Herzogenaurach. Gegen die Schweiz spielt Deutschland zum siebten Mal in Folge mit Kimmich und Mittelstädt. Ex-Nationalspieler Jansen analysiert die Lage.
Marcell Jansen ist gerade auf dem Weg zum Training. Die Vorbereitung mit dem HSV III auf die neue Oberligasaison hat begonnen. Jansen, der frühere Linksverteidiger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, sei zwar nicht mehr schnell, sagt er. Aber als Mittelstürmer habe der mittlerweile 38-Jährige noch immer Qualitäten. Weil die neue Oberligasaison erst in sechs Wochen beginnt, hat Jansen im Moment viel Zeit, EM zu gucken. „Es ist ein sehr gutes Turnier bisher, ich habe schon viele gute Spiele gesehen“, sagt Jansen im Gespräch mit dieser Redaktion.
Vor allem die beiden Spiele der Deutschen gegen Schottland und Ungarn haben dem Ex-Nationalspieler, der zwischen 2006 und 2010 selbst bei drei großen Turnieren dabei war, gut gefallen. Als ehemaliger Linksverteidiger, der 45 Mal für Deutschland gespielt hat, guckt Jansen noch immer mit einem gezielten Auge auf die Außenverteidiger. „Unter anderem das Spiel gegen Ungarn hat gezeigt, dass wir auf den Außenverteidigerpositionen in Deutschland keine Probleme haben“, sagt Jansen, der Joshua Kimmich (rechts hinten) und Maximilian Mittelstädt (links hinten) gegen Ungarn gut gesehen hat.
Kimmich und Mittelstädt stehen zum siebten Mal in Folge in der Startelf
Am Sonntag im abschließenden Gruppenspiel gegen die Schweiz (21 Uhr/ARD) werden die beiden Außenverteidiger wieder in der Startelf stehen. Und das zum siebten Mal im siebten Länderspiel der DFB-Auswahl in diesem Kalenderjahr. Es ist eine neue Konstanz eingekehrt, die es seit Jahren nicht mehr gab. Und die bleiben soll. „Für die nächsten vier Jahre mache ich mir für die A-Nationalmannschaft keine Sorgen“, sagt Jansen über die Außenpositionen in der deutschen Viererkette.
Jansens Aussage ist von Bedeutung, schließlich galt insbesondere die Linksverteidigerposition in den vergangenen zehn Jahren als Problemzone in Deutschland. Bis zum WM-Titel 2014 war Philipp Lahm die langjährige Konstante als Außenverteidiger. Weil der Münchner aber irgendwann nach rechts und später auch in die Mitte rückte, durften sich in all den Jahren immer wieder andere Namen links hinten beweisen. Eine Ära konnte keiner von ihnen prägen. Jansen hätte das womöglich tun können, wäre er nicht so oft verletzt gewesen. So wie bei der WM 2014.
DFB-Team: Joachim Löw musste hinten links oft improvisieren
Der ehemalige Bundestrainer Joachim Löw musste immer wieder improvisieren. Er probierte es mit Innenverteidigern wie Benjamin Höwedes, Jerome Boateng, Shkodran Mustafi oder später auch Matthias Ginter oder Niklas Süle. Er könne sich eben keinen Linksverteidiger schnitzen, hat Löw mal gesagt in einer Phase, in der mal Marcel Schmelzer, mal Dennis Aogo oder auch mal wieder Jansen links hinten spielte.
Zehn Jahre später sieht die Situation anders aus. „Wir haben aufstrebende Jungs mit Maximilian Mittelstädt und David Raum, der eine überragende Champions-League-Saison gespielt hat. Auch Robin Gosens würde ich noch nicht abschreiben“, sagt Jansen, der vor allem die Offensivqualitäten dieser drei Linksverteidiger hervorhebt. „Du kannst heutzutage als Außenverteidiger nicht mehr nur noch defensiv sein. Es ist eine sehr spannende Position“, sagt Jansen.
Trotzdem sieht der heutige HSV-Präsident in der Ausbildung der Außenverteidiger Probleme. „Da sehe ich neben der Mittelstürmerausbildung Nachholbedarf. Wir müssen bei den Positionsprofilen individueller und spezifischer werden und in den nächsten 15 Jahren verstärkt darauf achten. Ab der C-Jugend muss man auf die Positionsprofile gucken. Da sollte man nicht zu spät mit anfangen“, sagt Jansen, der selbst seit der C-Jugend bei Borussia Mönchengladbach links hinten spielte.
Bundestrainer Julian Nagelsmann nennt die Ausbildung ebenfalls als mögliche Ursache für den Mangel an klar definierten Außenverteidigern, verfolgt aber einen anderen Ansatz. „Manchmal fehlt den Trainern ein Stück Fantasie, einen Spieler dahin zustellen, der sich da entwickeln kann“, sagte Nagelsmann vor dem Ungarn-Spiel und sprach erneut über seine November-Idee, Kai Havertz als sogenannten „Joker“ links hinten zu positionieren. Nagelsmann wurde für dieses Projekt viel kritisiert. Havertz spielt im DFB-Team nun wieder ganz vorne. So wie Marcell Jansen beim HSV III. „Wenn man als Trainer kreativ werden muss, heißt das meistens, dass dir etwas fehlt“, sagt Jansen.
Von den neuen Prinzipien im Kinderfußball, die der frühere HSV-Trainer Hannes Wolf als DFB-Direktor für Nachwuchs und Training entwickelt hat, ist Jansen aber grundsätzlich überzeugt. Ziel ist es, den Kinder in den frühen Jahren durch Spiele auf kleineren Feldern mehr Aktionen und dadurch eine bessere Entwicklung zu ermöglichen, anstatt sie zu früh in feste Positionen zu verankern. „Ich bin ein großer Befürworter des Nachwuchskonzeptes und den neuen Trainingsmethoden. Die Straßenfußballer sind uns abhanden gekommen. Das haben Nationen wie Frankreich und Belgien voraus. Da haben wir einen richtigen Schritt gemacht“, sagt Jansen.
Bei der aktuellen Besetzung der Außenverteidigerpositionen hat Nagelsmann ebenfalls einen großen Schritt gemacht. Der Bundestrainer will mit Kimmich und Mittelstädt aber weiterhin flexibel spielen und keine Außenverteidiger sehen, die nur die Außenbahn bearbeiten. „Die Anforderung an die Außenverteidiger ist es bei mir, immer wieder ins Zentrum zu kommen und die Fähigkeit zu haben, auch auf zentraleren Positionen zu spielen“, sagt Nagelsmann. „Was sich verändert hat, ist die klassische Position.“
So wie sie Jansen in seiner Zeit als Profi gespielt hat. Nagelsmann würde sich sicher freuen, wenn er wüsste, dass der frühere Linksverteidiger mittlerweile Mittelstürmer ist.