Lüdenscheid. Die kaputte A-45 Talbrücke Rahmede wird in den Wahlkampf gezogen. Doch ist die gesperrte Sauerlandlinie ein Gewinnerthema? Eine Analyse.
Die dunkle Limousine des Ministerpräsidenten eilte in aller Herrgottsfrühe nach Lüdenscheid. Mitte Dezember, zwei Wochen nach der überraschenden Sperrung der A 45, machte sich Hendrik Wüst (CDU) auf den Weg ins Sauerland, um sich vor Ort über die Lage zu informieren. Bei dem Treffen dabei: Regierungspräsident, Landrat, Bürgermeister und SIHK-Präsident. Die Teilnehmer verdonnerte die Staatskanzlei zum Stillschweigen. Und auf die Presse wollte Wüst lieber verzichten. Bloß keine unangenehmen Fragen. Schließlich war der 46-Jährige von 2017 bis 2021 Landesverkehrsminister, also an der Lage der Schnellstraßen nicht ganz unschuldig.
Riesiger Investitionsstau
In gut drei Monaten wählt NRW eine neue Landesregierung. Schon jetzt überlegen die Parteistrategen, wie sie aus der kaputten Königin der Autobahnen Kapital schlagen können. Und ob überhaupt. Ist die Sauerlandlinie ein Gewinnerthema?
Wenn Ina Brandes, neue Verkehrsministerin von NRW, über die A 45 spricht, dann ist die Vokabel „Investitionsstau“ nicht weit. Jahrelang bretterten immer mehr Autos und vor allem schwere Lkw über die an Brücken reiche Nord-Süd-Verbindung, jahrelang steckte die Politik viel zu wenig Geld in Erhaltung und Sanierung. Nach der Wende flossen die Mittel in den Osten, dann vor allem nach Süddeutschland, weil CSU-Politiker in der Bundesregierung den Verkehr regelten. Mittlerweile gibt es mehr Geld aus Berlin. Aber nun ist es zu spät. Die Talbrücke Rahmede ist derart zerbrechlich, dass die Autobahn GmbH bei starkem Schneefall Mitarbeiter losschickt, um Salz zu streuen, damit das Bauwerk nicht zu schwer wird.
Das ist die A45-Talbrücke Rahmede
Dafür kann die CDU-Politikerin Brandes nichts; sie ist deutlich jünger als die A 45 und hat das Ressort erst im Herbst übernommen. Ein Interview möchte sie uns nicht geben.
+++ Lesen Sie auch:A45-Brücke: CDU will Regierung „Feuer unterm Hintern“ machen +++
Der Investitionsstau ist indes nicht vom Himmel gefallen. Von Vorgänger Wüst heißt es, er habe lieber Radwege eingeweiht als Straßen. Das ist Auslegungssache und vielleicht eine politische Gemeinheit. Andere sagen, er habe zu viele alte Neubauprojekte aus der Schublade geholt und die Sanierung vernachlässigt. Fest steht, dass sein Landesbetrieb Straßenbau NRW bis Ende 2020 für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung der 2000 Autobahnkilometer in NRW zuständig war. Wüst verteilte das Geld aus Berlin. Die Bahn vermochte er in seiner Amtszeit nicht so weit voranzubringen, dass sie jetzt Pendlern und Wirtschaft aus der Patsche helfen könnte. Dass etwa die Tunnel im Sauerland für einen ordentlichen Güterverkehr zu schmal sind, ist lange bekannt. Unsere wiederholte Interviewanfrage an Wüst blieb bisher erfolglos.
Nun fordert das Speditionsgewerbe Finanzspritzen, weil es eine Straße nicht mehr nutzen kann, an deren Zerstörung es mit seinen schweren rollenden Just-in-time-Lagerhallen selbst einen großen Anteil hat. Das hört die Branche nicht gerne, richtig bleibt es trotzdem.
Tragweite des Problems verstanden
Im politischen Raum werden derweil hektisch Aktivitäten entwickelt. Aktuellen Entscheidern in NRW Untätigkeit vorzuwerfen, ist unangebracht. Bisweilen herrscht aber blanker Aktionismus. Die Landesregierung hat die Tragweite des Problems verstanden – mit Nachhilfe aus Südwestfalen. In aller Eile zimmerten Wüst und Brandes ein „neues Zehn-Punkte-Programm“, das in Teilen aber ihre Zuständigkeit überschreitet, weil es um Bundesangelegenheiten geht.
Ob die Relevanz des Desasters allerdings auch im fernen Berlin angekommen ist, stellt die regionale Wirtschaft in Frage. Briefe an Minister und Kanzler blieben unbeantwortet; der Vertreter des Verkehrsministeriums gibt sich in Krisengesprächen wortkarg. Sein Chef Volker Wissing (FDP) machte deutlich, dass er keinen Grund sehe, für die Sanierung der Brücke im Sauerland Gesetze zu ändern. Er will wohl keinen Präzedenzfall schaffen. Am Montag preschte Wissing dann mit der Nachricht nach vorne, dass die alte Brücke gesprengt werden kann. Die Früchte der frohen Botschaft wollte Wissing exklusiv ernten: In einem kommunikativen Alleingang informierte er die Deutsche Presse-Agentur, zuvor sonst aber niemanden, nicht einmal die Landesregierung in NRW. Unsere Interviewanfrage beschied auch er abschlägig.
+++ Lesen Sie auch: A45-Brücke: Sprengungs-Nachricht löst auch Irritation aus +++
Parteifreund Andreas Pinkwart, Wirtschaftsminister in NRW, bugsierte sich jüngst in eine Pressekonferenz im Anschluss an ein Spitzengespräch zur A 45. An diesem hatte er gar nicht teilgenommen; sein Redeanteil bei der PK war trotzdem der größte. Er sagte den Betrieben Unterstützung zu, nannte aber nur die KfW-Bank als mögliche Geldgeberin, da es Förderprogramme nicht gebe. Einige Zuhörer wunderten sich: Kredite werden das Überleben der Unternehmen nicht sichern. Teilnehmer der Runde nannten Pinkwart unverfroren. Wahlkampf!
Andere Parteien wissen noch nicht so recht, wie sie sich positionieren sollen. Auch die SPD stellte in NRW jahrelang den Verkehrsminister, die Mobilitätswende ist ihr nicht einmal mit den Grünen gelungen. Wolfgang Clement propagierte zuvor als Ministerpräsident den schlanken Staat. Das ist lange her, wirkt aber nach. Heute fehlen auch der Autobahn GmbH Fachkräfte.
Gerüchte und Unterstellungen
Die Grünen würden den sechsstreifigen Ausbau der A 45 am liebsten stoppen. Jedenfalls äußerte sich ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Mehrdad Mostofizadeh neulich im Landtag so.
Derweil kursiert in der Union das Gerücht, die Chefin der Autobahn GmbH Westfalen fahre auf SPD-Ticket und habe die A 45 sperren lassen, um der CDU vor der Landtagswahl zu schaden. Eine realitätsferne Unterstellung.
Wahlkampf! Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, die A 45 in diesen reinzuziehen. Das erhöht den Handlungsdruck. Aber was passiert, wenn sich dieser nach dem 15. Mai wieder in Luft auflöst?