Rom. Malaika Mihambo hat bei der Leichtathletik-EM für die ersehnte deutsche Goldmedaille gesorgt. Weber verpasst Speer-Titelverteidigung.

Die Deutschen und das rhythmische Klatschen, es ist keine einfache Beziehung. Gerne mal auf eins und drei. Doch am Mittwochabend machten die Fans in Schwarz-Rot-Gold bei der Leichtathletik-EM im Stadio Olimpico von Rom alles richtig. Sie hatten aber auch Hilfe: Weitspringerin Malaika Mihambo klatschte ihnen ihren Gold-Rhythmus vor. Artig folgten sie und so flog die 30-Jährige gleich im zweiten Versuch auf bärenstarke 7,22 Meter. Das bedeutete nicht nur Weltjahresbestweite, sondern auch den zweiten EM-Titel für die Heidelbergerin nach Berlin 2018. Vor zwei Jahren in München hatte sie sich nach einer Coronainfektion mit Silber begnügen müssen. Diesmal führte kein Weg an ihr vorbei.

Europameisterin Mihambo bleibt nur acht Zentimeter unter ihrer Bestweite

Die Olympiasiegerin blieb damit rund zwei Monate vor den Sommerspielen in Paris nur acht Zentimeter unter ihrer persönlichen Bestweite und bewies einmal mehr, was sie so unfassbar stark macht: die Fähigkeit, im entscheidenden Moment ihre volle Leistungsfähigkeit abzurufen. „Mir war schon klar, dass die Form gut ist. Von daher wusste ich, dass es weit gehen kann“, hatte Mihambo schon nach der Qualifikation gesagt, in der sie ebenfalls über sieben Meter gesprungen war. Die Olympia-Konkurrenz ist nach ihrer beeindruckenden Rückkehr auf die Meisterschaftsbühne jedenfalls gewarnt. Die WM im vergangenen Jahr in Budapest hatte Mihambo wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel verpasst. Nun scheint sie stärker denn je.

In Rom feierte sie ihren Triumph gewohnt bescheiden mit Deutschlandfahne und kleinem Hüpfer. Zweite wurde die Italienerin Larissa Iapichino (6,94) vor vor der Agate de Sousa (Portugal/6,91). Mikaelle Assani verpasste als zweite Deutsche im Finale auf Platz vier knapp die Überraschungsmedaille.

Feiert Silber: Speerwerfer Julian Weber.
Feiert Silber: Speerwerfer Julian Weber. © Getty Images for European Athletics | Mattia Ozbot

Auch Julian Weber forderte vom Publikum, seinem Klatschtakt zu folgen – das ging auch eine Weile gut. Mit seinem ersten Wurf auf 85,94 lag der Titelverteidiger lange auf Goldkurs. Doch den letzten Versuch des Tscheche Jakub Vadlejch auf 88,65 Meter konnte er nicht mehr kontern. Anerkennend gratulierte der entthronte dem neuen Europameister. „Es ist ärgerlich, dass er im letzten Wurf weiter geworfen hat, aber ich gönne Jakub Gold. Das ist ein Supertyp“, sagte Weber. „Ich hätte aber gerne mehr gezeigt, aber es gibt ja in Paris noch eine Gelegenheit.“

Für die dritte deutsche Medaille an diesem Abend hatte zuvor bereits die deutsche 4x400-Meter-Staffel der Männer gesorgt. Manuel Sanders, Jean Paul Bredau, Marc Koch und Emil Agyekum waren in 3:00,82 Minuten nur eine Hundertstelsekunde langsamer als Italien, der Titel ging an Belgien. Die deutschen Frauen um Alica Schmidt wurden Achte. Am späten Abend gab es noch zwei weitere Medaillen. Die 4x100-Meter-Staffel mit Kevin Kranz, Owen Ansah, Deniz Almas und Lucas Ansah-Peprah lief zu Bronze, Stabhochspringer Oleg Zernikel überquerte 5,82 Meter und holte ebenfalls Bronze.

Doch dank Mihambo hatte das bange Warten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes auf das erste Gold in Rom endlich ein Ende. Die starke Ausbeute von der Heim-EM in München vor zwei Jahren – 16 Medaillen, sieben davon Gold – wurde rund zwei Monate vor den Wettkämpfen bei Olympia klar.

„Italien zeigt gerade, was man mit guter Förderung erreichen kann.“

Jürgen Hingsen

Beste Nation ist auch bei dieser EM wieder der Gastgeber. Doch es steckt mehr als nur ein Heimvorteil hinter dem Erfolg. „Italien zeigt gerade, was man mit guter Förderung erreichen kann. Sie sind unglaublich stark – in fast allen Disziplinen“, sagt Jürgen Hingsen, der 1984 in Los Angeles Olympiasilber im Zehnkampf gewann.

Die Leistungen sind keine Zufälle, keine von der Stimmung getragene Ausrutscher nach oben, sondern sie haben System. In Rom wurde sichtbar, woran seit Jahren getüftelt wird. Verbandspräsident Stefan Mei hat mit einem umfangreichen Reformprogramm Strukturen etabliert, die es Athleten ermöglichen, sich auch jenseits von Behörden und Militär voll auf den Leistungssport konzentrieren zu können. Auch im Bereich der Trainerausbildung habe man „eines der besten Systeme weltweit installiert“, sagte Fausto Narducci, Herausgeber des Magazins Atletica Sport 1.

Italien also als Vorbild für den taumelnden deutschen Leichtathletik-Verband (DLV)? Jürgen Hingsen findet: „Ja, Italien macht Deutschland vor, wie gute Förderung aussehen kann. Das ist ein hochprofessioneller Ansatz, der aber notwendig ist, um heutzutage erfolgreich zu sein.“ Einen Tag vor dem Abschlussabend wartete der DLV noch immer auf die erste Goldmedaille dieser EM. „Wenn vernünftig gefördert würde, dann würden auch die Leistungen besser aussehen“, sagt Hingsen. „Auch in Deutschland hätten wir mit der Sporthochschule Köln die perfekten Voraussetzungen, um Training und Wissenschaft zu verbinden, aber es gibt einfach kein System. Da verschenken wir Potenzial.“