Köln. Nicht nur Kevin De Bruyne spielte bei Belgiens 2:0-Erfolg über Rumänien herausragend - sondern auch Torwart Koen Casteels.
Nur noch zehn Minuten mussten Belgien bis zum ersten Sieg bei der EM überstehen, 1:0 stand es, als Torwart Koen Casteels im eigenen Strafraum den Ball abfing. Er blickte einmal kurz auf, sah Kevin De Bruyne sprinten und schlug einen langen, präzisen Pass über rund 60 Meter. De Bruyne verarbeitete den Ball technisch perfekt, traf zum 2:0 (1:0)-Endstand gegen Rumänien und war der offizielle Spieler des Spiels. Casteels aber wurde zum heimlichen.
Das lag nicht nur an der Torvorlage. Zweimal bewahrte er Belgien vor dem Ausgleich. In der fünften Minute - kurz, nachdem Youri Tielemans das 1:0 erzielt hatte (2.) - lenkte er einen wuchtigen Kopfball von Radu Dragusin mit den Fingerspitzen über die Latte. Nach der Pause stürmte der Rumäne Dennis Man allein auf sein Tor zu. Casteels, zuletzt Torhüter des VfL Wolfsburg, behielt die Ruhe und parierte erneut - 68 Minuten waren da gespielt. „Koen ist ein Top-Torhüter, das hat er heute wieder bewiesen. Er hat uns heute das eine oder andere Mal gerettet. Und darüberhinaus das zweite Tor vorbereitet. Das war schon stark“, sagte Belgiens Trainer 1 auf Nachfrage dieser Zeitung.
Auch Tedesco hat damit zu tun, dass kein belgischer Spieler mit einer größeren Last auf den Schultern in die Europameisterschaft startete als der 31-Jährige. Da es zwischen dem Trainer und Star-Torwart Thibaut Courtois (32) vom Champions-League-Sieger Real Madrid keine Versöhnung gab, blieb Courtois zu Hause - einer der besten Torhüter der Welt.
Dieser Zoff - ein Wort, das Tedesco selbst nie benutzen würde - hatte seinen Ursprung im Juni 2023. Als Kapitän De Bruyne bei zwei von drei Spielen einer Länderspielreise fehlte, entschied der Trainer, zuerst Romelu Lukaku zu geben und Courtois erst im zweiten Spiel. Das empfand dieser als Respektlosigkeit, äußerte das lautstark und reiste ab. Als er sich kurz darauf das Kreuzband riss, schien die Torwartfrage ohnehin geklärt. Doch Courtois meldete sich Ende April fit zurück. Aber er rief Tedesco an und sagte ihm, für das Turnier nicht zur Verfügung zu stehen. Seit der Weltmeisterschaft 2014 hütete Courtois bei allen fünf großen Turnieren das belgische Tor. Diesmal nicht.
Casteels erhielt die Nummer 1 - als erfahrener Torwart, der 283 Bundesligaspiele bestritten hatte, als ruhiger Führungsspieler, als Kapitän. Als einer, der sich an freien Tagen nicht in Hotelzimmer setzt, um Playstation zu spielen, sondern der auf den Golfplatz geht. „Im Golf gibt es nur dich und den Golfball. Da denkst du nicht an Fußball oder andere Dinge“, sagte er.
Das erste EM-Spiel gegen die Slowakei (0:1) war erst sein zehntes Länderspiel - Courtois hatte den Platz zwischen den Pfosten blockiert. „Ich denke nicht, dass ich noch etwas beweisen muss“, sagte er vor der EM. Jedoch: Jeder Pass, jeder Abstoß, jede Parade, jede Flanke steht besonders unter Beobachtung. Casteels ist Tedescos Achillesferse. Patzt der Torwart entscheidend, dürfte die Kritik groß sein, dass er sich mit Courtois nicht zusammenraufen konnte.
DFB-Team: Lesenswerte Stücke zur Nationalmannschaft
- Deutschland gegen Ungarn – der Spielbericht
- David Raum: „Grundschüler haben bei meiner Oma geklingelt“
- Deutschland-Elf der Zukunft - diese Talente haben Chancen
- Mein Sommermärchen: DFB-Stars erzählen exklusiv ihre Story
- Özdemir: „Gündogan ein Erfolg für Integrationsgeschichte“
Casteels aber zeigte eine starke Leistung. Er blieb nach dem Erfolg ruhig und flüchtete sich in Floskeln, gut bekannt aus der Bundesliga: „Ich freue mich sehr, dass ich der Mannschaft helfen kann. Ich bin aber auch froh, wenn ich nichts tun muss, denn das bedeutet, dass mein Team einen guten Job macht.“ Nur einmal habe er sich auf dem Platz an diesem Tag gar nicht freuen können - als zum dritten Mal während des Turniers ein Treffer von Stürmer Romelu Lukaku aberkannt wurde. Lukaku stand mit der Fußspitze im Abseits, der Video-Assistent griff ein. „Es war mir aus meiner Sicht heraus schon klar, dass dies extrem knapp war“, sagte Casteels über Lukaku, der eine etwas andere Statistik anführt - die VAR-Torschützenliste.
„Es ist sehr schön, Deutschland so zu verlassen. Jetzt das Turnier in den bekannten Stadien zu erleben, so eine Atmosphäre - das ist Fußball, wie es sein muss.“
Während Lukaku, 31 Jahre alt und immer noch im europäischen Spitzenfußball unterwegs, weiterspielen könnte, ist dies möglicherweise Casteels‘ letztes großes Turnier als Stammkeeper. Schon im November 2023 hatte er angekündigt, den auslaufenden Vertrag in Wolfsburg nicht zu verlängern. Sein neuer Klub ist keiner aus Europa: Er wechselt nach Saudi-Arabien, steht dort künftig beim Erstliga-Aufsteiger Al-Qadsiah FC aus Khobar am Persischen Golf. „Es ist sehr schön, Deutschland so zu verlassen“, sagte Casteels. „Jetzt das Turnier in den bekannten Stadien zu erleben, so eine Atmosphäre - das ist Fußball, wie es sein muss.“ Sätze, die zeigen, wie sehr er die EM genießt - trotz des Drucks.
EM-Gruppenentscheidung am Mittwoch gegen die Ukraine
Noch ist er mindestens einmal auf der europäischen Bühne zu sehen - am Mittwoch (18 Uhr in Stuttgart) genügt den Belgiern gegen die Ukraine ein Remis zum Achtelfinal-Einzug. Es kommt wieder auf Casteels an. Den Courtois-Vertreter. Der Mann, der aus dem Schatten tritt.