Hagen. Das Theater Hagen greift in der Operette Ritter Blaubart in die Trickkiste des schrägen Humors. Zu flach? Wie das Publikum reagiert.
Das Ballett tanzt Cancan im Plüschherzen-Kostüm, die sechste Braut trägt silberne Plateaustiefel zum weißen Kleid, und die Herren bezaubern mit Vokuhila-Frisuren (vorne kurz, hinten lang). Die 1980er Jahre feiern ihre Wiederauferstehung in der Hagener Produktion von Jacques‘ Offenbachs Operette „Ritter Blaubart“. In dieser Epoche des legendär schlechten Geschmacks kann ein Mafioso ein französisches Restaurant betreiben und ein politischer Populist trotz eines Liftings zuviel und sehr schlechter Zähne die Massen betören. Das Publikum im Theater Hagen feiert die aberwitzig-satirische Inszenierung mit Beifall im Stehen. Doch nicht alle Besucher gehen mit, manchen ist es zu albern.
Die Operette der Zungenbrecher
Die Operetten von Jacques Offenbach (1819 - 1880) sind bei Theaterleuten beliebt, wegen ihrer schrägen Handlungen und vor allem natürlich wegen der großartigen Musik. Aber Offenbachs bissige Satiren auf die Gesellschaft des französischen Empires wurden schon zu seinen Lebzeiten unmodern, und heute ist es schwer, eine zeitgemäße Übertragung zu finden. Dazu kommt die logopädische Herausforderung für die internationalen Sänger. Viele Offenbach-Arien werden rasend schnell gesungen, auf überaus viel Text. Die meisten Blaubart-Tenöre scheitern schon bei der Eröffnung an den Zeilen „Niemals war ein Witwer so wie der Ritter Blaubart froh“.
Regisseur Holger Potocki und Ausstatterin Lena Brexendorff haben die abgedrehte Geschichte um den Frauenmörder, der von Frauenpower zu Fall gebracht wird, in ein 80er-Jahre-Italien versetzt, in dem der König Bobèche sein Reich mithilfe seiner TV-Sender zusammenhält und der Mafioso Blaubart ein französisches Restaurant betreibt. Beide sind Sexisten, Bobèche lässt alle Männer töten, die er für Nebenbuhler hält; Blaubart schickt seine Gattinnen in den langen Schlaf, damit er neu heiraten kann. Das passiert auf einer Drehbühne, die Restaurant, Kirchenvorplatz mit abblätterndem riesigem Madonnengemälde und Swimmingpool vereint.
Die hohen Wände des Raumelements bieten dem Ensemble eine gewisse akustische Resonanz, doch nach oben in den offenen Bühnenhimmel geht viel Schall verloren; für die Dialoge müssen die Sängerinnen und Sänger daher Mikroports einsetzen. Der alte Streit, ob im Musiktheater die Sänger im Vordergrund stehen sollen oder die Inszenierungsidee wird hier zugunsten der Beleuchtung von oben entschieden.
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Das Mafia-Konzept wird mit vielen Anspielungen aufgepeppt, vom „Angebot, das er nicht ablehnen kann“ mit Zitat aus der Filmmusik des „Paten“ bis zur Barcarole aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Running Gag sind die vielen Telefone, vor allem das brikettgroße Schnurlos-Gerät Bobèches. Es gibt Ballettszenen mit teils atemberaubenden Kunststücken. Und der Opernchor wird nicht als Masse geführt, sondern die Sängerinnen und Sänger erhalten kleine eigene Biographien, das beflügelt sie hörbar.
Das Ensemble ist richtig gut. Der Blaubart gehört zu den schwierigen Tenor-Partien, weil Offenbach die Hochtonakzente und vokalen Glanzstellen entlarvend anlegt. Tenor Santiago Bürgi schafft diese Gratwanderung und zeigt den Blaubart mit Brusthaartoupet weniger als grausamen Psychopathen, denn als getriebenen Mann, der von seinen eigenen Spitzentönen verfolgt wird. Bürgi muss sehr viel springen und tanzen, während er seine Zungenbrecher singt, das ist von der Regie nicht gut gelöst.
Angela Davis ist die Frau, an der sich Blaubart endlich die Zähne ausbeißt. Die Hagener Sopranistin beweist in der Partie der selbstbewussten Außenseiterin Boulotte einmal mehr, wie überaus wandlungsfähig und klug sie ihre Stimme einsetzen kann, vom strahlenden, edlen Ton der hohen Oper bis zum vergnüglichen frechen Chanson. Richard van Gemert ist als König Bobèche eine erschreckend schmierige Kopie des früheren italienischen Medienmoguls Berlusconi. Sopranistin Ofeliya Pogosyan und Tenor Anton Kuzenok sind als Hermia und Saphir ein entzückendes Liebespaar.
Die einzigen, die am Ende leider keine Frau abkriegen, sind die Baritone Kenneth Mattice als Graf Oscar und Hagen-Goar Bornmann als Popolani. Mattice mit seiner langen Vokuhila-Matte und Bornmann im gelben Anzug des Drogenkochs aus der Krimiserie „Breaking Bad“ machen für ihre jeweiligen Herren die Drecksarbeit. Doch sie sind auch die einzigen in der ganzen Oper, die sich nicht völlig egoistisch verhalten, sondern sich einen Funken Mitgefühl bewahrt haben.
Singende Pizza
Aus dem Orchestergraben funkelt und sprüht „Ritter Blaubart“ nur so vor musikalischer Intelligenz. Dirigent Rodrigo Tomillo lässt die Hagener Philharmoniker schlank spielen, durchhörbar. Dadurch gewinnt die Partitur nicht nur punktgenauen rhythmischen Witz, sondern eine enorme bewegliche Farbigkeit, ein richtiges Hörvergnügen.
Und dann gibt es noch die singende Pizza Canzone, den Priester, der mit Messdienern „Der Papst und die Zombies“ spielt, und eben die raffinierte Boulotte, die, nachdem sie den Frauenaufstand angeführt hat, ihren Blaubart zurücknimmt und das Restaurant auf sich überschreiben lässt. Ritter Blaubart wird künftig bei Fuß gehen.
Wieder am: 9. 11., 17. 11. 20. 11., 29. 11., 31. 12. (Doppelvorstellung um 15 Uhr und 19.30 Uhr). www.theaterhagen.de