaubte den logistisch kaum zu meisternden Doppelakt nicht.
Schon seit 2019 tritt das Duo im 3x3 an. Früh wird Reichert (23) als geeignete dritte Partnerin identifiziert. Die Kasselerin ist die Allzweckwaffe des Teams, kommt ebenfalls vom Großfeld, spielte für Osnabrück und in Italien. Durch die verringerte Spielerzahl beim 3x3 kommen vor allem Greinachers Stärken zur Geltung. Die klinische Psychologin, die lange in Polen spielte, hat mehr Platz und häufiger den Ball, um ihre offensive Dominanz auszuspielen. Und was war die Essenerin überlegen. Vor allem: Was war sie cool.
Die Potenzialanalyse des DOSB bescheinigte dem Basketball keine Medaillenchancen
Es gibt ein schönes Foto direkt nach dem olympischen Finale, auf dem im Vordergrund Reichert die Hände vors Gesicht schlägt, Greinacher dahinter lediglich die Faust ballt, als hätte sie einen freien Korbleger im Testspiel versenkt. Tatsächlich war es wenige Sekunden zuvor der siegbringende Dreier zur Goldmedaille.
Die Erfolgsgeschichte mutet umso kurioser an, weil die Potenzialanalyse (PotAS) des Deutschen Olympischen Sportbunds Basketball vor drei Jahren als Sportart mit den geringsten Medaillenaussichten einschätzte. Verbandspräsident Ingo Weiss lässt keine Gelegenheit, dies zu erwähnen.
Deutscher Basketball Bund wird von der Goldmedaille profitieren
Vom Gold in Paris wird sein Verband profitieren. „Bisher fließen nur Landesmittel, keine Bundesmittel. Das muss sich ändern“, sagt Danny Traupe-Busch, Geschäftsführer des Niedersächsischen Basketball-Verbands. Die Investition wäre clever, innerhalb der 3x3-Szene hat man die Erwartung, einen so erfolgreichen Weg wie Beachvolleyball zu beschreiten.
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Das war am Dienstag nicht Thema der Olympiasieger. Die durften im Deutschen Haus „eskalieren“ (Greinacher) und dabei das Gefühl entwickeln, dass ihnen keine Allerweltssache gelungen war.