Hagen. Wie an der A 45 per Gesetz geforderter Artenschutz und dringend notwendige Bauvorhaben unter einen Hut gebracht werden. Seltene Tiere ziehen um.

Der Wanderfalke („Falco peregrinus“) ist alles andere als öffentlichkeitsscheu. Wenn der schnellste Flieger der Vogelwelt mit 300 Stundenkilometern im Sturzflug für spektakuläre Jagdszenen am Himmel sorgt, zieht er die Blicke der Menschen auf sich.

Weil der Greifvogel mit der Riesenspannweite von mehr als einem Meter gerne unter Autobahnbrücken nistet, ist er jetzt bei der Diskussion um marode Bauwerke an der A 45 ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Mehr noch: Zum Leidwesen von Tierschützern steht er als vermeintlicher Bremser bei Neubauprojekten da.

Ein hochemotionales Thema

Seitdem geschützte Tiere wie der vom Aussterben bedrohte Feldhamster zum Streitgegenstand vor Gericht wurden – bis zum Europäischen Gerichtshof – sind Tiere und Bauvorhaben ein hochemotionales Thema. Das wissen auch Katja Rex von der Autobahn GmbH und Alfred Raab von der Arbeitsgemeinschaft (AG) Wanderfalkenschutz des Naturschutzbundes Nabu in NRW.

Ist er nicht süß, der Wanderfalken-Nachwuchs?
Ist er nicht süß, der Wanderfalken-Nachwuchs? © Unbekannt | Autobahn GmbH

Nach einigem Überlegen haben sie sich als Gesprächspartner zur Verfügung gestellt, weil sie Wanderfalke, Fledermaus & Co. zu Unrecht an den Pranger gestellt finden bei der Diskussion um marode Autobahnbrücken an der Sauerlandlinie. „Wegen der Wanderfalken ist es in der Vergangenheit nie zu Verzögerungen bei Bauprojekten an der A 45 gekommen“, sagt Alfred Raab, „es wurden immer einvernehmliche Lösungen gefunden.“ Und Katja Rex ergänzt: „Wenn alle Beteiligten vernünftig miteinander reden, lässt sich viel im Vorfeld klären.“

Das grüne Gewissen

Katja Rex ist Landespflegerin bei der Autobahn GmbH. Sie und ihre Berufskolleginnen und -kollegen werden gerne als grünes Gewissen bei der Gesellschaft beschrieben, die für Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung der Autobahnen im Bundesgebiet zuständig ist. Den per EU-Gesetz geforderten Artenschutz und den Betrieb der Autobahnen unter einen Hut zu bringen, ist ihre Herkulesaufgabe.

Insbesondere bei Neubauten: „Hinzu kommt, dass einzelne Tiere in einer Bauphase unterschiedlich reagieren können: das eine fliegt gespannt davon, das andere bleibt angespannt sitzen.“

Anwältin geschützter Tiere und betroffener Regionen

Katja Rex spricht von einem „Spannungsfeld“: „Wir müssen immer Wege zu gangbaren Lösungen finden“, sagt sie. Sie ist Anwältin besonders geschützter Tiere wie der Wanderfalken, aber auch betroffener Regionen. Beispiel Rahmedetalbrücke an der A 45 bei Lüdenscheid, die nicht mehr befahren werden kann und neu gebaut werden muss.

Auch dort halten sich Wanderfalken auf: „Uns allen ist bewusst, dass Wirtschaft und Anwohner unter der Streckensperrung leiden und Arbeitnehmer wegen der Umleitungen länger auf dem Weg zur Firma oder ins Büro unterwegs sind. Wir sind auch dafür verantwortlich, dass der Verkehr fließen kann und Baustellen zügig abgewickelt werden können.“

Bewährtes Zusammenspiel mit der AG Wanderfalkenschutz

Also sind die Landespfleger bei der Autobahn GmbH im bewährten Zusammenspiel mit den Ehrenamtlichen von der AG Wanderfalkenschutz auch schon einmal als Umzugshelfer gefragt. Weiteres Beispiel: die A 45-Talbrücke Schlittenbach bei Lüdenscheid.

Ein Wanderfalkenpärchen nutzt die Brücke seit Jahren als Nistplatz. Das Bauwerk wird derzeit verstärkt. Im Zielkonflikt zwischen einem möglichst schnellen Bau-Ende und daher notwendigen Arbeiten auch in der Brutzeit wird die Nisthilfe der Falken – erfolgreiche Bruten sind meist erst durch künstliche Nisthilfen möglich – mit Zustimmung der Aufsichtsbehörden beim Märkischen Kreis und der Arnsberger Bezirksregierung vorübergehend verlegt. Das heißt, man findet vorab einen ­Ausgleich in der Natur, wenn man durch Baumaßnahmen eine Tierart in ihrem Lebensraum beeinträchtigt.

Vogel des Jahres 1971

Der Wanderfalke – Vogel des Jahres 1971 – ist als besonders geschützte Tierart eingestuft, weil er unter anderem nach dem Einsatz von Umweltgiften, besonders DDT, in den 1970er Jahren in Deutschland nahezu ausgestorben war. Mitte der 1980er Jahre habe er sich in NRW wieder angesiedelt, berichtet Alfred Raab, inzwischen gebe es mehr als 250 Paare in Deutschlands größtem Bundesland.

„Eigentlich sind sie Felsbrüter“, so der Experte weiter, „in NRW sind sie bis auf zwei, drei Ausnahmen aber Bauwerksbrüter.“ Also: Für die Geburt ihres Nachwuchses – in der Regel ein bis vier Junge pro Brut – haben die Greifvögel mit dem sehr dunklen Oberkopf und dem breiten, schwarzen Backenstreif Orte wie Kraftwerke, Industriebauten, Kirchtürme oder Sendetürme entdeckt.

Sie wollen alles überblicken

Und eben Pfeiler von Autobahnbrücken: „Wanderfalken brauchen eine gewisse Höhe, damit sie alles überblicken können und zum Jungfernflug starten können“, so Alfred Raab.

Auch an der Talbrücke Rahmede, die noch 2022 gesprengt und in den kommenden Jahren neu gebaut werden soll, halten sich Wanderfalken auf. In einem Brückenpfeiler sind darüber hinaus unter anderem Zweifarbfledermäuse gesichtet worden.

Ersatzquartiere gesucht

Dass Tiere offenbar immer häufiger solche Plätze aufsuchen, habe viel damit zu tun, sagt Katja Rex von der Autobahn GmbH, „dass die Rückzugsorte in der Natur weniger werden. Sie suchen sich dann Ersatzquartiere, wo sie sich ungestört und sicher fühlen.“