Hagen. Skurril, bescheuert oder mit Hintersinn? Die Bananenkunst von Maurizio Cattelan hat viele Vorbilder in der Kunstgeschichte. Warum?
Maurizio Cattelan (64) schafft mit seiner Banane, was Museen so gerne erreichen möchten. Er hat eine breite Diskussion ausgelöst. Kann ein Kunstwerk, das für 6,2 Millionen Dollar versteigert wurde, zum Türöffner für ein neues Interesse an Kunst werden? Und welche Aspekte stehen bei der Berichterstattung darüber im Vordergrund?
Der Widerspruch ist existenziell. Zwei Alltagsgegenstände, eine Banane, wie sie für ein paar Cent in jedem Supermarkt zu kaufen ist, und ein Stück Panzerband, werden unter dem Etikett „Kunst“ Millionen wert. Das muss doch Schwindel sein. Oder Verrücktheit. Verstehen kann Otto Normalmensch so etwas jedenfalls nicht, oder?
Aber es kommt noch schlimmer. Der Käufer, ein Unternehmer für Kryptowährungen namens Justin Sun, hat die 6,2 Millionen Dollar schwere Banane in aller Öffentlichkeit vor der Presse verspeist. Wie dekadent ist das denn, ein Objekt zu zerstören, für das man so unfassbar viel Geld bezahlt hat?
Kostenpunkt: 35 Cent
Der nächste Akt in diesem Drama folgt auf dem Fuß. Nun wurde der Bananenverkäufer interviewt, ein armer Immigrant aus Bangladesch, der als Verkäufer in New York an einem Obststand arbeitet, unweit des Auktionshauses Sotheby‘s. Für 35 Cent haben dessen Mitarbeiter die Banane laut New Yorker Zeitungsberichten erworben, die kurz darauf für 6,2 Millionen Dollar in die Schlagzeilen kam. Der Bananen-Käufer will dem Bananen-Verkäufer jetzt demnach etwas Gutes tun und 100.000 Früchte bezahlen, die dann an dem Stand kostenlos verteilt werden sollen. Und wieder sorgt die Banane für Aufruhr.
Was keiner schreibt: Das Bananenkunstwerk stammt aus dem Jahr 2019. Cattelan hat es auf der Art Basel Miami Beach geschaffen, als ironischen Kommentar zum Kunstbetrieb. Selbstverständlich ist die nun versteigerte Banane nicht mehr dieselbe, die 2019 an ein Stück Wand geklebt wurde. Der Künstler empfiehlt, das Obst alle paar Tage zu ersetzen. Wer die 6,2 Millionen Euro ausgegeben hat, tat dies nicht für eine Banane, sondern für die Idee dahinter. Konzeptkunst spielt sich im Kopf des Betrachters ab. Die wahre Schlagzeile ist nicht, dass der Käufer Justin Sun eine millionenschwere Banane gegessen hat. Sondern, dass er dies jetzt alle paar Tage tun muss oder tun lassen muss, solange ihm das Kunstwerk gehört.
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Was Cattelan mit seiner Banane verhandelt, ist in Wahrheit ein uraltes Thema. Es geht um Vergänglichkeit. Vergänglichkeit oder Vanitas ist die Sache von Religion und von Anfang an auch ein zentrales Thema in der Kunst. Auf den meisten Gemälden platzieren die Alten Meister Vanitas-Symbole: Uhren, die besagen, die Zeit des Menschen ist begrenzt. Leere Gläser, erlöschende Kerzen, Totenschädel. Peter Paul Rubens hat ein Mädchen mit einem Spiegel gemalt. Der Betrachter sieht reine Haut, volle Lippen, üppiges Dekolletee. Der Spiegel symbolisiert, dass dem Mädchen nur einige wenige Jahre in dieser Schönheit bleiben. Beim ersten Kind fallen die ersten Zähne durch den Kalziummangel aus; die Falten kommen von ganz allein.
Die verblühte Rose
Blumen sowie Obst, Früchte und Blüten eignen sich besonders als Symbole der Vergänglichkeit, da sie mehr oder weniger schnell verwelken oder verderben. Der Gegensatz zwischen der duftenden blühenden Rose, den prallen Äpfeln oder Weintrauben und der Biotonne könnte nicht größer sein. Vertrocknete Blütenblätter, die zu Staub zerfallen und Fliegen und Maden in der so köstlichen Frucht. Häufig platzieren Maler auch in Weihnachtsbildern versteckt ein Vanitas-Symbol, eine kleine Fliege an der Mauer des Stalls zum Beispiel. Sie soll andeuten, dass das neugeborene Kind in wenigen Jahren am Kreuz hängen wird.
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Die Gründe, warum die mittelalterlichen und vor allem barocken Maler so gerne Vanitas-Symbole verwendeten, muten übrigens hochaktuell an. Es handelte sich um eine Form von Zeitkritik. Die Pest wütete in mehreren Wellen und raffte Könige ebenso dahin wie Bettler. Niemand konnte sicher sein. Die Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten wollten nicht enden und stürzten ganze Landstriche ins Elend. Gleichzeitig gefielen sich Fürsten und reiche Handelsherren in einer nie gekannten Prachtentfaltung. Der neue Prunk schuf auch einen neuen Kunstmarkt. Waren im Mittelalter noch hauptsächlich Kirchen und Kirchenherren die Auftraggeber für Künstler, wetteifern Fürsten und reiche Bürger in Renaissance und Barock um die besten und berühmtesten Maler. Gemälde, die warnend an die Vergänglichkeit des irdischen Daseins mahnen, erzielten häufig hohe Preise – ein Widerspruch in sich, der bis heute anhält.
In der barocken Kunsttheorie spielt ein Paradox eine große Rolle. Das Vergängliche wird so real dargestellt, dass es zum Greifen nah erscheint. Aber es bleibt unwirklich. Die meisterlich gemalte Rose duftet nicht. Der köstliche Apfel lässt sich nicht anbeißen. Den Verfall kann die Malerei jener Epochen eben nur durch Symbole andeuten. Seine Zeitlichkeit kann sie nicht zeigen.
Das ist in der modernen Konzeptkunst anders. Zeitgenössische Künstler schätzen Vergänglichkeit mehr denn je. Es gibt in der Land-Art Künstler, die mit der vergänglichen Schönheit von Eis oder Sand arbeiten, die Momentaufnahmen erschaffen, die nie wieder nachgebildet werden können. Bei anderen steht der Prozess des Werdens und Vergehens im Vordergrund. Paula Doepfner hat 2012 beim Kunstverein Östliches Sauerland im Museum Haus Hövener in Brilon einen getrockneten Distelstrauß in einem Block aus gefrorenem Eis eingesperrt. Die Kunst bestand im Prozess: wie sich das Sonnenlicht im Eis und zunehmend im Wasser bricht und spiegelt, wie der Strauß befreit wird und schwimmt. Anne Duk Hee Jordan schuf für den Kunstverein Arnsberg 2019 eine essbare Tafel, ein Kunstwerk aus Pflanzen, das von den Besuchern verspeist wurde.
Joseph Beuys hat angefangen
Joseph Beuys und seine Fluxus-Bewegung legten seit den 1960er Jahren in Deutschland den Grundstein für Vergänglichkeit, indem sie Kunst aus den Galerien unter den freien Himmel geholt haben und mit einmaligen Happenings den Ewigkeitsanspruch des Kunstwerks brechen wollten.
Denn das ist der zweite Widerspruch, den Cattelan mit seiner Banane thematisiert. Ungebrochen hält sich die Vorstellung von der Exklusivität eines Kunstwerks. Es ist einmalig, das Produkt eines Genies, und das macht seinen Wert aus. Tatsächlich klaffen Wert und Preis nirgends so auseinander wie im zeitgenössischen Kunstmarkt. Der Wert eines Kunstwerks besteht in dem Können und der Referentialität, mit welcher der Künstler Denkprozesse und Emotionen beim Betrachter bewirkt. Ein gutes Kunstwerk zündet in Herz und Hirn des Betrachters wie ein Blitz. Das ist aber völlig unabhängig davon, wie viel dieses Bild oder diese Skulptur oder Rauminstallation kostet. Der Kunstmarkt hingegen setzt auf Unwiederholbarkeit, er bepreist das Seltene. Hier spiegelt sich die Gier von Menschen, die alles haben und sich zur eigenen privaten Befriedigung oder zur Geldanlage ein Objekt kaufen wollen, das ins Museum und damit der Allgemeinheit gehört.
Mauricio Cattelans Banane ist exakt so viel wert, wie jemand bereit ist, dafür auszugeben. In den Safe kann der neue Besitzer sie nicht packen. Denn die Banane will ja beständig ersetzt werden. Damit erinnert sie den steinreichen Eigentümer fast täglich an die Endlichkeit seiner eigenen Existenz. Rubens und seine Werkstatt würden heute vermutlich Bananen malen.