Berlin/Paris. Die deutschen Reiterinnen räumen bei Olympia in Paris ab: Jessica von Bredow-Werndl holt Gold im Dressureinzel, Isabell Werth Silber.
Manchmal ist Zuschauen das Schlimmste. Wenn man nichts mehr machen kann, außer abzuwarten. Jessica von Bredow-Werndl hat das am Sonntagmittag erlebt, nein: durchlitten. Seite an Seite mit ihrem Mann Max stand die 38-Jährige vor einem Bildschirm neben dem Abreitplatz auf der olympischen Reitanlage. Während ihr Mann ihr immer wieder halb beruhigend, halb selbst nervös über die Schultern streichelte, sah sie gebannt der Dänin Cathrine Laudrup-Dufour dabei zu, wie sie als letzte Dressurreiterin die Einzel-Kür im Schlosspark von Versailles absolvierte. Dann endlich die erlösende Anzeige: Die Dänin wurde nur Fünfte, Jessica von Bredow-Werndl ist Olympiasiegerin. Sie fiel ihrem Mann und ihrem Team in die Arme, sie verdrückte nicht nur ein paar Tränchen, sie schluchzte aus tiefem Herzen.
„Ich bin ein paar Tode gestorben“, sagte sie später. „Das waren die anstrengendsten Minuten seit Tokio.“ Wie schon 2021 in der japanischen Hauptstadt hat sich Jessica von Bredow-Werndl (Tuntenhausen) auch bei den Spielen von Paris zur Doppel-Olympiasiegerin aufgeschwungen. Nach dem Triumph am Samstag mit Frederic Wandres und Isabell Werth in der Mannschaft setzte sie mit ihrer Herzenstute Dalera einen Tag später noch einen drauf und entschied auch die Kür. Isabell Werth gewann wie schon in Tokio mit Bella Rose diesmal mit Wendy Silber vor der Britin Charlotte Fry auf Glamourdale.
Olympia: Jessica von Bredow-Werndl ringt mit den Tränen
Zur Musik von Edith Piaf waren von Bredow-Werndl und Dalera durch das Viereck getanzt, die 15.000 Zuschauer im Stadion mit Blick auf das wahnsinnige Schloss des noch wahnsinnigeren Ludwig XIV. fingen „so früh wie noch nie“ begeistert an, die letzten Takte der Darbietung mitzuklatschen. Das habe ihre Stute zwar kurz irritiert, doch alles ging gut.
„Dalera ist so eine coole Socke“, sagte Jessica von Bredow-Werndl. „Die ist nicht so gestört wie ich.“ Schon unmittelbar nach dem letzten Takt habe sie vor lauter Dankbarkeit gegenüber ihrem Pferd zu weinen begonnen. Für einen „emotionalen Orkan“ saß ihr Kajalstrich aber noch erstaunlich gut. Der erneute Doppelschlag bedeute ihr „krass viel. Ich liebe es, mit diesem Pferd Zeit zu verbringen.“ Am liebsten würde sie jeden Morgen durch die Wälder Versailles galoppieren. Doch Gold gibt es nun einmal nur im Viereck. „Ich habe wirklich eine ganz tiefe Beziehung zu ihr. Das wird bis zu ihrem letzten Atemzug so bleiben“, sagt von Bredow-Werndl und musste schlucken. Sie rang mit den Tränen. „Es ist auch deshalb so emotional, mit ihr zu reiten, weil die Tage, an denen wir zusammen öffentlich auftreten, auch irgendwie gezählt sind. Aber jetzt sind wir erstmal dankbar, dass wir das geschafft haben.“
Abschied für von Bredow-Werndl, Rekord für Werth
17 Jahre ist Dalera mittlerweile alt, seit neun Jahren bilden beide ein Erfolgspaar. „Zwei, drei, maximal vier Auftritte“ seien von dem Duo noch zu erwarten. Doch schon im nächsten Jahr bei der EM sei Dalera nicht mehr dabei, sagte von Bredow-Werndl. „Ich will sie nächstes Jahr besamen lassen, in der Hoffnung, dass sie Mama werden kann.“ In Versailles endet also mit dem großen Triumph zeitgleich diese Erfolgsgeschichte bei Olympischen Spielen. Die Reiterin macht zwar weiter, aber „ich weiß nicht, ob ich sowas nochmal erleben darf. Ich hoffe es – im Hintern habe ich es.“
Eine, die seit nunmehr 32 Jahren immer wieder Toppferde geritten und ausgebildet hat, ist Isabell Werth. Die 55-Jährige aus Rheinberg, die 1992 in Barcelona mit Gigolo ihr erstes Olympiagold gewonnen hatte, stieg in Frankreich zur deutschen Rekord-Olympionikin auf. Mit nun acht goldenen und sechs silbernen Ringe-Medaillen zog sie an Kanu-Legende Birgit Fischer vorbei. Jetzt, wo der Rekord ihrer ist, mache er sie stolz und froh, sagte die erfolgreichste Reiterin der Geschichte. „Ich werde mit Birgit bald einen trinken gehen“, sagte sie und betonte, dabei nicht an einen Kaffee zu denken.
Musikauswahl besonderes Hommage
In Versailles wurde Werth mit ihrer erst zehn Jahre alten Stute Wendy frenetisch gefeiert. Den Hit „Mandy“ von Barry Manilow hatte sie für ihre Kür umdichten lassen. „Oh, Wendy“, schallte durch das Stadion. 2028 in Los Angeles ist die Stute im besten Dressuralter. Schraubt Isabell Werth weiter an ihrem Rekord? „Schaun mer mal“, sagte sie breit grinsend.
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Die Musik für ihre Gold-Kür hatte Jessica von Bredow-Werndl in einem emotionalen Moment ausgewählt, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass sie mit ihrer Tochter Ella schwanger war. Sie ging am Strand spazieren und hörte Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“. „Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper“, sagt sie. Sie ließ ihre ganze Kür um dieses Lied herum produzieren – am Ende ging ihr Plan auf. „Es war eine Hommage an Paris, an die Liebe und an Dalera.“