Hagen. Geschichte im Zeitraffer bietet die neue Ausstellung in Hagen. Warum einige Exponate jetzt vor den Besuchern geschützt werden müssen.

Ausgerechnet die Pickelhaube! Jenes international berüchtigte Symbol preußischen Obrigkeitsdenkens und eines militärverliebten Untertanentums. Aber im Grunde genommen ist die martialische Kopfbedeckung auch nur ein Stück Blech mit Leder. Und wurde daher in der Metallschmiede Deutschlands erfunden: am Tor zum Sauerland im Jahr 1842 in der Harkort‘schen Fabrik in Hagen. Die Pickelhaube ist Teil der Hagener Stadtgeschichte und als solche prominent im neu eröffneten Hagener Stadtmuseum vertreten. Beim Rundgang zeigt sich: Erz, Wasser und Holz, mit denen das Sauerland so reich gesegnet ist, treiben seit der Frühzeit eine Kultur des Erfindergeistes, vor allem in der Metallverarbeitung.

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Dr. Ralf Blank ist der wissenschaftliche Leiter der Geschichtsmuseen und Leiter des Stadtarchivs in Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Bei ihrem Eintritt in die schriftlich überlieferte Historie nimmt die heutige Stadt Hagen gleich die ganze Region Westfalen mit. „In den fränkischen Reichsannalen wird 775 die Eroberung der von sächsischen Truppen besetzten Sigiburg (Hohensyburg) durch Karl den Großen erwähnt“, so Dr. Ralf Blank, der Leiter des Stadtmuseums und Archäologiemuseums Hagen sowie der Archive. Ein Jahr später versuchten die Sachsen unter Widukind vergeblich, die Hohensyburg zurückzuerobern. Beide Ereignisse werden in den Annalen festgehalten. „Mit dieser Erwähnung tritt Westfalen in die durch Schriftquellen überlieferte Geschichte ein“, so Blank.

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Die Hohensyburg und die dort errichtete St.-Peters-Kirche bilden neben der Peterskirche auf der Eresburg in Marsberg die Stützpunkte für die Missionierung des Sauerlandes durch die christlichen Franken. Diese Region wurde von Kaiser Karl und seinen Leuten wegen ihres Rohstoffreichtums geschätzt. Für Kriege war sie zu schade, sie legten stattdessen Königshöfe an und bauten Kirchen.

Kettenhemd aus 15.000 Ringen

An den Flussläufen von Volme und Ruhr, Lenne und Ennepe siedelten sich bereits früh metallverarbeitende Gewerke an. Ein Dolch von der Raffenburg aus dem 13./14. Jahrhundert; zwei Kanonenkugeln aus Garenfeld und ein Kettenhemd aus dem 15. Jahrhundert, vermutlich aus Iserlohn, mit 15.000 miteinander verbundenen Drahtringen bezeugen, dass die Kriege des Mittelalters und der frühen Neuzeit mit Waffen aus Hagen und dem Sauerland geführt wurden und dass die ersten Hämmer den Grundstein legten für die später blühende Eisenindustrie. Am Schnittpunkt mehrerer Fernstraßen gelegen, entwickelte sich Hagen zu einem Zentrum der Klingen-, Sensen- und Nagelschmiede. Eine Drahtlehre des Drahtziehers Johann Peter Hüsecken in Limburg steht für ein innovatives Eisenprodukt, mit dem die Region bis heute weltweit führend ist. Bereits im 17. Jahrhundert betrieben Hüseckens Vorfahren im Nahmertal eine Drahtrolle. „Das Handelshaus Harkort in Haspe war der Hauptabnehmer des aus Limburg stammenden Drahts. Der Feindraht wurde im Ostseeraum, in skandinavischen und baltischen Ländern sowie in Frankreich und in den Niederlanden vertrieben“, so Museumsleiter Blank.

„Um den Rara-Bestand unserer Buchsammlung beneiden uns Universitätsbibliotheken.“

Dr. Ralf Blank, Leiter Stadtmuseum

Die beginnende Industrialisierung führte zu einem starken Bevölkerungswachstum, so wird Hagen zu einem Katalysator der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Neuzeit von der 1848-er Revolution bis zur Errichtung des gewaltigen Industriewerks der Hasper Hütte. In den Fabriken werden Vermögen verdient, dies ermöglicht zum Beispiel das visionäre Kunst-Engagement des Sammlers Karl-Ernst Osthaus, der Hagen um die Jahrhundertwende zum internationalen Hotspot für moderne Kunst und Architektur machte.

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Das Stadtmuseum Hagen hat seinen Sitz im denkmalgeschützten Gebäude des früheren Kreisgerichts.    © WP | Yvonne Hinz

Besonders stolz ist Museumsleiter Blank auf die vielen seltenen Exponate von überregionalem Interesse. „Um den Rara-Bestand unserer Buchsammlung zum Beispiel beneiden uns Universitätsbibliotheken“, berichtet er.  Die Dauerausstellung würdigt zwei prägende Frauen aus Hagen, die zu den frühen Unternehmerinnen in Westfalen zählen.  Die Tuchfabrik Moll war laut Recherchen von Blank einer der ersten protoindustriellen Fabrikbetriebe, in dem Maschinen eingesetzt wurden. Helena Margaretha Moll geb. Harkort (1710 – 1800) leitete nach dem frühen Tod ihres Mannes 1762 das Unternehmen und wurde zur Schwiegermutter aller führenden Hagener Familien. RaraVergleichbar war das Schicksal ihrer Schwägerin Louise Catharina Harkort geb. Märcker (1718 -1795). Diese wurde 1761 Witwe und übernahm die Führung des bedeutenden Handelshauses sowie der verschiedenen Fabriken. Erst ein Jahr vor ihrem Tod gab sie die Leitung an ihre beiden ältesten Söhne weiter.

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Helme und Kürasse, Kugeln und Messer: Die Kriege des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurden mit Waffen aus Hagen geführt. © WP | Michael Kleinrensing

Zu den berührenden und ebenfalls sehr seltenen Exponaten zählt ein gelbes Stück Stoff, aus dem während der Zeit der NS-Herrschaft Judensterne ausgeschnitten wurden. Ralf Blank: „Die Stoffbahn stammt aus dem Konzentrationslager Theresienstadt. Nach seiner Befreiung im Mai 1945 nahm Walter Wolff (1892–1958) die Stoffbahn und weitere Erinnerungsstücke an seine Inhaftierung mit nach Hagen. Neben seiner eigenen Rückkehr organisierte er auch die Heimreise für die anderen Hagener Jüdinnen und Juden. Ein Jahr später gehörte er zu den Mitbegründern der neuen jüdischen Gemeinde in Hagen.“

Die Ausstellung schildert eindrücklich, wie die Nazi-Herrschaft dazu führte, dass Hagen bis auf Schutt und Asche zerstört wurde. Dennoch übt die ausgestellte historische Hakenkreuzfahne eine seltsame Faszination auf einige Besucher aus. Dr. Ralf Blank: „Wir mussten eine Blende auf dem Glas der Vitrine anbringen lassen, weil sich einige Leute davor fotografieren lassen.“

1842 entwarf der Hagener Unternehmer Christian Harkort einen Lederhelm mit Spitze. Die Pickelhaube war geboren. Die Hagener Erfindung gilt als Symbol für den preußischen Militarismus.
1842 entwarf der Hagener Unternehmer Christian Harkort einen Lederhelm mit Spitze. Die Pickelhaube war geboren. Die Hagener Erfindung gilt als Symbol für den preußischen Militarismus. © Stadtarchiv Hagen | Historisches Centrum Hagen

Das Stadtmuseum Hagen bietet zahlreiche Programme für Kindergärten und Schulklassen an. Man kann im Museum auch Geburtstag feiern. Alle Informationen: www.stadtmuseum-hagen.de