Lüdenscheid. Duell Auto gegen Bahn: Die A45 ist wegen der maroden Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid gesperrt. Wo man in der Rushhour weniger Zeit verliert.

Täglich suchen Tausende Menschen nach dem schnellsten Weg durchs Sauerland. Der gewohnte Weg über die Autobahn 45 ist abgeschnitten, weil sie wegen der maroden Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid gesperrt ist. Was tun? Über die Dörfer fahren? Durchs Lüdenscheider Chaos? Oder Bahn fahren? Unser Reporter-Duo Gesa Born (in der Bahn) und Daniel Berg (im Auto) machen den Selbsttest – mit überraschendem Ergebnis.


15.47 Uhr: Abfahrt. Eben noch vollgetankt - für 1,67 den Liter Diesel. Spinnen die eigentlich? Apropos: Eine Stunde und 32 Minuten soll die Fahrt nach Siegen dauern. Stunde wäre normal. Aber immerhin: Ich muss nicht über die Dörfer tingeln, Google findet, dass die Fahrt mitten durchs und ins Chaos die beste Variante ist.
15.50 Uhr:Schnelle Schritte durch die Hagener Innenstadt. Das Rennen gewinn‘ ich mit links – die Rushhour wird mir in die Karten spielen. Mein Glück herausfordern will ich aber nicht: Den Zug um 16.13 Uhr muss ich kriegen.
15.55 Uhr: Bei Hagen-Süd auf die A45. Kaum einer unterwegs. Toll.
15.59 Uhr: Ein Ticket brauche ich noch! In der Hagener Bahnhofshalle gibt’s zwei Möglichkeiten: Eins am Automaten ziehen oder es im Zeitschriftenladen kaufen. Option zwei besticht durch Schokoriegel an der Kasse.
16.00 Uhr: Obacht! Ein Ausrufezeichen leuchtet bedrohlich vier Kilometer vor Lüdenscheid. „Staugefahr“ steht darunter. In der Ferne sehe ich Warnblinkanlagen leuchten – aber nur auf der rechten Spur. Ich nähere mich, gleite vorbei an: Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw mit geöffneter Fahrertür, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw, Lkw. Sie haben es verstanden, oder?

Die beiden Strecken im Vergleich.
Die beiden Strecken im Vergleich. © funkegrafik nrw | Anda Sinn


16.02 Uhr:
Ein Lkw aus Siegen versperrt beide Spuren. Ich stehe. Der Ford hinter mir auch. Weil es allen hilft, hupt der Fahrer, ein Mann mit Mütze. Mit dem Zeigefinger hämmert er eine Nummer in das Handydisplay. Das Freizeichen höre ich bis in mein Auto. Geht keiner ran. Die Mütze flucht. Kurz danach: Verkehrsnachrichten: „A45, zwei Kilometer Stau, plus sieben Minuten“. Sind wahrscheinlich die gleichen sieben Minuten, in denen ich ein Drei-Gänge-Menü kochen würde.
16.08 Uhr: Als der Verkäufer den Preis nennt, glaube ich kurz, die Schokoriegel aus purem Gold mitgenommen zu haben. Das Einzelticket nach Siegen kostet 23,80 Euro.
16.09 Uhr: In Fünf-Meter-Schüben geht es vorwärts. Auch für die Mütze. Sie flucht. Lüdenscheid-Nord ist Abfahrt 13. Na, klar!
16.11 Uhr:Während ich über die Vorteile einer BahnCard nachdenke, hechte ich die Treppe zum Gleis hoch. Zwischenfazit: Ich sollte mehr Sport machen. Der RE16 steht schon bereit und ja, tatsächlich fährt er pünktlich ab.

+++Lesen Sie auch: Gesperrte A 46: Bundesregierung lehnt Maut-Rabatt ab +++

16.14 Uhr: Bin da, wo aus zwei Spuren eine wird. Ein großer gelber Pfeil blinkt. Reißverschlussprinzip funktioniert. Gesittet wie am Königshof. Die ältere Dame, die mich vorlässt, wirkt dennoch not amused. Sieht aus, als könne sie mit den Mundwinkeln kuppeln. Trotzdem: Küss die Hand!
16.19 Uhr:
Ich mache es mir im Sitz bequem. Klappt alles wie am Schnürchen. Klar, mein Kollege hat einen guten Vorsprung – er musste nicht erst zum Bahnhof laufen. Aber jetzt wird aufgeholt.
16.20 Uhr:
Die Ampelphasen sind prächtig lang. Gut gemacht von den Straßen-Managern, muss man auch mal sagen. Links ab auf „Heedfelder Landstraße“, links ab auf „Im Grund.“
16.29 Uhr:
Ortseingangsschild Lüdenscheid. Schön. Ich könnte es putzen. Neu lackieren. Oder abschrauben. Das brächte nichts, aber ich verlöre auch nichts, denn ich stehe. Rückstau von der Ampel an der „Altenaer Straße“.
16.38 Uhr
: Zufrieden breche ich ein Stück vom Schokoriegel ab und lasse es hinter der Maske im Mund verschwinden. Blick aus dem Fenster: Boa, ist die Ruhr-Sieg-Strecke schön! Fast schon kitschig, wie sie sich durch das viele Grün schlängelt, vorbei an historischen Bahnhöfen, unterbrochen durch kleine Tunnel. Hach...


16.42 Uhr
: Zurück auf der A 45. Halbe Stunde an Zeit verloren. Läuft.16.50 Uhr: Ich bin noch nicht mal in Plettenberg? Das hatte ich mir anders vorgestellt.
17.00 Uhr
: Ausfahrt Olpe zieht vorbei. Im Radio läuft: „Where the streets have no name“ von U2. Titelsong zur Geschichte „Where the Autobahn has no Brücke“.
17.06 Uhr:
Nun doch etwas unruhig lasse ich im Abteil die Blicke schweifen. Bin ich denn die einzige, die vom Auto auf die Bahn umsteigt? „Wenn ich ein Auto hätte würde ich definitiv das nehmen“, antwortet eine Frau im Vierer gegenüber. Es schwingt der Frust über viele Verspätungen mit.
17.14 Uhr
: Ausfahrt Siegen, rechts. Bundesstraße. Wieder rechts Richtung Zentrum. Abbiegung verpasst. Gewendet. Da ist er, der Bahnhof. Der Vorplatz: eine einzige Baustelle. Parken? Schwer.
17.17 Uhr:
Wo bin ich hier? Aha, Lennestadt-Altenhundem. Die Fahrt zieht sich. Draußen wird’s dämmrig. Zur Ablenkung: Podcast auf die Ohren.
17.21 Uhr:
Andere Seite vom Bahnhof. Parkplatz? Nicht gefunden. „Wo kann ich hier parken?“ Die Frau mit Hund lacht. „Gar nicht“, sagt sie und gestikuliert doch etwas in den frischen Wind.
17.28 Uhr
:Jetzt schon in Kreuztal sein, das wäre es. Aber ich kann es nicht beeinflussen und schaue auf die schwach graublau gefärbte Landschaft.
17.30 Uhr
: Nochmal gewendet. Dann: Parkplatz, Schranke hoch, Zündschlüssel ab. Die Kollegin? Nicht in Sicht. Schonmal rechnen: 90 Kilometer gefahren. Heißt: Die Fahrt kostete zwölf Euro – plus einen Euro für den Parkplatz. Hinein in den Bahnhof.
17.50 Uhr:
Ankunft auf Gleis 4. Okay, ja, zu spät. Aber dafür: ganz gelassen. Wobei: So richtig gestresst sieht der Kollege auch nicht aus.

Fazi
t: Das Auto gewinnt ohne Anstrengung – und günstiger ist die Fahrt noch dazu. Bahn, du musst was tun!