Iserlohn. Der Eichenprozessionsspinner kommt auch ins Sauer- und Siegerland. Die Populationen wachsen. Die Gefahr: Atemnot, Fieber, Schwindel, Juckreiz.

Die Kindergartenkinder „Wilde 13“ in Iserlohn stehen drinnen an der Scheibe und schauen hinaus. Auf Flatterband, das im Wind weht. Auf zwei Männer, die Atemschutzmasken mit Visier, weiße Schutzanzüge und rote Gummihandschuhe tragen. Eine Szene wie aus einem Katastrophenfilm. „Wir hatten dieses Jahr schon 30 bis 35 Einsätze“, sagt Andreas Röhrbein, einer von den beiden Männern in den Schutzanzügen. „Im vergangenen Jahr waren es zwei oder drei. Und wir rechnen damit, dass die Populationen in Zukunft weiter wachsen.“

„Task Force“ eingerichtet

Es sind Einsätze wegen des Eichenprozessionsspinners, jenem Insekt, dessen fast unsichtbaren Härchen ein erhebliches

Gesundheitsrisiko

für den Menschen und auch Tiere darstellen. Das Insekt breitet sich seit Jahren wegen milder Winter und trockener Sommer immer weiter aus. Zunehmend auch in der Nähe des Sauer- und Siegerlandes.

In Dortmund wurden im vergangenen Jahr Teile des Fredenbaumparks ganz abgesperrt, das Westbad in Dorstfeld musste jüngst für mehrere Tage geschlossen werden, weil die Raupen in den Bäumen am Eingang hingen. In Siegen rund um das Jung-Stilling-Krankenhaus wurde das Insekt zum Problem. Die Stadt erarbeitet gerade ein Konzept, wie mit dem neuen Phänomen umzugehen sei. In

Herdecke

wurden sechs Nester gefunden, der Bereich zwischen Rathaus und Stiftskirche in der Stadt musste abgesperrt werden. Auch in Wetter mussten die Schädlingsbekämpfer mehrfach ausrücken. Die Stadt

Ennepetal

hat wegen neuer Fälle in der Umgebung in

Schwelm und Sprockhövel

schon vor Wochen eine „Task Force“ gebildet und wird – wie auch Fröndenberg – Nistkästen für Meisen und Rotkehlchen installieren, die natürlichen Feinde des Eichenprozessionsspinners.

Juckreiz, Atemnot, Fieber

In Iserlohn kümmern sich die Schädlingsbekämpfer des Märkischen Stadtbetriebs um die Raupen. Häufiger schon waren sie bei der „Wilden 13“, denn dort stehen viele Eichen. Der Außenbereich ist abgesperrt. „Wir dürfen nicht raus, weil die Dinger wer weiß was verursachen“, sagt Kindergarten-Leiterin Doris Schilling. „Wer weiß was“ kann u.a. bedeuten: Juckreiz, Hautausschlag, Quaddeln, Atemnot, Fieber, Schwindel, allergischer Schock. Bei manchem bleibt eine Reaktion aus. Aber sicher ist sicher. Dabei sollen die Kinder ja gerade jetzt viel raus wegen Corona. Belastend sei das, sagt Frau Schilling.

Deswegen hat das Nest Priorität. Röhrbein zeigt nach oben in den Baum. Von unten sieht das Gespinst aus wie eine dünne weiße Schicht, wie eine Art dichtes Spinnennetz an einem Ast. Dort sitzt der Spinner, der ab April schlüpft und seine giftigen Brennhaare bis Anfang Juni ausbildet. Ausgewachsene Raupen besitzen 600.000 dieser feinen Härchen, von denen von April bis September besondere Gefahr ausgeht, weil der Wind sie aus den Nestern bis zu 100 Meter weit verteilen kann.

In höheren Lagen bisher nur vereinzelter Befall

Die Gefahr vom Baum gibt es nicht überall. Die Tiere kommen vornehmlich in tieferen Lagen vor, im Rheinland, am Niederrhein und im Münsterland. In höheren Lagen wurde bisher nur vereinzelter Befall gemeldet. Aber keine Stadt sollte sich in Sicherheit wiegen.

Rohr verstopft: Sebastian Urban bei der Arbeit.   
Rohr verstopft: Sebastian Urban bei der Arbeit.   © Unbekannt | Daniel Berg


„Die örtlichen Verwaltungen werden sich in Zukunft sehr wahrscheinlich auch dort mit zunehmenden Beständen des Eichenprozessionsspinners auseinanderzusetzen haben, wo dieser bislang noch weniger verbreitet ist“, sagt NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Essen in einem Vorwort eines Handlungsleitfadens, der vor kurzem an die Kommunen verschickt wurde.

Lack auftragen und abflämmen

Röhrbein ist bei der Arbeit bislang meist verschont geblieben von den Folgen des Eichenprozessionsspinners. Einmal war er offenbar unvorsichtig, am Bein merkte er es. „Die Dinger jucken wie Sau“, sagt er. Wenn es dabei bleibt, ist es glimpflich abgelaufen. Röhrbein schlüpft in seinen Anzug. Atemmaske auf, Handschuh an. „Sieht aus wie bei einem ABC-Einsatz, oder?“.

Zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Urban steigt er in den Korb vom Hubsteiger. Wenn sie miteinander reden klingt es, als wären sie unter Wasser. Sie manövrieren sich bis hoch in die Wipfel. Millimeterarbeit. Der Wind stört. Mit einem Industriesauger entfernen sie das Gespinst. Danach wird für gewöhnlich ein Lack aufgetragen und die Stelle abgeflämmt.

„Im Moment sind wir fast täglich wegen des Eichenprozessionsspinners unterwegs“, sagt Röhrbein, als er wieder unten ist. Das Tier habe es über die Ruhr geschafft. Im Revier hätten sie diese Probleme schon länger.
Recklinghausen zum Beispiel, sagt er, habe über 100 Einsätze gehabt seit Anfang Juni.

Mehrere Jahre giftig

Für Röhrbein und die Kollegen geht es an diesem Tag gleich weiter zum Fußball-Platz des SC Hennen, wo weitere drei Nester entdeckt worden sind. „Hauptwindrichtung“, sagt Röhrbein und zeigt auf den Platz. Schnell weg mit den Tierchen. Nest suchen, saugen, sprühen, brennen. An einem Gespinst verschluckt sich sogar der leistungsfähige Sauger, ehe es Sebastian Urban ins Röhrchen drücken kann. Eines war noch ein frisches Nest, das andere schon braun und alt. Aber die Gefahr bleibt. „Theoretisch können die Härchen noch jahrelang Reaktionen beim Menschen hervorrufen“, sagt Röhrbein.

Die Schädlingsbekämpfer Sebastian Urban und Andreas Röhrbein in Iserlohn im Einsatz gegen den Eichenprozessionsspinner.   
Die Schädlingsbekämpfer Sebastian Urban und Andreas Röhrbein in Iserlohn im Einsatz gegen den Eichenprozessionsspinner.   © Unbekannt | Daniel Berg


Die Anzüge und Handschuhe kommen nach getaner Arbeit in einen Müllsack. Vorsichtig schält sich Urban aus dem Textil. Mit langsamen Bewegungen wird der Sack verschlossen, um die Härchen nicht aufzuwirbeln. Der Beutel aus dem Staubsauger wird später ebenfalls verbrannt. Die Arbeit des Tages geht in Flammen auf.

Ob das übertrieben ist? Ist ja nur ein Insekt und kein tödliches Virus. „Bei allem, was der Eichenprozessionsspinner auslösen kann“, sagt Andreas Röhrbein, „sollte man ihn auf jeden Fall ernst nehmen.“