Brilon. 1000 Menschen feiern Friedrich Merz in der Briloner Schützenhalle, als wäre er schon Bundeskanzler. Hilfe bekommt er von Markus Söder.
Bierzeltatmosphäre, Brezeln, Weißwürste – und dann auch noch der bayerische Ministerpräsident: Mehr als 1000 Besucher haben in der Briloner Schützenhalle mit Markus Söder (CSU) und Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) eine zünftige Wahlkampfsause gefeiert. Die beiden Parteivorsitzenden zeigten sich demonstrativ einig.
Söder gibt zum Auftakt den Entertainer, beginnt seine Rede mit einem Witz: „Herzlichen Dank für die Begrüßung. Sie war angemessen.“ Er sei froh, dass er in Nordrhein-Westfalen eine Einreiseerlaubnis erhalten habe.
Bilder des Tages: Friedrich Merz und Markus Söder im Sauerland
Beobachter, die den bayerischen Ministerpräsidenten regelmäßig begleiten, kennen die Sprüche. Sie sind nicht selten eine Gratwanderung zwischen politischer Unterhaltung und Populismus. Kostproben gefällig? „In jeder Kleinstadt in Deutschland steckt mehr Verstand als im Berliner Regierungsviertel.“ – „Der Einzige, der einen Psychotest machen sollte, ist Robert Habeck.“ – „Ein Leben ohne Bratwurst ist möglich, aber doch nicht sinnvoll.“ – „Olaf Scholz ist ein Bundeskanzler, der in drei Jahren keine einzige Gefühlsregung gezeigt hat.“ Söder macht sich lustig über die Wokeness-Bewegung und das Gendern und über die Grünen sowieso. Hier in der Schützenhalle im tiefen Sauerland trifft der Franke den Ton.
Söder: Straftäter abschieben – ohne Handgeld
Wer nach Deutschland komme und Straftaten begehe, müsse abgeschoben werden und dürfe auch kein Handgeld erhalten, fordert der 57-Jährige. Die Menschen nicken, lachen, jubeln und quittieren seine Rede mit Ovationen im Stehen. Einige von ihnen haben am Morgen mehr als eine Stunde in der Kälte auf den Einlass gewartet; die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm.
Schon vor dem Start des offiziellen Programms zeigt das Briloner Blasorchester, was es drauf hat, auf den Tischen stehen Brezeln aus einer heimischen Bäckerei, aber der Fahnenschmuck in der Halle kommt vom Briloner Schützenverein und nicht aus Süddeutschland. Das wäre dann doch etwas zu viel Bayern im Sauerland. Franz-Josef Schmücker, einer der rund 1000 Gäste, („Ich habe die gleichen Initialen wie Franz-Josef Strauß“) erhofft sich von den beiden Hauptrednern, dass sie die „Marschrichtung“ für Deutschland vorgeben. „In der Wirtschaftspolitik und bei der Migration kann es so nicht weitergehen“, sagt der 71-jährige Briloner.
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Das sieht auch Matthias Kerkhoff, CDU-Kreisvorsitzender im Hochsauerland, so. Er erinnert zur Begrüßung des Publikums an den legendären CSU-Politiker Strauß, der 1983 an die 6000 Zuschauer in Brilon begeisterte. Der habe schon damals darauf hingewiesen, dass die Union nur gemeinsam stark sein könne, so Kerkhoff.
Merz greift Scholz und Habeck an
Friedrich Merz schaltet im Vergleich zu Söder einen Gang runter. Klar, seine persönlichen Angriffe auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind scharf, als möglicher kommender Bundeskanzler kann der 69-Jährige aber nicht so tief in die Sprüche-Kiste greifen wie sein Gast aus Bayern.
Deutschland stehe tatsächlich vor einer Schicksalswahl, sagt Merz. Jetzt werde sich entscheiden, welchen Weg das Land in den kommenden Jahren beschreite. Donald Trump werde nach seiner Amtseinführung an diesem Montag einen Stapel Anweisungen unterschreiben, mit gravierenden Folgen. „Der sagt, was er denkt und macht, was er sagt“, warnt Merz. Was das für den Rest der Welt bedeute, sei noch nicht absehbar. Deutschland und Europa müssten jedenfalls in Zukunft wieder geschlossener und selbstbewusster auftreten; dafür wolle er sich einsetzen. Mit „schlotternden Knien“ will Merz demnächst als Bundeskanzler jedenfalls nicht nach Washington reisen.
Er wiederholt die Kernpunkte des CDU-Wahlprogramms: Das Wirtschaftswachstum will er wieder ankurbeln, die Bürokratie in Brüssel und Deutschland „zurückbauen“. In Deutschland müsse wieder der Leistungsgedanke Einzug halten, anders könne der Wohlstand nicht aufrechterhalten werden. Das Bürgergeld will Merz deswegen abschaffen, schon der Name setze die falschen Anreize. Um die Energieversorgung zu gewährleisten, will er zügig neue Gaskraftwerke bauen lassen. Und der Ausstieg aus der Atomkraft sei ein großer Fehler gewesen, „auch meiner Partei“. Dass die zuletzt abgeschalteten Akw wieder ans Netz sollen, sagt er jetzt aber nicht mehr.
Eindringlich warnt Merz vor einem Erstarken der Rechtspopulisten in Deutschland. Zu versuchen, diese zur Vernunft zu bringen, sei ein Irrweg. Das habe Deutschland bereits einmal erlebt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss er erneut aus. Zuletzt hatte er das auch das auch mit seinem persönlichen Schicksal als Parteivorsitzender verbunden.
Sticheleien von der SPD
Draußen stichelt derweil SPD-Konkurrent Dirk Wiese. In Schneeballwurfweite der Schützenhalle hat er ein riesiges Wahlplakat gebucht und wirbt mit dem Satz „Mehr Sauerland für Deutschland“. Den Spruch hat eigentlich Friedrich Merz in seiner Heimatregion zum Wahlkampfslogan erkoren. Kürzlich sicherte sich Wiese den Satz sogar als Internet-Adresse, was die CDU gar nicht lustig findet. Jetzt lässt der Sozialdemokrat einen Transporter mit seinem Konterfei die Straße vor der Schützenhalle rauf und runter fahren. Und auf dem Briloner Marktplatz tummeln sich an die 100 Leute bei einer Demo unter dem Motto „Vielfalt statt Weißwurst“.
Die Gäste in der Schützenhalle nehmen das schmunzelnd zur Kenntnis – oder gar nicht. Würde nur an diesem Ort gewählt, dürfte die CDU ein Ergebnis nahe der 100 Prozent erreichen. Die Stimmung ist gut, die Weißwürste (aus dem Sauerland) und das bayerische Bier (von einer Sauerländer Brauerei) schmecken den Menschen offenbar. Sie nicken, applaudieren und jubeln. Viele ältere Semester kennen Merz persönlich, schütteln ihm die Hände, wenn die Security es zulässt.
„Die Stimmung war toll“, sagt Friedrich Merz dieser Zeitung beim Abschied. „Dafür bin ich sehr dankbar.“ Die Sauerländer in der Halle sind auch ein bisschen stolz, das spürt man. Denn wahrscheinlich kommt der nächste Bundeskanzler „von hier“.