Hagen/Siegen/Arnsberg. Sechs Gründe für die Wirtschaftskrise in der Region: Wie Unternehmen im Sauerland, Siegerland und in Hagen ihre aktuelle Lage sehen.
Wer auf der Suche nach positiven Worten ist, der muss in diesen 60 Minuten sehr, sehr genau hinhören. Vielleicht bei dem Punkt, dass die Konjunkturaussichten im Dienstleistungsgewerbe nicht ganz so düster sind wie in der Industrie in Südwestfalen. Vielleicht auch, dass die aktuelle Lage im Baugewerbe noch recht gut ist. Aber auch diese positive Nachricht wird schnell dadurch relativiert, dass die Erwartungen auf dem Bau für die nahe Zukunft als miserabel eingeschätzt werden.
Erquicklich sind diese 60 Minuten nicht, in denen die drei für Südwestfalen zuständigen Industrie- und Handelskammern aus Arnsberg, Siegen und Hagen gemeinsam ihre aktuelle Konjunkturbefragung für den Herbst 2024 vorstellen. Mehr als 1200 Unternehmen haben daran teilgenommen, die in den drei IHK-Bezirken mehr als 120.000 Menschen beschäftigen. Von einem beispiellosen Abschwung sprechen die drei IHK-Präsidenten, denn dieser ziehe sich diesmal durch alle Branchen. Eine „toxische Gemengelage“ diagnostiziert Walter Viegener, Chef der Siegener IHK. Man spüre derzeit nicht nur Gegenwind, sondern eine Lähmung, so Andreas Knappstein, sein Amtskollege aus Arnsberg. Und Ralf Stoffels, Chef der SIHK Hagen, schildert drastisch: „Die Deindustrialisierung der Region hat begonnen.“
Was lässt die IHK-Chefs so pessimistisch werden?
1. Der Index: Da ist zunächst der Konjunkturklima-Index, ein Rechenwert, der sich aus der Befragung der Unternehmen ergibt. Liegt er über 100, dann wird ein wirtschaftliches Wachstum erwartet. Schon im Frühjahr lag er unter dieser Schwelle bei 92. Doch jetzt, im Herbst, werden nur noch sehr schwache 78 erreicht. Vor zwei Jahren, im Herbst 2022, lag der Wert mit 67 noch niedriger. Aber das war die Zeit, als nach Beginn des Ukraine-Krieges eine Gas-Mangellage für den Winter befürchtet wurde, eine absolute Ausnahmesituation. Damals bewahrheitete sich die Befürchtung nicht, es folgte eine kleine Stimmungsaufhellung. Doch jetzt wird die Lage schon seit einem Jahr durchgehend als negativ bewertet.
2. Der Lage-Stimmungs-Faktor: Es herrscht nicht nur eine pessimistische Stimmung, die Lage ist tatsächlich schlecht. Schaut man die Befragung der vergangenen Jahre an, dann hat die heimische Wirtschaft die Zukunftsaussichten meist pessimistischer eingeschätzt als sich dann die tatsächliche Lage dargestellt hat. Doch diese beiden Kurven haben sich nun angeglichen – und zwar im negativen Bereich.
3. Kein Helfer in Sicht: Es gibt keine Branche, die absehbar die andere aus dem Loch ziehen kann. Schaut man auf die aktuelle Lage, dann bewertet die Baubranche diese zwar noch positiv und auch die Dienstleistungsbranche ist insgesamt noch ganz knapp im positiven Bereich. Aber im Handel, im Gastgewerbe und im Verkehrsgewerbe wird die aktuelle Lage negativ bewertet. Und insbesondere in der Industrie geht die Kurve steil nach unten. Was noch bedenklicher stimmt: Keine einzige Branche erwartet für das kommende Jahr eine positive Entwicklung.
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4. Die Investitions-Flaute: Südwestfalen ist die Herzkammer der Industrie in NRW. Dementsprechend schwer wiegt, dass fast 42 Prozent der Industriebetriebe künftig weniger investieren wollen - und nur 13 Prozent mehr. Und dies in einer Zeit, in der es eigentlich erhebliche Investitionen in Klimaneutralität und digitale Transformation bedürfte. Auch in der gesamten Wirtschaft Südwestfalens bleiben die Investitionsabsichten auf einem kontinuierlich niedrigen Niveau.
5. Das Beschäftigungs-Dilemma: Das alles könnte zur Folge haben, dass der dauerhafte konjunkturelle Abschwung nun auch Folgen auf dem Arbeitsmarkt haben wird. Die Beschäftigungsabsichten der Gesamtwirtschaft in Südwestfalen sind so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Und auch hier sticht der starke Industriesektor hervor: 40,1 Prozent der befragten Betriebe wollen Stellen abbauen. „Damit tun sich gerade viele Mittelständler schwer, gerade angesichts des Fachkräftemangels“, so Ralf Stoffels. „Aber wenn die Lage anhaltend schlecht ist, dann hält man das nicht durch.“
6. Die Abwanderungsgedanken: 16 Prozent aller befragten Betriebe ziehen derzeit konkret in Erwägungen, ihre Standorte ganz oder teilweise aus Südwestfalen zu verlagern. Schaut man nur auf die Industrie, sind es sogar knapp 22 Prozent. Beide Werte sind im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich gestiegen.
Doch diese Abwanderungstendenzen sind nicht der alleinige Grund, warum Ralf Stoffels, der auch Präsident der Vereinigung aller Industrie- und Handelskammern in NRW ist, von einer drohenden Deindustrialisierung spricht: „Standortverlagerungen muss man sich erst einmal leisten können, das können vielleicht die großen Mittelständler. Aber es gibt auch die kleinen, die einfach aufhören, die ihr Gewerbe abmelden. Das findet sich dann auch in keiner Insolvenzstatistik.“ Und hinzu komme, dass die finanzielle Situation der Unternehmen in der Region immer angespannter sei. Denn auch das zeigt die Befragung: Nur noch gut die Hälfte der Unternehmen bewertet die eigene Finanzlage als unproblematisch. Das hat Folgen: „Unternehmen fangen an, sich gegenseitig zu misstrauen“, sagt Ralf Stoffels.
„Genau die gleichen Vorschläge habe ich schon Anfang des Jahres gehört. Nichts davon ist gekommen.“
Und wie kommt man aus diesem Tal? Kann hier nicht gerade in Südwestfalen der Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) helfen? Zehn Prozent der Investitionssummen soll nach seinem Vorschlag der Staat übernehmen. Ein Aufputschmittel für die investitionsmüde Wirtschaft in der Region? Ralf Stoffels lässt zumindest vorsichtige Sympathien erkennen. Er sei als Mittelständler eigentlich gegen neue Subventionen, eine solche Unterstützung könne aber tatsächlich ein guter Impuls sein. Doch dann kommt das große Aber. „Genau die gleichen Vorschläge habe ich schon Anfang des Jahres gehört: Die Industrie sollte unterstützt werden. Ich habe mit meinem Sohn darüber gesprochen, ob wir angesichts dessen nicht doch die ein oder andere Investition tätigen sollten. Er hat mich Monat für Monat gefragt, wo denn die Unterstützung bleibe. Nichts davon ist gekommen.“
Der NRW-IHK-Präsident hat auch keine große Hoffnung, dass es nun anders kommen wird. Was für ihn ein viel effektiveres Mittel wäre: Der Staat solle die Netzentgelte für Strom selbst übernehmen und nicht darüber die Unternehmen bei der Transformation des Energiesektors belasten. Denn die hohen Netzentgelte in Deutschland führten schon innerhalb Europas zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen. Vor allem für Südwestfalen, der Herzkammer der Industrie.