Dortmund. Die DFB-Elf setzt im EM-Achtelfinale auf das Westfalenstadion, wo einst das Sommermärchen begann. Was macht den Ort so besonders?
Es sind besondere Tage in Deutschland. Auch in Dortmund, auch an der Strobelallee. Man erkennt es daran, dass im Fanshop, wo sonst die BVB-Biene Emma verkauft wird, nun Plüschbären in den Regalen hängen. Dutzende Albärts, so heißt das Maskottchen der Fußball-Europameisterschaft, tragen ein Lächeln in ihren etwas zu groß geratenen Gesichtern. Daneben liegen blau-weiße Schals und Trikots. In Dortmund?! Man wird sich bis zum EM-Finale am 14. Juli an diesen merkwürdigen Anblick sicherlich nicht gewöhnen. Puristen hingegen dürfte es gefallen, dass die Buchstaben an der Stadionfassade, die seit 2005 den Namen einer Versicherung bilden, noch etwas länger von einer schwarzen Plane überdeckt bleiben.
Auch ohne die Farben Schwarz und Gelb ist das Dortmunder EM-Stadion ein wichtiger Ort der deutschen Fußball-Geschichte, nicht nur wegen des ortsansässigen Ballspielvereins von 1909, dessen Strahlkraft Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Welt anzieht. Auch die deutsche Nationalmannschaft fühlt sich hier besonders wohl. In der langen Geschichte des Westfalenstadions – es wurde im April 50 Jahre alt – hat die DFB-Elf erst einmal hier verloren – dafür aber besonders bitter, als der Italiener Fabio Grosso im WM-Halbfinale 2006 das Sommermärchen beendete.
Drei wichtige Siege für DFB-Elf im Dortmunder Stadion
Am Samstag kehrt die Nationalmannschaft zurück ins Stadion, auf das mit genannter Ausnahme immer Verlass gewesen ist. Im EM-Achtelfinale bekommen es die Deutschen mit Dänemark (21 Uhr/ZDF und Magenta TV) zu tun, die Partie wird die bisher schwerste Prüfung der Gastgeber bei diesem Turnier sein, doch mit dem Heimvorteil will man ins Viertelfinale springen. „Ich freue mich riesig auf Dortmund. Deshalb kam bei uns auch nie ein Hauch von Diskussion auf, zu spekulieren, ob wir Erster oder Zweiter werden“, sagt Sportdirektor Rudi Völler. „Unser Ziel war, Gruppensieger zu werden, um dann egal gegen wen in Dortmund zu spielen, um die Atmosphäre mitzunehmen. Das ist, was uns seit dem ersten Spiel trägt.“ Und was der deutschen Mannschaft in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal half, richtungsweisende Partien zu gewinnen.
14. November 2001: Unter Teamchef Völler verpasste die DFB-Elf die direkte Qualifikation für die WM 2002 und musste in den Play-offs gegen die Ukraine antreten. Nach dem 1:1 im Hinspiel in Kiew musste im zweiten Duell in Dortmund ein Sieg her, um ein WM-Aus zu vermeiden. „Keine Chance – ich hätte auswandern müssen“, sagte Völler mal scherzhaft über mögliche Konsequenzen einer Pleite. Doch Michael Ballack traf beim 4:1 zweimal und führte das Team nach Japan und Südkorea.
14. Juni 2006: Der Beginn des Sommermärchens. Bernd Schneider schickte David Odonkor die Seitenlinie hinunter, der flankte in die Mitte zu Oliver Neuville – Deutschland verabschiedete sich durch den 1:0-Siegtreffer gegen Polen in einen kollektiven WM-Rausch, aus dem es erst drei Wochen später von Grosso geweckt werden sollte. „Nach dem Tor ist das Stadion explodiert“, erinnert sich Neuville im Gespräch mit dieser Redaktion. „Es war in diesem Moment so laut, wie ich es nie wieder erlebt habe.“
12. September 2023: Wieder musste es Rudi Völler richten. Zwei Tage zuvor war Bundestrainer Hansi Flick nach dem desaströsen 1:4 gegen Japan entlassen worden, der deutsche Fußball lag neun Monate vor Anpfiff der Heim-EM am Boden. Und nun drohte gegen die Franzosen um Kylian Mbappé ausgerechnet in Dortmund ein Debakel. Doch Interimscoach Völler passte hier und da die Taktik etwas an, verunkomplizierte sie und gewann mit 2:1. „Es gibt nur einen Rudi Völler“, sangen die Fans – und hatten plötzlich auch Hoffnung auf ein zweites Sommermärchen.
BVB und DFB-Elf: Im Ruhrgebiet wird Fußball authentisch erlebt
Das Dortmunder Stadion ist längst „das Wohnzimmer der Nationalelf“ und ein „Pilgerort für die Rhein-Ruhr-Region“ geworden, sagt Manuel Neukirchner. Seit Beginn der Europameisterschaft kamen mehr als 20.000 Besucherinnen und Besucher, Journalistinnen und Journalisten aus mehr als 20 Ländern ins Deutsche Fußball-Museum, dessen Direktor Neukirchner ist, und das gegenüber vom Dortmunder Hauptbahnhof liegt. Am Dienstag dieser Woche wurde mit 2715 Gästen ein Tagesrekord erzielt. „Nirgends wird Fußball so authentisch von den Menschen erlebt wie in der Rhein-Ruhr-Region, speziell im Ruhrgebiet“, findet Neukirchner.
In Dortmund gibt es einige Orte, die das belegen. Der raue Borsigplatz ist die Wiege des BVB, hier wurde er im Jahr 1909 gegründet und bald sollen an dieser Stelle auch wieder Meisterschaften gefeiert werden. Im Kreuzviertel, ganz in Stadionnähe, hat die Dortmunder Fanszene auf einige Häuserfassaden Graffiti-Kunstwerke verewigt, an Spieltagen wimmelt es in den Kneipen vor gelben Trikots. Und natürlich das Stadion, das „eine unglaubliche Macht“ habe, so Neukirchner. „Die Akustik, die besondere Architektonik des Stadions und natürlich auch die Menschen, die das Stadion füllen, wenn sie hier aus der Region kommen, sind einfach ganz besonders“, führt Neukirchner aus. „Und das überträgt sich auf das Spielfeld, das setzt Impulse, das setzt Kräfte frei.“
BVB-Innenverteidiger Nico Schlotterbeck freut sich auf Rückkehr mit der DFB-Elf
Nico Schlotterbeck, Innenverteidiger des BVB, weiß das ganz genau. „Das Stadion in Dortmund ist etwas ganz Besonderes und das stimmungskräftigste Stadion in Deutschland“, sagt der 24-Jährige und ergänzt hinsichtlich der Südtribüne: „Auch wenn es keine Gelbe Wand wird, hoffe ich auf eine weiße Wand.“ Die Deutschland ins Viertelfinale tragen soll.