Hagen. Schottlands Fußball-Fans zeigen, wie Feiern geht. Sie erobern uns die Straßen zurück. Warum Samba auch mit Dudelsack geht.
Die Schotten legen Kölns Innenstadt trocken, ohne dass es zu unschönen Szenen kommt. Einfach feiern, sich freuen und mit anderen zusammen sein, sogar mit den Fans der Gegner. Dem Vernehmen nach gab es im Kölner Dom lange Schlangen, weil Schweizer und Schotten in bester Eintracht Kerzen für den Sieg ihrer jeweiligen Mannschaft anzünden wollten. Die Vorrunden-Partie Schottland-Schweiz weckt die Hoffnung, dass diese Europameisterschaft vielleicht doch einen Weg aus dem kollektiven Missmut weist, der sich wie falscher Mehltau über die deutsche Gesellschaft gelegt hat.
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Sportlich interessiert mich Fußball wenig, doch als Kulturreporterin faszinieren mich die Rituale, die fanseitig damit verbunden sind. Warum singt Deutschland „Major Tom“? Weil Fans dafür gestimmt haben, und sowas steckt an. Die Geschichte vom Major Tom geht bekanntlich nicht gut aus, deshalb wundert mich diese Wahl, aber egal, es ist ein schönes Lied.
So richtig unbeschwert gefeiert haben wir alle doch schon lange nicht mehr. Zuerst kam Corona und die aus meiner Sicht sinnvollen Kontaktbeschränkungen. Aber dabei habe zumindest ich verlernt, mich in großen Menschenmengen entspannt zu bewegen. Seit Corona häufen sich die Krisen und Kriege, und viele von uns fühlen sich draußen nicht mehr wohl oder sicher. Dazu kommt die Spaltung der Gesellschaft. Wer will schon beim Sommerfest einen neben sich stehen haben, der das AfD-Alphabet herunterbetet. Also verkriecht man sich. Aber es fehlt etwas. So ein Samba-Gefühl: So eine Freude, mit Anderen, auch Wildfremden, zu tanzen, zu singen, Spaß zu haben, so eine Leichtigkeit, bei der es völlig egal ist, ob der Nebenmann blöde politische Ansichten hat, weil jetzt nur zählt, dass er ein Mitfeiernder ist.
Dann fragt man sich, ob es überhaupt ethisch vertretbar ist, so zu denken oder ob man damit dem Populismus ein Einfallstor eröffnet, wie es ja leider schon einmal genauso geschah, über das Feiern. Und dann weiß man plötzlich: Schlimm steht es um uns!
Am und im Kölner Dom gibt es 17 Dudelsackspieler aus dem Mittelalter, in Stein gemeißelt oder geschnitzt. So klein ist die Welt. Doch wer hätte gedacht, dass uns ausgerechnet die schottischen Dudelsäcke das Samba-Gefühl zurückgeben? Und uns damit auch unsere eigenen Straßen wieder schenken: nicht als Laufstege für Stiefeltritte, Hass und Geschrei. Sondern als Orte des fröhlichen Feierns.
Übrigens: Ich wollte ja schon immer den Dudelsack lernen. Jetzt steht fest: Come on!