Arnsberg/Olpe. Die Nazis haben expressionistische Maler verfolgt. Das Sauerland-Museum entdeckt diese Künstler jetzt neu. Lohnt sich die Ausstellung?

Der Aufbruch in die Moderne verlief in der deutschen Kunst nicht ungehindert. Zwei katastrophale Epochenbrüche zerstörten die Entwicklungslinien unumkehrbar: der Erste Weltkrieg, in dem viele junge Maler starben, und die NS-Herrschaft mit ihrem Kunstdiktat und ihren Verfolgungen. Der Kunstsammler Gerhard Schneider widmet sich seit den 1980er Jahren den Verwerfungen in der deutschen Kunstgeschichte. Unter dem Titel „Zerrissene Träume. Expressionistische Kunst vom Aufbruch in die Moderne bis zur NS-Verfolgung“ ist ab 29. November ein Ausschnitt seiner international beachteten Sammlung im Sauerland-Museum in Arnsberg zu sehen. Es ist die längst überfällige große Würdigung der Lebensleistung Schneiders in seiner sauerländischen Heimat – er wurde in Marsberg geboren und lebt seit 1983 in Olpe. Gleichzeitig beschließt das Museum mit der Schau seine Expressionismus-Trilogie, die 2019 mit „August Macke - ganz nah“ begonnen wurde.

Sauerland Museum zeigt Werke des Sammlers Gerhard Schneider.
Der Arnsberger Museumsdirektor Dr. Oliver Schmidt in der Ausstellung „Zerrissene Träume“ im Sauerland-Museum. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die tragischen Lebenslinien der berühmten Künstler dieser Epoche sind bekannt, ihre Werke gut erforscht und viel gezeigt. August Macke, der in Meschede geborene Ausnahmekünstler der klassischen Moderne, der im Alter von nur 27 Jahren im Ersten Weltkrieg fiel. Ernst Ludwig Kirchner, der als Folge seiner Kriegserlebnisse morphiumsüchtig wurde und sich 1938 im Schweizer Exil erschoss, nachdem die Nazis ihn als „entarteten“ Künstler diffamiert hatten. Doch es gab erheblich mehr Frauen und Männer, deren Künstlerlaufbahn vor allem durch die Nazis gestoppt wurde, die aber heute vergessen sind. Gerhard Schneider hat recherchiert, dass die Nationalsozialisten über 20.000 Werke beschlagnahmten, alles, was modern war, expressionistisch, kubistisch, neu-sachlich, und alles von jüdischen Künstlern. Museen wurden geplündert, Künstler mit Berufsverbot belegt. In insgesamt 35 Ausstellungen wurden die beschlagnahmten Werke laut Schneider öffentlich vorgeführt; zwischen 5500 und 7000 Kunstwerke verbrannten sie 1939 in Berlin.

Das industrielle Sterben

„Wir haben bis heute diese schlimme Zeit nicht aufarbeiten können“, so Schneider. Denn die verfolgten Künstler konnten meist nach dem Zusammenbruch des Nazis-Regimes nicht wieder Tritt fassen, sie wurden vergessen, sie gehören zu der sogenannten verlorenen Generation.

In drei Kapiteln beleuchtet das Sauerland-Museum diese Entwicklung und ermöglicht damit spannende Einsichten. So, dass die Schrecken des Ersten Weltkrieges einen besonderen Expressionismus hervorbringen, einen politischen Stil, der das unmenschliche industrielle Sterben reflektiert und in Bezug bringt mit der christlichen Passion. So wird Lorenz Böskens „Verwundeter Kavallerist am Wasser“ zum Schmerzensmann.

Kunstsammler Gerhard Schneider
Der Kunstsammler Gerhard Schneider aus Olpe in der Ausstellung "Zerrissene Träume" im Sauerland-Museum Arnsberg. Die Ausstellung zeigt expressionistische Kunst vom Aufbruch in die Moderne bis zur NS-Verfolgung aus der Sammlung Gerhard Schneider.   © Karin Fischer / Sauerland-Museum | Karin Fischer / Sauerland-Museum

Nach 1918 versprechen Revolution und Demokratie einen ungeheuren Aufbruch, der sich auch in neuen künstlerischen Sujets spiegelt. Die Arbeitswelt wird interessant, die Fabriken, besonders die neuen Hüttenwerke, Zechen und Hochöfen der Schwertindustrie. Die politischen Konflikte, die Demonstrationen, später in der Weltwirtschaftskrise dann das Verhungern, all das wird festgehalten. Der Künstler wird zum Chronisten seiner Zeit. Dabei kommt ein in Vergessenheit geratenes Medium zu neuen Ehren, die Druckgraphik, die mit ihren Auflagen weniger exklusiv ist als das Ölgemälde und dem politischen Ideal einer demokratischen Kunst für alle nahe kommt. „Die Kunst des 20. Jahrhunderts ist eigentlich die Druckgraphik“, sagt Gerhard Schneider. „Mit der Druckgraphik der Künstlervereinigung Die Brücke erlangt Deutschland erstmals seit Dürer wieder Weltgeltung.“

Mehr als 6000 Werke

Gerhard Schneiders Sammlung und Archiv werden in der Forschung hoch geschätzt. „Mit 86 Jahren hat mir der Landschaftsverband Rheinland eine eigene Mitarbeiterin zugesprochen, die mein Archiv aufarbeitet“, berichtet er. Rund 500 Künstler hat der Sauerländer in der Sammlung und mehr als 6000 Werke. „650 bis 700 Arbeiten sind zum Ersten Weltkrieg, das ist wahrscheinlich die umfangreichste Sammlung zu dem Thema“, bilanziert er.

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Doch selbst in dieser Fülle ist es kuratorisch schwierig, die Tragödie der Künstlerinnen und Künstler unter dem Nationalsozialismus greifbar zu machen. In Arnsberg gelingt das durch die Fokussierung auf Schlüsselaspekte: entfesselte Gewalt, Exil – und, wenn man so will, heile Welt. Das Werk „Der Abgrund“ von Georg Netzband von 1935 beschreibt das Kommende fast prophetisch. Netzband vergrub seine politischen Bilder in Blechkisten und entzog sie damit der Zerstörung. Einen Kontrapunkt dazu bildet Eberhard Viegeners realistische Landschaft „Gasteiner Tal im Winter“ von 1941, ein Bergstück, ganz unberührt vom Rauch aus den Gaskammern. Wie konnte das passieren? Viegener, der große Maler westfälischer Bauern, hatte sich mit den Nazis arrangiert. Seine expressionistischen Landschaften und bedeutenden Menschenporträts galten als „entartet“, sie wurden unter anderem aus den Museen in Hagen und Essen entfernt. Unabhängig davon konnte er aber weiter malen und ausstellen, nur eben mit harmlosen Sujets.

1946 dann gründete Viegener zusammen mit der Hagener Museumsdirektorin Herta Hesse und dem Iserlohner Informel-Wegbereiter Wilhelm Wessel in Hagen den Westdeutschen Künstlerbund als neuen Aufbruch in eine abstrakte Moderne – bei dem die meisten Künstler aus Gerhard Schneiders Sammlung vergessen wurden.

Ausstellung: Zerrissene Träume. Expressionistische Kunst vom Aufbruch in die Moderne bis zur NS-Verfolgung. 29. November bis 23. Februar, Sauerland-Museum Arnsberg. www.sauerland-museum.de