Schmallenberg-Oberkirchen. Ära von Michael Huber (75) als Veltins-Boss geht zu Ende. Für ihn wohl zum richtigen Zeitpunkt. Warum ihn etwa Home Office nervt.
Das sei ja immer eine nette Runde hier, sagt also Michael Huber zu seinen Zuhörern, schränkt dann ein, dass es vielleicht doch langweilig sei, weil da vorne, da, wo er sitzt, seit 25 Jahren dieselben Nasen säßen. „Das“, sagt der 75-Jährige, „gibt es sonst in der Braubranche so nicht.“ Bei Veltins schon. Da herrscht sogar seit fast 30 Jahren in der Führungsspitze Langeweile. Oder besser: Kontinuität.
Seit 1995 führt Huber die Sauerländer Traditionsbrauerei, seine rechte Hand, Dr. Volker Kuhl, ist ebenso lange im Unternehmen. Seit vielen Jahren laden sie im Sommer Pressevertreter in den Landgasthof Schütte in Schmallenberg-Oberkirchen ein, stellen dort die Halbjahres-Bilanz vor. Auch das hat Tradition im Traditionsunternehmen, das mit Beständigkeit groß geworden ist. Aber dieses Mal, dieses Mal ist etwas anders. Nicht nur, weil Veltins derzeit 200-jähriges Firmenjubiläum begeht, sondern aus einem anderen Grund: Der Lotse geht von Bord, und nicht nur der.
„Das Alter“, sagt Huber, „nagt an einem.“ Heißt: an ihm. Nach dann 29 Jahren im Unternehmen verlässt er Veltins zum Jahresende. Und mit dem Generalbevollmächtigten, wie sein Titel lautet, geht auch Inhaberin Susanne Veltins (65).
Für die Grevensteiner Brauerei ist es eine Zäsur, für Huber auch. Der Veltins-Boss, der Klartext und Sprüche nicht scheut, nimmt auch zum bevorstehenden Abschied kein Blatt vor den Mund, als er etwa bemerkt: „Ich bin vielleicht jetzt auch in einer Phase, dass ich zu konservativ und auch zu stur werde. Deshalb ist es gut, dass man zurücktritt. Deshalb habe ich auch entschieden, nicht in den Aufsichtsrat zu gehen, denn dann würde ich immer versuchen, immer noch das Alte fortzuführen.“
Jetzt ist aber die Zeit für etwas Neues.
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Plus 126,4 Prozent beim Umsatz
Zu Hubers letzter Bilanz-Pressekonferenz als Veltins-Boss präsentiert die Brauerei unter anderem Daten zur Entwicklung der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte. Alle Kurven auf den vorgelegten Folien zeigen steil nach oben. Der Hektoliter-Absatz: plus 38,7 Prozent. Der Umsatz: plus 126,4 Prozent. Die Zahl der Mitarbeiter: 45,7 Prozent. Plus. Natürlich. Manch andere Brauerei soll laut Veltins-Einschätzung im selben Zeitraum Hunderttausende Hektoliter Ausstoß verloren haben. Veltins ist hingegen über die Jahrzehnte unter Hubers Ägide in neue Dimensionen vorgestoßen.
Seit 1999 habe man etwa 845 Millionen Euro in das Unternehmen investiert, in Technik, Verwaltung, Gebäude, Material, Vertrieb, neue Produkte, Innovationen. „Wir haben einen sehr positiven Weg eingeschlagen und es geschafft, uns in Deutschland den dritten Platz unter den Premiumbieren zu erarbeiten“, sagt Huber und betont: „Ich habe eine tolle Zeit erlebt.“
Hubers Appell: innovativ bleiben
Nun geht er erst in den Sommerurlaub, und dann auf die letzten Meter seines Weges als Veltins-Generalbevollmächtigter. Die Brauerei sieht er für die Zukunft gut gerüstet – trotz des immer stärker nachlassenden Bierkonsums in Deutschland und schwieriger Rahmenbedingungen wie hoher Energie- und Produktionspreise – und in guten Händen, insbesondere in denen seines langjährigen Wegbegleiters Dr. Volker Kuhl. „Der Doc“, wie Huber seinen Kronprinzen gerne nennt, ist Vertriebschef. „Ich bin ganz sicher: Hier wird es schon weitergehen, die werden es schon schaffen“, sagt Huber.
Der (Noch-)Boss, der Doc und andere in der Veltins-Führung verweisen gerne auf ihre Erfahrung von zusammen gut 80 Berufsjahren in der Brauwirtschaft. So viel Knowhow, Kontinuität und Tradition soll Veltins auch künftig den Weg weisen, aber auch die Bereitschaft, offen für neue Dinge zu bleiben. „Es ist wichtig, innovativ zu sein“, sagt Huber, „wir waren immer bereit, neue Wege zu gehen.“
Zumindest bei ihm hat diese Bereitschaft inzwischen allerdings auch nachgelassen.
„Klartexter, Kumpeltyp und Kettenraucher“
Bereits 2018 schrieb die WirtschaftsWoche über den Veltins-Boss, der alle duzt, von den meisten aber gesiezt wird: „Klartexter, Kumpeltyp und Kettenraucher: Michael Huber, 69, der seine protzig-goldene Uhr nicht versteckt, wirkt wie ein Auslaufmodell unter den Unternehmensleitern.“
Nun sind weitere sechs Jahre vergangen. Huber, der auch nach seinem Abschied von Veltins Gesellschafter beim Arnsberger Lichtspezialisten Trilux bleibt, lässt am Rande seines Auftritts auf der Bilanz-Pressekonferenz mitten im Sauerland erkennen, dass er durchaus Respekt vor dem Wechsel in den (teilweisen) Ruhestand habe. Er macht aber auch klar, dass er, der heute 75-Jährige, mit der „neuen Welt“, wie er formuliert, bisweilen fremdelt.
„Es kommt ein Zeitpunkt, an dem du merkst, dass du nicht mehr so gut klarkommst in der neuen Welt. Ich hasse den Begriff KI, ich bin old fashioned“, bekennt Huber. Oder: „Das, was wir gemacht haben, hat funktioniert, weil ich wahrscheinlich sehr viel Wert auf die Betreuung der Menschen gelegt habe. Das lässt aber auch nach. Die Einstellung der Leute hat sich verändert. Der Begriff Home Office ist heute ein Alltagsbegriff, der nervt mich ganz fürchterlich.“
Im Interview mit der Welt hat Huber, der manchmal wie ein Patriarch alter Schule erscheint, vor Jahren bestätigt, dass er seine Manager auch mal nachts um drei Uhr anrufe. Als Test. „Da bin ich rigoros. Denn niemand ist davor gefeit, dass plötzliche Entscheidungen nötig sind. Und ich muss wissen, ob meine Manager solche plötzlichen Entscheidungen treffen können, noch dazu völlig übermüdet, also unter großer körperlicher Belastung. Man merkt dann schnell, wer wie lange belastbar ist und auf wen ich in einer Krise zählen kann“, sagte Huber damals.
Heutzutage geht‘s jedoch eher um: Home Office, Künstliche Intelligenz (KI), Social Media, Work-Life-Balance. Alles nicht (mehr) seine Welt. „Es wird eine neue Welt geben, es wird eine Veränderung geben in den nächsten Jahren, und dann wird Tradition und Konservatives allein nicht reichen“, sagt Huber. Außerdem: „Persönlich muss ich auch mal sagen: Mit 75 wird man auch mal müder.“
Das gallische Dorf in Grevenstein
Er freut sich (bald) auf mehr Freizeit, gibt sich zufrieden, den Zeitpunkt des Ausstiegs nicht verpasst zu haben. Bei der Bilanz-Pressekonferenz blickt er auch noch mal auf das große Ganze: auf 200 Jahre Veltins.
„Schon ganz interessant, was aus so einem kleinen gallischen Dorf und einer kleinen Mittelstandsbrauerei in Grevenstein geworden ist“, sinniert Huber.
Er war daran nicht ganz unbeteiligt.