Hagen. Im Lande Früher war alles besser. Wirklich? Es gibt gute Gründe, die Aufbruchstimmung der ersten Jahre der jungen Republik zu vermissen.
Neulich habe ich mich über das Land Früher amüsiert, die Heimat aller Motzer. Heute allerdings wünsche ich mich aus vielen Gründen in ein Früher zurück. Mir ist klar, dass das nicht geht, und meine Sehnsucht gilt auch nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Aber die Gefühle, die mit bestimmten prägenden Ereignissen verbunden waren, die vermisse ich.
Das ist übrigens ein Grund, warum Erwachsene wieder zu den Büchern ihrer Kindheit greifen. Noch einmal diese Mischung aus Erwartung, Unschuld und Aufregung erleben können, die mit dem ersten Ausflug in die Universen von Pippi & Co. verbunden waren.
- Trump-Attentat auch bei uns? Welpenschutz im Wutbürgerland
- Spekulationen um Angela Merkel: Hätte sie Putin gbestoppt?
- Hundekot in der Mülltonne: Worüber sich Hausbesitzer ärgern
Bei mir ist es die Urlaubszeit. Das Konzept von Tourismus mussten wir ja erst lernen. Unsere Eltern waren Kriegskinder, die kannten keine Lustreisen. Unsere Großväter und Großonkel waren in Russland, wo sie nicht hinwollten und nichts zu suchen hatten, entweder gefallen, verhungert oder in Gefangenschaft geraten. Wer in einem Stück zurück kam, wollte die eigene Scholle nie mehr verlassen. Also war es unsere Sache, Grenzen zu überwinden, auch in den Köpfen, und herauszufinden, was hinter der nächsten Kurve passiert. Alles war neu und funkelte, Autobahnbrücken mit Windsäcken als Hoffnungsträger des Fortschritts, Raststätten als Tempel des Weltbürgertums, der erste Käfer als Symbol für Freiheit. Der erste Frankreichbesuch und der Umgang mit den Verletzungen und Vorbehalten der alten Leute dort. Aber wir, die Jungen, wollten es besser machen, wir wollten mit Jesuslatschen durch die Welt, nicht mit Soldatenstiefeln.
Und alles war im Aufbruch. Vor allem die Demokratie. Dem Drill der Hitlerjugend entronnen, begriffen unsere Eltern es zeitlebens als Privileg, eine unabhängige Lokalzeitung zu abonnieren, sich ehrenamtlich zu engagieren, beim Aufbau der großen Bundesrepublik in ihrem kleinen Beritt mitzuwirken. Demokratie muss erarbeitet werden, das habe ich Zuhause gelernt.
Heute ist von der Aufbruchstimmung wenig zu spüren. Überall Überfluss und Überdruss. Die Demokratie wird lästig, die Chinesen kommen doch auch ohne sie klar.
Verspüren die heutigen Kinder noch die Verheißung des Neuanfangs? Haben sie den Eindruck, die Welt wartet nur auf sie? Finden sie Ausdrucksmöglichkeiten für ihre Sehnsüchte?
Ich denke ja. Denn Früher ist das Land von gestern, das Land von uns Alten. Heute ist das Früher von morgen. Diese Erkenntnis kann sehr beruhigen. Vor allem, wenn sich die Leute nicht ins Gestern, sondern ins Vorgestern verirren wollen.