Rom. Deutschland landet bei der Leichtathletik-EM auf Rang zwölf, nur Malaika Mihambo springt zu Gold. Viel Arbeit für den DLV, findet Frank Busemann.

Donnerstagmorgen am Flughafen in Rom. Die Schlange vor den Schaltern Richtung Warschau, Oslo und Stockholm ist heute besonders lang. Ein Großteil der Leichtathletik-Teams aus Polen, Norwegen und Schweden tritt die Heimreise nach der EM an. Die Namensschilder hängen noch an den Rucksäcken. Mittendrin steht auch Hürdendominator Karsten Warholm mit seinem Trainer, die Polin Ewa Swoboda – Vize-Europameisterin im Sprint – trägt heute Brille und plaudert mit ihren Staffelkolleginnen. Eine lebhafte Traube, sie stellen etwas dar in ihren Sportanzügen.

Ein paar Reihen weiter steht Robert Farken einsam an einem verwaisten Schalter. Am Mittwochabend ist er noch Achter im 1500-Meter-Finale geworden, nun wartet der Leipziger allein an der Gepäckaufgabe.

TV-Experte Busemann schwärmt von Mihambo

Auch wenn Abflugzeiten Zufall sind und sich später auch ein paar größere deutsche Grüppchen fanden, so hat die Szene doch etwas Symbolisches: Deutschland ist in der Leichtathletik ins Abseits geraten. Nach der medaillenlosen WM vergangenes Jahr in Budapest hätte es beinahe auch eine goldlose auf europäischer Ebene gegeben. Doch Malaika Mihambo bewahrte mit einem Riesensatz auf 7,22 Metern den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vor diesem Schicksal. „Es war natürlich schön, oben zu stehen“, sagte die Weitsprung-Olympiasiegerin tief in der Nacht. Bei dem zweitweitesten Sprung ihrer Karriere habe sie eine Gänsehaut gehabt – wie 2019 in Doha als sie mit 7,30 Metern zu ihrem ersten WM-Gold geflogen ist. In Paris zählt sie neben Zehnkämpfer Leo Neugebauer zu Deutschlands Goldhoffnungen.

„Malaika ist der Hammer“, sagt TV-Experte Frank Busemann, „dass sie es immer hinbiegt, ist äußerst beeindruckend. Die strickt Superlative. Aber wir können uns als deutsche Mannschaft nicht immer auf Malaika verlassen.“ Ihm mache daher der Auftritt einiger junger Athleten Mut, die zum ersten Mal in eine Meisterschaft hineinschnupperten.

Die 4x400-Meter-Staffel mit Jean Paul Bredau, Manuel Sanders, Marc Koch und Emil Agyekum (von links) holte EM-Bronze.
Die 4x400-Meter-Staffel mit Jean Paul Bredau, Manuel Sanders, Marc Koch und Emil Agyekum (von links) holte EM-Bronze. © firo Sportphoto/dppi | Domenico Cippitelli

Deutschland nicht die erste Geige in Europa

Mit elf Medaillen, nur einer goldenen, belegt Deutschland im Medaillenspiegel Rang zwölf – davor stehen auch Polen, Norwegen und Schweden. Angeführt wird die Tabelle von Italien mit 24 Medaillen, elfmal holte der Gastgeber Gold. Bei der Heim-EM in München hatte Deutschland 2022 mit 16 Plaketten – sieben in Gold – die Tabelle angeführt.

„Ich würde nicht sagen, dass wir den Anschluss in Europa verloren haben“, sagt Busemann, der 1996 Olympia-Silber im Zehnkampf gewann. Aber: „Eine Goldmedaille ist natürlich nicht so pralle.“ Elf Medaillen seien okay, mehr aber auch nicht. „Wir werden nicht die erste Geige spielen in Europa, aber das ist schon seit einiger Zeit abzusehen. Das spiegelt das Bild der deutschen Leichtathletik ganz gut.“

Vier EM-Medaillen zum Abschluss in Rom

Der DLV sieht ein Jahr nach der WM-Enttäuschung eine kleine Trendumkehr. Sportvorstand Jörg Bügner betonte jedoch, dass es längst keinen Grund zur Euphorie gebe. „Wir haben eine ganz gute Basis, müssen aber auch feststellen, dass wir in gewissen Bereichen nicht performt haben“, sagte er. Busemann sieht das ähnlich: „Wir müssen gucken, dass wir die Rückschritte weiter aufhalten. Zu Optimismus ist es noch zu früh, da muss noch zu viel gemacht werden.“

Auch interessant

Die EM diente dem DLV kurz vor dem zweiten, noch größeren Saisonhöhepunkt als Standortbestimmung. Daran können „wir ablesen, woran es in Richtung Olympia in Paris noch zu arbeiten gilt“, sagte Bügner nach dem letzten EM-Abend, an dem es nochmal einen warmen Medaillenregen für das deutsche Team gegeben hatte: Neben Mihambo gewann Speerwurf-Titelverteidiger Julian Weber diesmal Silber, die 4x400-Meter-Staffel der Männer sicherte sich genauso Bronze wie Stabhochspringer Oleg Zernikel. Bügner: „Die Erfolge vom Mittwoch geben uns Rückenwind.“

Blick in andere Länder lohnt sich auch für den DLV

In Paris – damit rechnet auch der DLV – wird es trotz einzelner Hoffnungsschimmer wohl noch keinen großen Schritt nach vorne im Medaillenspiegel geben. Der Verband muss weiter beharrlich an Reformen arbeiten, hat er sich doch vorgenommen, bis zu Olympia 2028 in Los Angeles wieder zu den Top-5 der Leichtathletik-Nationen zu gehören.

Dabei lohnt auch der Blick in erfolgreichere Länder wie Italien oder die Niederlande – auch wenn aufgrund der Besonderheit des föderalen Systems in Deutschland eine Eins-zu-eins-Kopie nicht möglich ist. „Wir können immer nur von anderen lernen“, sagt Busemann. „Natürlich kann man nur das rausnehmen, was umsetzbar ist, aber man muss eben auch für Reformen offen sein und muss gucken, wie man sich weiterentwickelt. Denn wenn nichts passiert, wird nichts passieren.“