Hagen. Noch zwei Namen sind im Rennen um die GMD-Position. Das Publikum applaudiert dem Bewerber Hermes Helfricht mit Beifall im Stehen.
Das Publikum hat schon abgestimmt. Mit langem Beifall im Stehen bedankt es sich bei Hermes Helfricht (31) für ein mitreißendes Sinfoniekonzert. Der junge Bonner ist einer von zwei verbliebenen Endrunden-Kandidaten für die Position des neuen Hagener Generalmusikdirektors. Der weitere Bewerber Andreas Wolf (55) hatte bereits das vergangene Sinfoniekonzert geleitet. Ein dritter Kandidat ist unterdessen abgesprungen.
Die Kandidaten übernehmen feststehende Konzertprogramme, eine besondere Herausforderung. Denn sicher hätte sich Helfricht weder das Violakonzert von York Bowen noch die Sinfonie e-Moll von Amy Beach ausgesucht, die unter dem falsche Erwartungen schürenden Titel „Night of the Proms Hagen“ mit zwei Pomp-and-Circumstance-Märschen von Edward Elgar zusammengespannt waren. Die Sinfonie der amerikanischen Komponistin Amy Beach kommt mit „Fliegender-Holländer“-Gebrause daher, enthält viele schöne Melodien, allein, es fehlt das musikalische Rückgrat. Auf der Langstrecke wird das Stück langweilig. Dennoch kann Helfricht über alle vier Sätze hinweg Konzentration und Spannung halten und gestalten.
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Mit Lawrence Power hat er einen großartigen Solisten für das Viola-Konzert von York Bowen an seiner Seite, das außergewöhnlich farbenreich ist, aber ebenfalls wenig zu sagen hat. Helfricht kombiniert geschickt das postromantische Feuer der Komposition mit impressionistischem Klangzauber und den grellen Weltmusik-Effekten des Finales. Solist Lawrence Power spielt auf einer Amati-Bratsche mit wunderbar samtigem, facettenreichem Ton und führt sein Instrument in der Zugabe verblüffend an die Grenzen der klanglichen Möglichkeiten.
Für jedes Stück einen wachen Puls
Die Pomp-and-Circumstance-Märsche sind natürlich Futter für jeden Dirigenten, aber hier gibt Helfricht dem Affen keinen Zucker, sondern erarbeitet die Dynamik, die Steigerungen und die Übergänge geschmeidig und auf den Punkt präzise. Am überzeugendsten ist sicher die Fähigkeit des jungen Maestros, das Orchester mit einem Atem spielen zu lassen, für jedes Stück einen wachen Puls zu finden und zu halten.
Die Findungskommission tagte noch am Dienstagabend, das Orchester am Mittwochmorgen. Die Entscheidung ist schwer, denn die Anforderungen sind komplex. Die Hagener Philharmoniker sind traditionell leistungsstark, sie befinden sich derzeit in einem spannenden Verjüngungsprozess und suchen neue künstlerische Herausforderungen und Impulse. Gute Sinfoniekonzerte und Opern zu dirigieren, reicht in einer Stadt wie Hagen allerdings nicht aus, denn über allem schwebt die Frage, welches Publikum die Philharmoniker und das Theater in fünf oder zehn Jahren haben werden. Derzeit sind die Sinfoniekonzerte beispielsweise der einzige Ort in Hagen, in dem die bürgerliche Stadtgesellschaft überhaupt noch prägend sichtbar ist. Die Hagener Stadthalle war am Dienstagabend voll.
Der neue Generalmusikdirektor muss also in die komplizierten demographischen Milieus Hagens hinein agieren, und er muss die traditionellen Netzwerke im Sauerland pflegen, denn von dort kommen die Besucher, und diese werden von den Orchestern der Nachbarstädte ebenfalls innig umworben.
Bewahrung und Aufbruch
In den Personen der beiden Kandidaten spiegeln sich in gewisser Weise die Konzepte „Bewahrung“ und „Aufbruch“, beide haben etwas für sich. Andreas Wolf (55) war seine gesamte Karriere hindurch an erstklassigen Häusern 1. Kapellmeister oder kommissarischer GMD, konnte sich also auf das Dirigieren konzentrieren und seinen Alltag von den organisatorischen und politischen Belastungen freihalten, die mit einer GMD-Position verbunden sind. Er brächte sicherlich große Erfahrung und vielleicht auch eine gewisse Stressresilienz mit sich. Allerdings will er seinen Lebensmittelpunkt dem Vernehmen nach aus familiären Gründen in seiner Heimatstadt Regensburg belassen; in Hagen wird jedoch vom GMD erwartet, dass er zur Identifikationsfigur von Orchester und Theater wird, eine Persönlichkeit, an der man nur schwer vorbeikommt, wenn wieder Spardiskussionen anstehen. Das geht nur, indem ein GMD gesellschaftlich präsent ist.
Hermes Helfricht verkörpert von der Biografie her den Gegenentwurf. Er ist mit nur 31 Jahren bereits 1. Kapellmeister in Bonn, höchstbegabt, von ihm könnten sich Orchester und Publikum einen künstlerischen Aufbruch versprechen. Allerdings dürfte das Sehnsuchtsziel seiner Karriere nicht Hagen heißen, sein Engagement kann eher als vorübergehendes Sprungbrett gewertet werden. Die mit den beiden Künstlerpersönlichkeiten verbundenen Erwartungen bergen Chancen und Risiken.
Allerdings muss die Entscheidung nicht zwangsläufig in dieser Bewerbungsrunde fallen. Nach der Verabschiedung des früheren GMD Georg Fritzsch 2002 waren die Philharmoniker zwei Spielzeiten lang auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten für die Nachfolge, zahlreiche Bewerber wurden bei Vordirigaten unter die Lupe genommen, keiner konnte eine Mehrheit des Orchesters hinter sich bringen. Am Ende wurde man dann im eigenen Haus fündig, mit dem damals blutjungen Nachwuchsdirigenten Antony Hermus, der vom Repetitor zum Generalmusikdirektor aufstieg und heute ein international sehr gefragter Dirigent ist.