Essen.. Weitspringerin Malaika Mihambo ist zurück und deutsche Goldhoffnung: bei Olympia in Paris und bei der Leichtathletik-EM. Doch sie steht für mehr.
Sie läuft wieder, sie springt wieder, sie siegt wieder: Malaika Mihambo ist zurück in der Weitsprunggrube – und mit ihr das Strahlen der deutschen Leichtathletik. Ob Dortmund, Berlin, Rehlingen oder Dessau – wo Deutschlands zweimalige Sportlerin des Jahres in dieser Saison auch auftauchte, sorgte die Frohnatur für Begeisterung. Auch der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) kann aufatmen: Pünktlich zum ersten Höhepunkt des Jahres, der an diesem Freitag beginnenden EM in Rom, ist sein Aushängeschild in vielversprechender Form, steht auf Platz zwei der Weltjahresbestenliste. Nachdem die zweimalige Weltmeisterin ihren WM-Titel vergangenes Jahr in Budapest wegen eines Muskelfaserrisses im linken Oberschenkel nicht verteidigen konnte, gilt sie in diesem Sommer wieder als größte DLV-Goldhoffnung – in Rom und später bei den Olympischen Spielen in Paris.
Frau Mihambo, Sie sind wieder da: Wie geht es Ihnen?
Malaika Mihambo: Danke, mir geht es gut. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Saisoneinstieg. Das Niveau war direkt wieder sehr hoch, ich konnte meine Form aus der Halle schon wieder abrufen, obwohl wir im Training noch gar keinen Schwerpunkt auf maximale Geschwindigkeit und Kraft sowie Schnellkraft gesetzt hatten. Die Aussichten sind super – ich freue mich und bin sehr zuversichtlich für den Sommer.
Also ist es, als wären Sie nie verletzt, nie weg gewesen?
Ja, kann man so sagen. (lacht) Ich glaube, wir haben das Beste aus der Situation gemacht. Ich habe schon sehr früh mit der Saisonvorbereitung angefangen – und hatte auch gar keine richtige Trainingspause.
Trotzdem liegt eine Leidenszeit hinter Ihnen: Wegen eines Muskelfaserrisses haben Sie die WM in Budapest verpasst, konnten Ihren Titel nicht verteidigen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt – was hat Ihnen dadurch geholfen?
Für mich war das ehrlich gesagt gar keine große Leidenszeit. Natürlich war das erstmal hart, dass ich die Saison abbrechen musste. Es hat ein paar Tage gedauert, das zu verarbeiten. Auch länger als nach einer Niederlage. Aber nach drei, vier, fünf Tagen war das überwunden.
Mihambo: Verletzung für Buchprojekt und neue Trainingsimpulse genutzt
Was haben Sie in der Zeit gemacht, als für anderen die Saison noch weiterging?
Mein Buchprojekt („Spring dich frei“, Anm. d. Red.) lag in den letzten Zügen, da hatte ich neben dem leichten Training viel mit zu tun. Es war für mich aber auch nochmal ein Moment, um innezuhalten, um nochmal Themen zu überdenken.
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Zum Beispiel?
Wir haben schon lange gesagt, dass wir ein paar Veränderungen im Training vornehmen wollten. Im Alltag ist es aber untergegangen, da haben wir das nie geschafft. Nun ist es uns gelungen, nochmal ein paar Dinge umzustellen.
Welche Dinge sind das?
Die größte Veränderung war, dass sich von zwei Krafttrainingseinheiten pro Woche auf drei hochgegangen bin. Ich trainiere dafür jetzt nicht mehr nur bei mir im kleinen Verein, sondern auch am Olympiastützpunkt. Gleichzeit gab es nochmal einige Impulse, um ein paar technische Komponenten zu überarbeiten, sowie neue Impulse im Bereich funktionales Krafttraining der Explosivkraft aufzunehmen.
Hat diese Zeit, in der Sie gezwungen waren, anders als sonst zu arbeiten, Sie als Athletin und Mensch weitergebracht?
Ich denke, dass einen alles Erlebte immer irgendwie weiterbringt, nicht nur, was was man im Sport erlebt. Ich versuche immer, das Beste daraus zu machen, daraus zu lernen und etwas für mich aus solchen Situationen zu ziehen. Das ist mir auch in diesem Fall gelungen.
Inwiefern?
Ich habe zum Beispiel etwas übers Loslassen gelernt: damit umzugehen, ein Ziel nicht erreichen zu können. Gleichzeitig war ich ja im Sommer auch als Autorin sehr aktiv – da habe ich eine Menge über ganz verschiedene neue Dinge gelernt.
Malaika Mihambo und die Neugier, wie weit es noch gehen kann
Das klingt spannend. Trotzdem haben Sie zum Sport zurückgefunden – und dass obwohl Sie längst alles gewonnen haben, was es zu gewinnen gibt: EM, WM, Olympia. In Rom findet Ihr Finale am Mittwochabend statt. Was motiviert Sie?
Für mich ist da natürlich die Neugier, wie weit ich noch springen kann. Aber auf der anderen Seite ist für mich der Sport auch ein Weg, um die innere Meisterschaft voranzutreiben. Bei äußeren Meisterschaften – wie EM und Olympia in diesem Jahr – kann ich testen: Inwieweit bin ich gewachsen? Bin ich resilienter geworden? Inwieweit kann ich jetzt Stress besser aushalten oder mit Drucksituationen umgehen? Inwieweit habe ich gelernt, mich auf Knopfdruck frei machen zu können und mein Leistungsvermögen auf den Punkt abrufen zu können? Das ist für mich sehr spannend. Darüber hinaus hat Sport für mich auch eine unglaubliche soziale Kraft.
Welche Rolle spielt da der von Ihnen gegründete Verein „Malaikas Herzsprung“, mit dem Sie Grundschülern den Zugang zur Leichtathletik ermöglichen?
Das ist ein Weg, wie ich versuche, den Menschen über den Sport etwas zurückzugeben. Aber genauso war das auch Intention meines Buches, in dem ich versucht habe, meine Lebensgeschichte zu teilen, damit andere davon was mitnehmen und lernen können.
Woher kommt dieser Antrieb?
Ich werde oft als Vorbild gesehen und da gehört es für mich dazu, diese Rolle auch mit Leben zu füllen und den Menschen etwas zurückzugeben. „Malaikas Herzsprung“ ist da ein besonders schöner Weg für mich, weil man sich mit den Jüngsten unserer Gesellschaft auseinandersetzt, mit den heranwachsenden, neuen Generationen. Es ist schön, wenn man da einen Beitrag für die Weiterentwicklung setzen kann. Dahinter steckt natürlich auch die Hoffnung, dass sie es selbst einmal genauso an die nächste Generation weitergeben. Es sollte in unserer Gesellschaft viel mehr darum gehen, dass wir uns gegenseitig stark machen – unsere Kinder, aber auch unsere Mitmenschen generell.
Der Sport ist der ideale Weg dazu. Dennoch plagen den DLV, den Deutschen Leichtathletik-Verband, Nachwuchssorgen.
Deshalb geht es mir auch darum, Kinder gerade nach der Corona-Pandemie wieder zurück in die Vereine zu bringen. Es geht nicht jeder Familie so gut wie vielleicht noch vor der Krise – ob nun Corona, Inflation oder Energiekrise. Es ist wichtig, diese Familien zu unterstützen. Gleichzeitig unterstützt man damit auch die Vereine: Sie haben mehr Mitglieder, bekommen mehr finanzielle Mittel, können ehrenamtliche Trainer unterstützen oder auch Wettkampffahrten bezahlen. Es ist eine schöne Sache, weil ich weiß, dass es einen positiven Mehrwert für alle hat.
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Wie bringen Sie sich denn selbst in die Arbeit des Vereins ein?
Momentan bin ich sozusagen die Frontfrau im Hintergrund. (lacht) Es macht mir zwar super Spaß auch selbst dabei zu sein, aber so lange ich als Sportlerin aktiv bin, schaffe ich es einfach nicht. Also versuche ich, ein Bewusstsein zu schaffen für das Thema, Partner zu finden, die das Projekt unterstützen, oder auch Events zu veranstalten, um Spenden zu sammeln, damit wieder mehr Kinder in die Vereine kommen.
Da muss der DLV Ihnen ja eigentlich die Füße für küssen, dass Sie bei dem Thema so viel Engagement zeigen.
(lacht) So ein intensives Feedback habe ich jetzt zwar noch nicht bekommen, aber natürlich wird es sehr positiv aufgefasst. Gleichwohl ist es aber so, dass der DLV natürlich verschiedene Themen parallel bearbeitet und neben dem Breiten- auch den Spitzensport im Blick behalten muss. Von daher erwarte ich jetzt auch keine Verneigungen.
Deutsche Leichtathletik in der Krise – Mihambo: Kritik wird gehört
Der DLV steckt in der Krise: In Ihrer Abwesenheit ging Deutschland bei einer WM erstmals komplett leer aus. Finden Sie als Athletin Gehör, wenn Sie Kritik benennen?
Ja, absolut. Neuerdings gibt es auch immer wieder Sprechstunden, in denen wir Athleten Kontakt zum DLV-Cheftrainer aufnehmen können. Das gibt mir auf jeden Fall ein gutes Gefühl.
Nach dem Debakel von Budapest – was denken Sie, muss sich besonders dringend ändern?
Ich finde zunächst muss man immer auch wertschätzen, was funktioniert hat: Es gab einige Athletinnen und Athleten, die eine Bestleistung abgeliefert haben, das war ihr höchstes Niveau und das muss man anerkennen. Für uns zählen nicht immer nur Medaillen, sondern auch die persönliche Weiterentwicklung.
In der Gesellschaft wird das selten so gesehen. Erfolg wird in Bronze, Silber, Gold gemessen.
Deshalb muss es diese öffentliche Wertschätzung geben – um ein neues Bild in der Gesellschaft zu stärken, in dem es nicht immer nur um diese absolute Leistung geht. Außerdem müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Athleten Leistungen bringen können. Es gibt immer noch Athleten, die Vollzeit arbeiten und dann trotzdem bei Weltmeisterschaften antreten. Ich glaube, jeder Vollzeitbeschäftigte kann sich vorstellen, was für ein Kraftakt es ist, müsste er nebenbei noch für Olympia trainieren.
Klingt nicht allzu verlockend…
Deshalb müssen gleichzeitig auch für junge Sportler gute finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden – damit es sich lohnt, diesen Mut zu fassen, so viel Zeit und Kraft zu investieren und in den Leistungssport zu gehen. Wenn diese Sicherheit fehlt, ist es schwierig von den Leuten Höchstleistungen auf internationalem Niveau zu erwarten. Jeder, der schonmal mit Existenzängsten zu tun hatte, weiß, wie schwierig es ist, handlungsfähig zu bleiben oder gar sein volles Potenzial auszuschöpfen, wenn finanzielle Not über einem schwebt.
Malaika Mihambo nimmt Konkurrenz gerne an
Sie sind den weiten Weg gegangen – und sind an der Spitze angekommen. In diesem Jahr warten zwei Großereignisse: erst die EM in Rom, dann Olympia in Paris. Wie gehen Sie die Turniere an?
Beides sind wichtige Höhepunkt in diesem Jahr – aber natürlich hat Olympia den höheren Stellenwert. Paris ist der wichtigste Wettkampf – deshalb ist mein Training auch voll darauf ausgerichtet, dort in Topform zu sein. Für Rom wird eine Spitze gesetzt werden, in der ich in der Lage sein will, weit zu springen.
Und am Ende gibt es zweimal Weitsprung-Gold für Sie, für Deutschland?
Das wäre auf jeden Fall schön. (lacht) Aber das sind genau die Momente, in denen ich mich nicht nach Erwartungen richte, sondern auf mich schaue und mich frage: Was kann ich dafür tun, um meine Leistung zu bringen? Für mich geht es darum, an dem Tag bestmöglich anzulaufen, abzuspringen, eine optimale Flugphase zu haben – und mich auch mental in den optimalen Zustand zu versetzen. Und erst im zweiten Schritt schaue ich dann, wofür es reicht. Es liegt ja nicht nur an mir, welchen Platz ich damit hole – da gehen ja auch noch ein paar andere an den Start.
Würden Sie das auch so entspannt angehen, wenn Sie nicht schon alles gewonnen hätten?
Ja, doch, das ist schon immer diese Entspanntheit gewesen, mit der ich das angegangen bin. Klar, hatte man im Hinterkopf, irgendwo unterbewusst so ein bisschen Druck. Nach dem Motto: „Ich will das jetzt auch gewinnen, das fehlt mir noch.“ Aber das war nie das, was mich vorangetrieben hat. Ich habe immer versucht, mich davon freizumachen darauf zu konzentrieren: Du willst das, dann musst du was dafür tun. Du kannst dir Erfolg nicht einfach nur wünschen und es dann ins Blaue hinein versuchen. Wenn du gewinnen möchtest, musst du bei jedem Schritt dein Allerbestes geben – und das zu erreichen, darauf habe ich mich immer konzentriert.
Haben Sie das Gefühl, dass die Weitsprungwelt sich ohne Sie weiterentwickelt hat?
Es entwickelt sich immer etwas weiter – von der Leistung her gesehen, aber es kommen auch immer neue Athletinnen dazu. In Deutschland ist jetzt der Konkurrenzdruck auch langsam wieder höher. Aber das ist nichts Ungewohntes für mich. Als ich 20 war, gab es auch immer vier bis fünf Athletinnen, die die Normen erfüllt hatten. Es konnten aber nur drei nominiert werden. Das heißt, ich weiß, wie es ist, sich erst mal auf nationaler Ebene durchzusetzen, ehe man auf internationaler starten darf.
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Sie sind schon in der Hallensaison wieder auf Platz zwei der Jahresbestenliste gelandet. Wie ist es Ihnen gelungen, direkt wieder Anschluss zu finden?
Letztendlich ist für mich persönlich vieles wie immer verlaufen. Ich merke, dass ich jetzt nochmal in einer besonders guten Form bin. Von daher freue ich mich, dass ich schon so früh, so gut mit dabei bin, und auch den Einstieg in der Halle so gut geschafft habe. Das ist nicht selbstverständlich nach einem Muskelfaserriss, das kann auch langwieriger verlaufen als bei mir. Ich bin anfangs ohne den Gedanken reingegangen, mithalten zu wollen. Ich wollte wieder zu meinem Selbstvertrauen, meiner Mitte, meiner Leistung finden. Dass ich mich direkt auch durchsetzen konnte, hat mich sehr glücklich gestimmt.